Kolumne Rudolf Öller: Vielfalt und Einfalt
Der Regenbogen ist ein schönes Naturphänomen, das sowohl als biblisches Sinnbild als auch als Symbol moderner Physik gelten kann. Regenbogenfahnen sind dagegen kein Symbol der Vielfalt, sondern ein Glaubenssymbol der Einfalt, findet express-Kolumnist Rudolf Öller.
Diversität, zu deutsch Vielfalt, ist das aktuelle Lieblingswort aller Weltverbesserer. Diversität ist ein Bobo-Code für Fortschritt. In Wahrheit ist sich kaum jemand darüber im Klaren, wie weit Diversität reicht. Regenbogenfahnen sind jedenfalls ein nettes, dennoch untaugliches Symbol für Vielfalt.
Das älteste Regenbogensymbol ist ein Bild göttlichen Friedens. In der Genesis (1. Buch Moses) steht geschrieben: „Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken, er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.“
Der entzauberte Regenbogen
In den Naturwissenschaften ist der Regenbogen das Symbol der Begründung völlig neuer Wissensbereiche. Der Biologe und Autor Richard Dawkins schreibt in seinem Bestseller „Der entzauberte Regenbogen“, dass die Physiker den Regenbogen weder als göttliches Symbol noch als Symbol der Vielfalt sehen. Der Regenbogen ist nichts als zerlegtes weißes Licht. Philosophen und Dichter der Romantik hat das mit Unbehagen erfüllt. Das Missverständnis zwischen Wissenschaftlern und Romantikern dauert bis heute an, weil Wissenschaftler in erster Linie die Sprache der Mathematik verwenden, die Romantiker hingegen Gefühle und Fantasie betonen. Beides hat seine Daseinsberechtigung.
Geraubte Mystik
Der erste Physiker, der dem Regenbogen die Mystik raubte, war der Deutsche Max Planck, der einen Zusammenhang zwischen Regenbogenfarben und Energie entdeckte und eine entsprechende Formel entwarf. Das begründete im Jahr 1900 die Quantenphysik. Fünf Jahre später führte Albert Einstein den Begriff des Lichtquants ein. Das Licht, genauer: die Lichtgeschwindigkeit, stand auch an der Wiege von Einsteins spezieller Relativitätstheorie.
Heute wissen wir, dass sichtbares Licht mit seinen Regenbogenfarben nur ein verschwindend kleiner Teil eines gigantischen Strahlenspektrums ist. Wenn wir uns die Wiener Ringstraße als Symbol des gesamten elektromagnetischen Spektrums vorstellen, dann finden wir an einem Ende die gefährlichen Gamma- und Röntgenstrahlen und am anderen Ende langwellige Radiowellen. Das sichtbare Lichtspektrum ist nur ein daumenbreiter Bereich irgendwo in der Mitte. Die Regenbogenfarben als Symbol der Vielfalt entlockt Physikern nur ein mildes Lächeln.
Die wahre Vielfalt
Die wahre Vielfalt der Natur zeigt sich in der Welt des Lebens. Die tatsächliche Zahl der biologischen Arten ist unbekannt. Wir können nur die in den Wissenschaften bekannten Arten aufzählen. Heute kennen wir (gerundet) 1,8 Millionen Tier-, 250.000 Pflanzen-, 120.000 Pilz und 25.000 Flechtenarten. Da die Genetiker innerhalb der Arten so genannte Geschwisterarten nachweisen konnten, ist die wahre Zahl der Arten noch weit höher.
Dem amerikanischen Biologen Richard Lewontin genügte das nicht. Er wollte wissen, wie groß die Vielfalt innerhalb einer Art ist. Er entwarf eine Methode, mit der er nachweisen konnte, dass bei den biologischen Arten – auch beim Menschen – ungefähr fünf oder mehr Prozente aller Gene unterschiedlich sind. Das klingt nach wenig. Wenn man aber in Rechnung stellt, wie viele Gene die Entstehung eines Lebewesens steuern, dann kann man nachweisen, dass es theoretisch mehr verschiedene Menschen geben kann, als Sterne im Universum vorhanden sind. Wir benötigen also keine Regenbogenaktivisten, um uns zu erzählen, was Vielfalt ist. Die Biologen haben es zuerst nachgewiesen: Jeder von uns ist ein Teil einer gigantischen Vielfalt.
Glaubenssysteme
„Es gibt viele Musikrichtungen, aber es gibt nur zwei Geschlechter“ war auf zwei Transparenten bei einem deutschen Bundesligaspiel im letzten Winter zu lesen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) verhängte daraufhin eine Geldstrafe gegen den Club Bayer Leverkusen.
Es gibt keinen geeigneten Begriff, mit dem man diese Dummheit des DFB beschreiben kann, denn es gibt tatsächlich nur zwei Geschlechter. Männer unterscheiden sich hinsichtlich Anatomie und Hormonhaushalt fundamental von den Frauen. Es können Missbildungen bei den Fortpflanzungsorganen auftreten, auch fehlende Organe kommen vor, aber es gibt auf keinen Fall mehr als zwei Geschlechter. Wer glaubt, es gäbe zwanzig oder mehr Geschlechter, kann das für sich alleine machen, weil es sich um ein Glaubenssystem handelt. Glaubenssysteme sind beispielsweise Kreationismus, Astrologie, Esoterik und andere. Der Philosoph Sir Karl Popper zählt auch den Marxismus zu den Glaubenssystemen. Die Zeiten, als man Menschen verfolgte, die eine vermeintlich falsche Religion hatten oder an unerwünschte Ideologien glaubten, schienen vorüber zu sein. Jetzt, im 21. Jahrhundert, fallen wir um Jahrhunderte zurück. Das Glaubenssystem der vielen Geschlechter muss bei Strafandrohung einer neuen Inquisition für wahr gehalten werden.
Diejenigen Parteien, die uns diese Pseudowissenschaft aufgetischt haben, werden zurzeit in Österreich und Deutschland gestutzt. Das ist die gute Nachricht. Leider gibt es auch in den bürgerlichen Parteien, ja sogar in den Kirchen, Menschen, die den neuen Glaubenssystemen beigetreten sind. Die Sache ist längst klar: Schwule hat es schon immer gegeben. Zum Glück werden sie heute nicht mehr gestraft. Mit einer Vielzahl von Geschlechtern hat das aber rein gar nichts zu tun, denn Männer, die sich als Frau fühlen, bleiben Männer.
Der Regenbogen ist ein schönes Naturphänomen, das sowohl als biblisches Sinnbild als auch als Symbol moderner Physik gelten kann. Regenbogenfahnen sind dagegen kein Symbol der Vielfalt, sondern ein Glaubenssymbol der Einfalt.
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