Frankreich: Lehrerin zeigt Muslimen Gemälde – nun fürchtet sie um ihr Leben
Eine Schule im französischen Dorf Issou wurde vorübergehend geschlossen. Die Lehrer blieben dem Unterricht fern. Zuvor hatte eine Kollegin muslimischen Schülern ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert gezeigt. Zu sehen war eine Szene der griechischen Mythologie mit nackten Frauen. Es folgten Proteste und Drohungen.
Das Schicksal des griechischen Helden Aktaion inspirierte Generationen von Künstlern. Antike Dichter, Bildhauer, sowie Maler der Renaissance und des Barocks ließen sich von dem Mythos zu Höchstleistungen anregen. Bis heute ernten ihre Kunstwerke Bewunderung. Damit soll nun Schluss sein. So sehen das zumindest jene muslimischen Schüler, die über den Anblick eines Aktaion-Gemäldes außer sich geraten sind vor Wut.
Eine französische Lehrerin, die den Jugendlichen das Bild vorgeführt hat, wurde mit Hass-Botschaften und Drohungen tyrannisiert. Sie und ihre Kollegen fürchten mittlerweile um ihr Leben. Die protestierenden Jugendlichen und ihre Eltern halten es nämlich für empörend, die malerische Darstellung nackter Frauen sehen zu müssen. Sie orten einen rassistisch motivierten Angriff auf ihre Religion.
Tizian und Rembrandt schufen bekannte Bilder der Aktaion-Sage
Die Erzählung über den dramatischen Tod Aktaions, deren bekannteste Version von Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) stammt, faszinierte zahlreiche berühmte Maler. Der Sagenheld sucht während der Jagd einen ruhigen Platz zum Ausruhen und ertappt dabei versehentlich Artemis (bzw. in der römischen Mythologie Diana), die Göttin der Jungfräulichkeit, beim Baden. Beschämt darüber, von Aktaion nackt gesehen zu werden, verwandelt Artemis den unerwünschten Eindringling in einen Hirsch, der anschließend von seinen eigenen Jagdhunden zerfleischt wird.
Tizian (zirka 1490 bis 1576) widmete sich dem Mythos in zwei Gemälden („Diana und Aktaion“ und „Der Tod Aktaions“) aus unterschiedlichen Perspektiven, in denen er genial die Verflochtenheit von Neugierde und Schock, bzw. von Scham und Zorn darstellte. Berühmtheit erlangte auch Rembrandts (1606 bis 1696) Bildnis „Das Bad der Diana mit Aktaion und Kallisto“. Eine weitere Darstellung des italienischen Malers Giuseppe Cesari (1568 bis 1640) befindet sich im Pariser Louvre. Die muslimischen Schüler im französischen Dorf Issou dürften dort noch nicht gewesen sein. Andernfalls hätten sie Cesaris Gemälde in dem bedeutenden Kunstmuseum bereits betrachtet.
Lehrer klagen über wachsende Gewalt und fehlende Achtung der Meinungsfreiheit
Am Donnerstag zeigte eine Lehrerin der Jacques-Cartier-Schule das Bildnis vor einer Klasse der sechsten Schulstufe. Neben dem Jäger Aktaion sind darauf die nackte Göttin Diana und ihre ebenfalls nackten Nymphen zu sehen. Zahlreiche muslimische Schulkinder erblickten darin eine bewusste Provokation. Einige verdeckten ihre Augen. Später behaupteten sie, die Lehrerin habe sich überdies islamophob geäußert. Anschließend folgten Beschwerden der Eltern. Sie sollen laut der Generalsekretärin der nationalen Lehrergewerkschaft Unsa die Lehrerin verbal angegriffen, sowie Anschuldigungen, Verleumdungen und Drohungen über sie verbreitet haben, die ihre „körperliche und seelische Unversehrtheit“ verletzten.
Mittlerweile fürchten alle Lehrer der Schule um ihre Sicherheit. Aus Solidarität mit ihrer Kollegin blieben sie dem Unterricht am Montag fern, die Schule blieb geschlossen. Schon seit längerem berichtet das Lehrpersonal von Gewalt unter den Schulkindern. Werte der Republik wie freie Meinungsäußerung und Laizismus würden von den Eltern immer weniger respektiert. Die Kritik am Gemälde habe aber eine Schmerzgrenze erreicht, erklärten sie in einem gemeinsamen Brief.
Der Bildungsminister musste einschreiten
Einige Schüler sollen ihre Aussagen zum angeblich rassistischen Verhalten der Lehrerin bereits am Freitag zurückgezogen und sich entschuldigt haben. Bildungsminister Gabriel Attal ist am Montag eigens nach Issou gereist, um die Stimmung zu beruhigen. Er kündigte ein Disziplinarverfahren gegen die betroffenen Schüler an. Die Schule soll überdies zusätzliche Mitarbeiter für die Betreuung der Schulkinder erhalten.
In der Zwischenzeit häuften sich Berichte über aggressives Verhalten der Schüler. Die Furcht der Lehrer scheint nicht unbegründet zu sein. Was sie sicherlich auch nicht vergessen haben: Erst vor zwei Monaten wurde der Professor eines Gymnasiums im nordfranzösischen Arras von einem Terroristen getötet. Überdies erlangte der Fall von Samuel Paty über Frankreichs Grenzen hinaus Bekanntheit. Der Lehrer hatte 2020 im Unterricht Mohammed-Karikaturen präsentiert. Damit zog er den Zorn muslimischer Schüler und Eltern auf sich, der sich in einem Shitstorm auf Social Media entlud. Wenig später wurde Paty vor dem Schulgebäude von einem radikalen Islamisten ermordet.
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