
Sind Täter wirklich immer "psychisch krank"? – Experten sagen Nein
Ein Somalier, der eine Frau vor eine einfahrende S-Bahn stößt, ein Armenier, der mit dem Auto in eine Gruppe Kinder rast, ein Afghane, der wahllos eine Frau ins Koma sticht. Immer wieder liest man sofort nach solchen Vorfällen davon, die Täter seien “psychisch krank”. Doch ist das wirklich immer der Fall? Experten sagen Nein.
Der Verdacht liegt nahe, denn, wer psychisch gesund ist, käme wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee, wildfremde unschuldige Menschen töten zu wollen. Psychiater erklären aber, dass wirklich psychisch kranke Menschen nicht gewaltbereiter seien, als andere.
Nur ein Drittel der Taten von wirklich psychisch Kranken
“Wenn es zu solchen spektakulären Fällen kommt, dann sorgt das medial natürlich für Aufsehen“, sagt die Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin, Isabella Heuser. Dadurch entstehe der Eindruck, nur psychisch Kranke seien zu solchen Taten fähig. Eine Meinung, die unter Experten gängig ist. Denn auch laut der Kriminalpsychologin Karoline Roshdi, die unter anderem zum Umgang mit bedrohlichem Verhalten und zur Prävention schwerer Gewalt und Amok berät, wird nur ein Drittel solcher Taten von Menschen mit wirklichen psychischen Störungen begangen, berichtet die “Welt”.

17,8 Millionen psychisch Kranke in Deutschland
Psychische Erkrankungen, also etwa Depressionen oder Panikattacken, sind in der Bevölkerung sehr häufig: Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde sind jedes Jahr knapp 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspreche rund 17,8 Millionen Menschen. Warum also werden diese nicht zu Tätern?

Nachahmungstäter in Berlin?
Auch im Falle des Todesfahrers von Berlin gab es schnelle Diagnosen. So gebe es Anhaltspunkte dafür, dass der Armenier an einer paranoiden Schizophrenie leide. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung seien Medikamente gefunden worden. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) berichtete, der Mann sei in der Vergangenheit öfter der Polizei aufgefallen, es habe Ermittlungen wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung gegeben.
Roshdi wird da etwas konkreter: Im aktuellen Fall sei zwar noch vieles unklar, daher sei eine genaue Beurteilung schwierig. Häufig liege in solchen Fällen aber eine Schizophrenie mit Verfolgungswahn vor. In dem aktuellen Fall komme angesichts des besonderen Tatorts – in der Nähe war 2016 der islamistische Anschlag – zudem eine „Nachahmungsdynamik“ in Betracht.
Zur Frage, wie vorhersehbar solche Taten sind, sagt die Kriminalpsychologin, man könne zwar Risikoeinschätzungen vornehmen, für die es auch solide Instrumente gebe – „aber das ist eine Momentaufnahme fürs Hier und Jetzt“.
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