Daniela Holzinger: Grüner Personalnotstand. Warum die Kogler Truppe aus dem letzten Loch pfeift
Keine Partei wird momentan intensiver von Sieg und Niederlage durchgeschüttelt als die Grünen. Zuerst der mühsame Aufbau, das oppositionelle Klein-Klein, die Strukturarbeit und dann schließlich 2016. In einem bis dahin, an amtsentwürdigender Banalität, unerreichten Präsidentschaftswahlkampf, setzte sich „Professor“ Van der Bellen (G) gegen Norbert Hofer (FPÖ) durch. Eine unübersehbare Zäsur, die das politische Nachkriegsösterreich auf den Kopf stellte, denn erstmals waren Rote und Schwarze Kandidaten chancenlos und sogar näher am Ergebnis von Politclown Richard „Mörtel“ Lugner, als an der Hürde zur Stichwahl.
Für die Grünen aber sollte sich die Eroberung des höchsten Amtes im Staate als Pyrrhussieg erweisen. Organisatorisch und finanziell ausgelaugt, war man nicht mehr in der Lage – oder schlicht nicht Willens – sich ausreichend dem Krisenherd, an der studentischen Basis und bei den jungen Grünen, zu widmen. Was folgte waren Abspaltungen, Drohungen, Rauswürfe, Rücktritte und Abwahlen.
Kopf- und führungslos, ohne Jugendorganisation und vom Start-Up ihres geschassten Aufdecker-Altstars Peter Pilz in die Seile gedrückt, taumelte die Rumpf-Partei schlussendlich Richtung Wahldebakel.
Scherbenhaufen
Sozusagen war das Parlaments-Aus also echte grüne Handarbeit. Viele mussten da zusammenhelfen, um zu vernichten, was Generationen zuvor aufgebaut hatten. Allen voran das Führungsduo Glawischnig/Luschnik.
Sie, die Parteichefin, die schon kurz nach dem Rücktritt ihr Glück bei Erzfeind Novomatic suchte. Und er, als Bundesgeschäftsführer mutmaßlicher Architekt des grünen Untergangs, der heute in ähnlicher Position NEOS einen letzten Rest strolz’scher-Bürgerbewegung austreibt.
Sie haben das sinkende Schiff verlassen und mit ihnen eine ganze Armee an Glücksrittern.
Neustart unmöglich
Aber selbst diese Krise hätte für „Trümmerfrau“ Werner Kogler eine enorme Chance bieten können. Erst dann nämlich, wenn der Ballast abfällt, ist echte Erneuerung möglich, kann aus Fehlern gelernt und eine solide Basis für das Comeback und den nächsten evolutionären Schritt gelegt werden.
Vorgezogene Neuwahlen haben Kogler die dafür notwendige Zeit aber schlicht nicht gegönnt. Wer mag es dem Parteichef-wider-Willen also vorwerfen, dass hastig zusammengeflickt wurde was übrig war, um halbwegs schwimmfähig und mit Rückenwind aus Ibiza in den sicheren parlamentarischen Hafen zurück zu tümpeln?
Am Ende dann tatsächlich von der wuchtig brandenden Fridays-for-Future-Klimakids-Welle bis in die Regierung geschleudert zu werden, hatten aber wahrscheinlich nur die unerschütterlichsten Optimisten auf dem Schirm.
Grünes Treibgut im türkisen Meer
Angekommen im zweiten Regierungsjahr, wird die fehlende inhaltliche und vor allem auch personelle Aufbauarbeit, in der grünen Substanz, aber immer deutlicher spürbar. Beginnend mit dem Rücktritt von Kurzzeit-Kultur-Sekretärin-Lunacek, deren Scherbenhaufen nun von einer Roten Beamtin aufgeräumt wird, bis hin zum krankheitsbedingten Ausscheiden des bemühten Rudi Anschobers. Auch er wird von einem Quereinsteiger beerbt. Grüne Personalreserven – Fehlanzeige.
Ja und dann ist da noch Justizministerin Alma Zadic. Maximal grün hinter den politischen Ohren, übt sich die „Anwältin im zweiten Jahr“, wie schon zu ihrer Zeit als Pilz-Abgeordnete, meist in nobler Zurückhaltung, will abwarten und vor der nächsten Nicht-Entscheidung zuerst einmal “Experten” hören. Ein Zugang, der zwar allerorts für höchste Beliebtheitswerte sorgt, ihr Haus aber zunehmend im Chaos versinken lässt.
Allein Ex-Global 2000 Geschäftsführerin Gewessler liefert als Umweltministerin unaufgeregt solide Arbeit. Letztlich wird aber das – so weit hat sich Werner Kogler schon ins ungewohnte Sportressort eingearbeitet – wohl auch nicht reichen, um die Grünen ein weiteres Mal in die Medaillenränge zu heben. Spätestens mit Ende der akuten Pandemie droht also der Abpfiff und die oppositionelle Ersatzbank. Für viele gebeutelte Grüne wahrscheinlich eine sehr angenehme Perspektive.
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