In Yogyakarta, einer Universitätsstadt auf der Insel Java, wurde eine Koranschule gegründet, in der Transfrauen den Koran studieren. Die Einrichtung nennt sich Al-Fatah-Schule – und ist weltweit wohl einzigartig. Während sie für ihre Schülerinnen ein Ort der Zuflucht ist, sehen viele gläubige Muslime darin einen Bruch mit religiösen Prinzipien. In einem Land, in dem der Glaube Pflicht und Zweifel tabu sind, sorgt das Projekt für Diskussionen – und für Spannungen zwischen Tradition, Religion und Identität.

Einzigartige Schule für die „Waria“ Indonesiens

Die Leiterin der Schule, Yuni Shara al Buchory, ist selbst Transfrau. Sie wurde 1970 als Junge geboren und wusste schon früh, dass sie anders war. Heute unterrichtet die 55-Jährige 45 Schülerinnen in Arabisch, Koranrezitation und islamischem Alltagswissen. Die Einrichtung versteht sich als spiritueller Rückzugsort für sogenannte „Waria“ – ein in Indonesien gebräuchlicher Begriff für Transfrauen.

Doch die Al-Fatah-Schule ist mehr als nur ein Ort des Lernens. Für viele Waria bedeutet sie auch Schutz vor einer Gesellschaft, die sie kaum akzeptiert. Denn obwohl Indonesien offiziell tolerant wirkt, gilt es als streng islamisch geprägtes Land, in dem 87 Prozent der Bevölkerung Muslime sind und Geschlechterrollen klar festgelegt bleiben.

Glaube als Pflicht – und als Grenze

In Indonesien ist Religion kein privates Bekenntnis, sondern staatliche Vorgabe. Jeder Bürger muss sich offiziell zu einer Religion bekennen – Atheismus ist nicht erlaubt. Das islamische Leben ist von strenger Geschlechtertrennung geprägt: Männer und Frauen beten getrennt, und Transfrauen finden in keiner Moschee Platz.

Genau hier setzt Al-Fatah an. Die Schule bietet Transfrauen erstmals die Möglichkeit, den Koran zu studieren, ohne sich verstecken zu müssen. „Gott ist gut zu all seinen Geschöpfen, wenn man an ihn glaubt“, sagt Yuni Shara.

Für sie ist der Unterricht nicht nur Glaube, sondern auch Selbstbehauptung. Doch für viele konservative Muslime bleibt das Konzept ein Widerspruch zu den Regeln des Islam.

Widerstand von Fundamentalisten: Keine Hilfe vom Staat

Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 steht die Schule unter Druck. Immer wieder mobilisieren islamistische Gruppen gegen die Einrichtung. Am 18. Februar 2016 eskalierte die Situation: Eine Gruppe von Männern blockierte das Schulgebäude, viele Schülerinnen flohen. Der Unterricht kam wochenlang zum Stillstand – Polizei und Behörden griffen nicht ein.

Erst Monate später nahm die Schule still ihren Betrieb wieder auf. Seither bleibt Al-Fatah ein Ort des leisen Widerstands – und ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, religiöse Toleranz in einem Land durchzusetzen, in dem der Islam nicht nur Glaube, sondern auch Gesetz ist.

Zwischen Anpassung und Akzeptanz

Trotz aller Anfeindungen bleibt Yuni Shara optimistisch. Sie lehrt ihre Schülerinnen nicht nur aus dem Koran, sondern auch über Respekt und Selbstwert. Im Alltag erfährt sie selbst Akzeptanz – nicht von allen, aber von vielen.

Abends sitzt sie mit ihren Schülerinnen auf der Veranda, raucht eine Kretek-Zigarette, scherzt, lacht. „Ich bin freundlich“, sagt sie, „aber keine Heilige.“

Die Al-Fatah-Schule bleibt ein außergewöhnliches Experiment: ein Versuch, Glauben und Identität in Einklang zu bringen – und ein Spiegel der Spannungen zwischen Moderne und Religion in der größten muslimischen Nation der Welt.