Toter Bub aus der Donau: Niemand vermisst das Kind
Vor über einem Jahr entdeckte ein Kanufahrer in der Donau ein Paket mit der Leiche eines Buben. Seitdem wird fieberhaft nach der Identität des Kindes gefahndet. Doch niemand scheint es zu vermissen. Es gibt keine heiße Spur, aber die zuständige Mordermittlerin gibt nicht auf.
Constanze Niess ist Rechtsmedizinerin und eine der ganz wenigen, die unbekannten und unkenntlichen Toten ein Gesicht geben kann. Sie hat den Kopf jenes Buben modelliert, der am 19. Mai vergangenen Jahres von einem Kanufahrer in der Donau entdeckt wurde: Verschnürt in einem mit Beton erschwerten Paket: 60 Zentimeter lang, 40 Zentimeter breit. Das Päckchen wog 27 Kilo.
Der Kanufahrer – ein Richter – zog es mit seinem Paddel an sich, die Polizei öffnete es. Darin: ein toter Bub, nackt, zwischen drei und sieben Jahre alt, dunkelblonde bis braune Haare, knapp 15 Kilo schwer. Das Gesicht war durch das Wasser der Donau kaum noch erkennbar, deshalb modellierte es die Pathologin. Sie entschied sich für blaue Augen.
Wochenlang arbeitete Constanze Niess an der Büste. Der Kopf war auf einem Besenstiel angebracht. Er stand auf einem alten Gartentisch, den die Rechtsmedizinerin in einem Eck ihres Schlafzimmers aufgestellt hatte. Vergangenen November war die Büste fertig, seitdem wird mit dem Antlitz öffentlich gefahndet.
Wurde der Bub ermordet, hatte er einen tödlichen Unfall?
In allen Zeitungen, auf allen Sendern, natürlich bei Aktenzeichen XY ungelöst… Doch niemand vermisst das tote Kind aus der Donau. Es gibt keinen einzigen konkreten Hinweis auf die Eltern des Buben, es gibt nicht einmal eine offizielle Todesursache. Wurde das Kind ermordet, starb es bei einem Unfall oder durch eine Krankheit?
Fragen über Fragen, die Hauptkommissarin Silke Poller, Chefin des Kommissariates 1 der Mordkommission im oberbayerischen Ingolstadt klären möchte. In ihrem Zuständigkeitsberbeich, da wo die Donau bei Großmehring immer breiter wird, wurde das Paket aus dem Fluss geborgen. Über die Donau führt eine Brücke. Es ist möglich, dass jemand ein totes Kind im Vorbeifahren entsorgt hat. Genau so gut kann der Bub aber auch durch einen Einheimischen am Flussufer abgelegt worden sein.
Silke Poller ist nicht zu beneiden. Vermisste und tote Kinder gibt es häufiger. Eine Leiche aber, hinter der niemand steht, belastet und fordert die Ermittler besonders. Kinderleichen, die bis zuletzt unbekannt blieben, sind die absolute Ausnahme. Die “Tote aus dem Main” war vor vielen Jahren so ein Fall. Wo anfangen, wenn es keine Identität, nicht mal einen ehemaligen Aufenthaltsort gibt. 15 Kilometer entlang des Ufers hat die Polizei an der Donau jeden Stein umgedreht. Aber der Fluss ist 2800 Kilometer lang.
Wie lange wird Silke Poller mit ihrem Ermittlerteam noch versuchen, die Identität des Kindes herauszufinden? “Es gibt keine zeitlichen Vorgaben. Meine Kollegen haben schon mal gesagt, dies wird der Fall ihres Polizeilebens.”
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