Studie: Für Österreicher nur ein „Oaschloch“ – kein Rassismus in Terrornacht
Eine neue Untersuchung enthüllt Überraschendes: Auf den grausamen Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien reagierte Österreich weder rassistisch noch islamfeindlich. Im Gegensatz zu anderen Ländern dominierte der Zusammenhalt: „Schleich di, du Oaschloch!“ prägt bis heute die Erinnerung.
Wir Österreicher sind ganz besonders rassistisch, behauptete kürzlich die EU. Eine Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) mit Sitz in Wien war zu diesem Ergebnis gelangt. 72 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen fünf Jahren wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion benachteiligt worden zu sein. Der EU-weite Schnitt lag bei 45 Prozent, nur Deutschland schnitt mit 76 Prozent noch schlechter ab.
Ein gänzlich anderes Bild zeigt eine neue Studie von Forschern der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Ausgerechnet in einer der dunkelsten Stunden Österreichs vor drei Jahren – unter dem Schock des Terror-Anschlags vom 2. November 2020 – dominierten hierzulande weder islam- noch fremdenfeindliche Reaktionen. Damit hebt sich Österreich sogar von anderen Ländern ab.
#schleichdiduoaschloch prägte das kollektive Gedächtnis 🌹 ÖAW-Forscher:innen @m_tambuscio und @eltschiggolo untersuchten 248.000 Tweets rund um den Wiener Terroranschlag am 2.11.2020 zu kollektiven Narrativen der Erinnerung. Mehr dazu: https://t.co/0xQuvdxVWb pic.twitter.com/BEXoQfAcm6
— Austrian Academy of Sciences (@oeaw) October 30, 2023
Gemeinschaft und Gedenken an die Opfer stehe im Vordergrund
Auf X (damals Twitter) ging damals der wienerische Hashtag #schleichdiduoaschloch viral, der bis heute die kollektive Erinnerung an den Terroranschlag prägt. Forscher an der ÖAW haben die Beiträge auf der Plattform X analysiert. Dabei zeigten sich vor allem positive Narrative der Gemeinschaft und des Gedenkens an die Opfer, berichten sie im Fachjournal „Social Media & Society“. Auf Rassismus stießen sie kaum.
Am 2. November hatte ein IS-Sympathisant vier Menschen in der Wiener Innenstadt getötet und 23 verletzt, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Rund 250.000 Tweets über den Anschlag in den Tagen und Wochen danach haben der Historiker Martin Tschiggerl vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte und die Computerwissenschafterin Marcella Tambuscio vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage (beide ÖAW) analysiert. Dabei untersuchten sie auch, wie sich die kollektive Erinnerung in Österreich und international bildete.
Ein Mythos im allgemeinen Gedächtnis
Ihrer quantitativen Netzwerkanalyse zufolge hat sich vor allem der in der Terrornacht entstandene Hashtag #schleichdiduoaschloch bereits in den ersten 48 Stunden im deutschsprachigen Raum als kollektives Narrativ der Erinnerung etabliert. Er prägte die Diskussionen in den folgenden Monaten, bis hin zum ersten Jahrestag des Ereignisses. „Der Hashtag hat seinen Weg aus Twitter herausgefunden und den gesamten Erinnerungsraum zu dem Thema erschlossen – was außergewöhnlich ist“, sagte Tschiggerl. Es habe T-Shirts damit gegeben, Graffitis und Transparente. „#schleichdiduoaschloch hat einen Meme-Charakter angenommen“, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit.
Der Grund dafür sei, dass dieser Satz „so wienerisch ist, so gut passt und deshalb ja so schnell viral gegangen ist – man hätte es gar nicht besser erfinden können“, meinte Tschiggerl. Angeblich soll jemand dem Attentäter das aus einem offenen Fenster zugerufen haben, aber ein Video, wo tatsächlich jemand diesen Satz sagt, habe niemand gesehen. Es existiere nur ein Video, in dem jemand „Oaschloch“ ruft, so der Historiker, der deshalb von einem „erinnerungspolitischen Mythos“ spricht.
Forscher überrascht über positive Reaktionen in Österreich
Überrascht hat die Wissenschafter, dass mit dem Anschlag vor allem „positive Narrative der Gemeinschaft und des Gedenkens an die Opfer“ verbunden seien, der Hashtag sei zum Symbol des Zusammenhalts von Wien geworden. Dagegen seien islam- oder fremdenfeindliche Inhalte „nur in absoluten Einzelfällen zu beobachten und spielen innerhalb der verschiedenen österreichischen Netzwerke aufgrund der geringen Reichweite eine absolut untergeordnete Rolle“, berichtet Tschiggerl.
Anders die internationalen Reaktionen auf den Terroranschlag: Bei ihnen überwogen sehr wohl islam- und fremdenfeindliche Inhalte in den sozialen Medien, etwa unter Hashtags wie #viennaattack oder #0211w. Sie verknüpften die Tat mit anderen Terroranschlägen, vor allem aus Städten, die ähnliche Anschläge erlebt haben, etwa Paris, Nizza oder Barcelona.
Besonders deutlich werde dies am Beispiel Indiens: Mehr noch als in Frankreich oder Spanien hätten indische Nutzer die Tat in Wien ideologisch mit einer vehementen Gegnerschaft zu Pakistan aufgeladen und die Erinnerung an den Anschlag in Mumbai 2008 wieder aktualisiert.
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