Diesen Winter hat Europa einigermaßen gut überstanden. Doch heuer erwartet den Kontinent eine enorme Versorgungslücke. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet mit 27 bis 57 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die den Europäern bis zum Jahresende fehlen werden. Wo diese Menge herkommen soll, ist zurzeit unklar.

IEA: Europa muss sich was einfallen lassen

Der Stresstest der IEA geht von einem Ende der russischen Pipeline-Gaslieferungen in die Europäische Union aus. Aus einer Gesamtbewertung „ergibt sich eine Lücke zwischen der EU-Basisnachfrage und dem Angebot im Jahr 2023 von 57 Milliarden Kubikmeter“, heißt es in dem Bericht. Allerdings würden gewisse Maßnahmen, die bereits geplant sind, weitere 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas ersetzen. Die IEA verweist unter anderem auf die Erweiterung der erneuerbaren Energien, Brennstoffwechsel in der Industrie und Verbesserung der Energieeffizienz. „Damit verbleibt eine Lücke von 27 Milliarden Kubikmetern“.

Europas selbstverschuldete Energiekrise
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Fazit: Ohne zusätzliche Anstrengungen riskiert Europa „höhere Ausschläge der Gaspreise“. Neben horrenden Energierechnungen könnten auch Rationierungen und Notmaßnahmen zum Schutz der Verbraucher folgen. „Dies würde weitreichende Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und die Haushaltslage haben.“

Experten bezweifeln, dass die Trennung von Putins Gas endgültig ist

Gedeckt werden könnte die Lücke natürlich durch die Pipeline Nord Stream 1, deren Durchleitungsvolumen rund 55 Milliarden Kubikmeter jährlich erreicht. Die „New York Times“ zitierte einen leitenden Mitarbeiter von Gazprom mit der Äußerung: „Warte bloß einen einzigen kalten Winter ab, und sie werden um unser Gas betteln.“ Dass Europa in einer akuten Notlage doch noch auf die Nord-Stream-Pipelines zurückgreift, ist möglich, und selbst die den Anschlag Ende September nicht zunichte gemacht worden.

Ohne billiges Gas ist Europas Industrie nicht wettbewerbsfähig. Die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream ist daher möglich.

Das sehen auch Branchenexperten so. „Die geografischen und marktwirtschaftlichen Gegebenheiten können selbst die entschlossensten politischen Entscheidungsträger übertrumpfen“, kommentierte jüngst die Nachrichtenagentur Bloomberg. Sie erwähnte auch ein vom Oxford Institute for Energy Studies im Dezember organisiertes Treffen. Dass Europas Ausstieg aus russischem Erdgas von Bestand sein werde, meinten dort nur 40 Prozent der Anwesenden. 40 Prozent waren der gegenteiligen Ansicht. Der Grund liegt auf der Hand: Ohne kostengünstiges Erdgas könnten zentrale Branchen der europäischen Industrie nicht überleben.