Viktor Orban steht momentan von vielen Seiten in der Kritik. Besonders Ungarns Position im Ukrainekrieg und das angespannte Verhältnis zur EU und den USA sorgt für kontroverse Debatten. Darüber ist sich auch der stellvertretende Minister von Viktor Orban, Csaba Dömötör, bewusst.  „Die ungarische Position im Bezug auf den Krieg ist sicher nicht der Mainstream“, erklärt er bei seinem Wien-Besuch im Hintergrundgespräch mit dem eXXpress.

„Der Krieg kann nicht gewonnen werden, es braucht endlich Friedensgespräche“

Ein großer Unterschied zwischen Ungarn und den meisten EU-Ländern sei die strikte Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine. „Wir wissen, was Krieg bedeutet“, erinnert Dömötör an den Eisernen Vorhang und die kommunistische Geschichte seines Landes „Wir wollen definitiv kein Teil des Kriegs sein“. Waffenlieferungen würden Ungarn „noch näher an den Konflikt bringen“, dies lehne die Regierung ab.

Den kürzlich gefassten Beschluss der EU, weitere Waffen und Kriegsmaterial in die Ukraine zu schicken, kritisierte Orban scharf. Vielmehr bräuchte es Friedensgespräche. „Eines ist klar: Niemand kann diesen Krieg gewinnen. Zwei große Länder kämpfen gegeneinander, und eines davon hat Atomwaffen. Der Krieg kann nicht gewonnen werden“, sagt Dömötör. Die USA und Russland müssten sich endlich zu Friedensgesprächen einfinden: „Ungarn und der Vatikan sind die einzigen Länder, die Friedensgespräche wollen. Das ist alarmierend.“

Ungarn baut Atomkraftwerk aus

Auch was die Energieversorgung des Landes betreffe, sei Ungarn in einer „außergewöhnlichen Position. Ja, leider sind wir sehr abhängig von russischem Gas und Öl“. Ungarn bezieht momentan mehr als 80 Prozent seiner Gaslieferungen und 60 Prozent des Öls von russischen Anbietern.

„Wir haben hier kurzfristig keine anderen Alternativen, das ist Fakt“, sagt Dömötör. Auf lange Sicht investiere das Land in Solarenergie und – gegen den europäischen Trend – in Atomstrom. Das einzige Atomkraftwerk des Landes, Paks, wurde in den 1980er Jahren in Kooperation mit Russland errichtet und wird nun ausgebaut. Mehr als 40 Prozent der Energieversorgung Ungarns werde durch das Atomkraftwerk gewährleistet, erklärt Dömötör. „Wenn russische Nuklear-Zulieferer von der EU sanktioniert werden, hat das fatale Auswirkungen auf die ungarische Energieversorgung“, befürchtet er. Statt russischem Gas nun LNG-Gas aus den USA zu beziehen, würde den Preis vervierfachen – „und jemand muss den Preis bezahlen“. Deshalb habe man den Vertrag mit Russland erneuert.

Einmischung aus den USA in die Innenpolitik Ungarns

Auch berichtet Dömötör von einem „Skandal“ in der ungarischen Innenpolitik. Wie sich herausstellte, sollen die kriegsbefürwortenden Oppositionsparteien große Geldbeträge von „Organisationen aus Übersee“ erhalten haben. Hier will das Justizsystem klar gegen und Einflussnahmen aus dem Ausland vorgehen.

Die eigene Bevölkerung steht für Orbans Vize-Kabinettschef klar im Vordergrund: „Für uns ist die erste Frage immer: Was ist das Beste für Ungarn?“ Im Zuge der Energiekrise und der hohen Inflation habe die ungarische Regierung unter anderem Preisdeckel für einige Lebensmittel sowie Pensionserhöhungen und Familienbeihilfen ins Leben gerufen. Auch die Steuerlast sei „so niedrig wie möglich“. Für Unternehmen gäbe es eine Flatrate von neun Prozent. „Letztes Jahr haben wir damit den Rekord an Investitionen im Land gebrochen“.

Gegner Orbans wollen „Ungarn wirtschaftlich brechen“

Im Hinblick auf die Entwicklung der EU zeigt sich Dömötör kritisch. Dass Ungarn die beschlossenen Milliardengelder der EU noch immer nicht erhalten habe, läge neben teils fragwürdigen Bedingungen auch an Mitgliedsländern wie Schweden und dem dortigen Premier, „der offen sagt ‚Wir müssen Ungarn wirtschaftlich brechen, damit es seine Position im Ukraine-Konflikt verändert.‘“

Dömötör zeigt sich von solchen Drohungen unbeeindruckt: „Für die EU bedeutet der Großteil der Arbeit weiterhin das Einknicken der Entwicklung von Ungarn, die Ausübung von Druck auf die ungarische Regierung”. Dass Ungarn das einzige EU-Land sei, dass sich so deutlich gegen den Krieg ausspreche, sei ein „Klischee“, so Dömötör. „Wenn Sie sich Umfragen aus EU-Ländern ansehen, wird klar, dass die Bevölkerung Europas mehrheitlich gegen den Krieg ist. Sie denkt, dass der Krieg Europa mehr schadet als nützt“.

Migration: „Bei uns muss man arbeiten“

Generell wünsche er sich, dass die Mitgliedsstaaten ihre Bevölkerung zu wichtigen Themen durch Volksbefragungen oder Abstimmungen öfter miteinbeziehen. „Das betrifft auch das Thema Migration. Die meisten Menschen – auch in Ihrem Land – wollen die Art der Zuwanderung, die gerade stattfindet, nicht“.  Dass die Zahl der Asylanträge in Ungarn so gering sei ( 2022 waren es 46), läge daran, dass Migranten einen Kriegshintergrund beweisen müssen und „nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen einwandern können“. Wenn der Asylantrag genehmigt sei, „müssen sie arbeiten.

Jeder in Ungarn muss arbeiten – deshalb ist unsere Arbeitslosenquote mit vier Prozent auch außergewöhnlich gering. Weil jeder etwas beiträgt“. Es könne jedoch nicht sein, „dass ein gesunder Mensch ins Land kommt und dann ohne Leistung 2000 Euro kassiert. Generell verstehe ich nicht, wieso angebliche Kriegsflüchtlinge nach Europa kommen und ihre Frauen und Kinder im Herkunftsland lassen. Das erscheint mir unlogisch – es muss also wirtschaftliche Gründe haben, dass sie herkommen“. Wie die Zahlen der illegalen Grenzübertritte dieses Jahr sein werden, sei noch schwer abzuschätzen – der Grenzzaun werde jedenfalls beständig ausgebaut.

Verhältnis zur Biden-Regierung ist schwierig

Ungarn steht momentan von mehreren Seiten unter Beschuss. Der ukrainische Wirtschaftsberater von Präsident Selenskyj forderte Anfang der Woche Sanktionen gegen Ungarn, weil sich das Land nicht klar genug von Russland abgrenze. Auch die Beziehungen zur USA sind angespannt.

Dömötör: „Wir haben traditionell gute Kontakte nach Washington. Schwierig ist das Verhältnis nur zur Biden-Regierung. Ein republikanischer Präsident könnte die Fronten zwischen dem Westen und Russland wahrscheinlich aufweichen und würde diplomatischer agieren“. Schwer zu verstehen sei für ihn jedoch, „wieso kein europäisches Staatsoberhaupt das Offensichtliche ausspricht: Europa verliert gerade massiv an Wirtschaftskraft. Europa verliert seine Stellung. Unternehmen wandern nach Amerika oder nach Asien aus“.

Die konservative Fidesz-Partei unter Viktor Orban regiert seit den letzten Parlamentswahlen im April 2022 mit einer Zweidrittelmehrheit. Csaba Dömötör ist seit 2015 im Kabinett des Ministerpräsidenten. Er bekleidet momentan das Amt des Staatsministers für parlamentarische Angelegenheiten und ist stellvertretender Minister von Viktor Orban.