Eine spitze Bemerkung kann sich der Russland-Experte und Politikwissenschaftler Prof. Gerhard Mangottt (Universität Innsbruck) einen Tag nach dem EU-Gipfel in Kiew nicht verkneifen. Angesichts der überschwänglichen Wortmeldungen twittert er über die EU-Spitze und die Führung in Kiew: „Mein böses Fazit des EU-Ukraine Gipfels für ntv: Von der Leyen und Michel sind Handelsreisende in Sachen salbungsvoller Worte; Selenskyj und Schmyhal sind Verkäufer von Illusionen.“

Selenskyj: „Wir sprechen bereits als Mitglieder der EU“

Zunächst hatte der Ukraine-Gipfel Freitagabend in Kiew mit einem Luftalarm gestartet. Danach war man aber beim Zusammentreffen der EU-Spitzen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj primär um positive Stimmung bemüht. Euphorische Worte fand der ukrainische Präsident. Selenskyj sieht sein Land eigentlich schon als EU-Mitglied und erhöhte gleichzeitig den Druck auf die EU: „Wir sprechen bereits als Mitglieder der EU“, erklärte er in einer in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Der Status müsse nur noch rechtlich verankert werden.

Gerhard Mangott (56) unterrichtet Politikwissenschaften an der Uni Innsbruck und ist Russland-Spezialist.

EU-Vertreter hätten bei dem Gipfel in Kiew Beitrittsverhandlungen ohnehin bereits in Aussicht gestellt. Selenskyj wörtlich: „Es gibt ein Verständnis, dass es möglich ist, die Verhandlungen über eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union dieses Jahr zu beginnen.“ Da dürfte die Phantasie mit dem ukrainischen Präsidenten durchgegangen sein. Tatsächlich fielen solche Aussagen nicht.

Präsident Wolodymyr Selensyj (M.) am 3. Februar 2023 mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel (l.) und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (r.).APA/AFP PHOTO/Ukrainian Presidential press-service

Ursula von der Leyen lobt Selenskyjs Entschlossenheit

Ähnlich optimistisch ist der ukrainische Premier Denys Schmyhal: „Wir schaffen das in zwei Jahren“, bekräftigte er gegenüber dem „Spiegel“. So wie Selenskyj erhöhte auch er dabei den Druck primär auf die EU: „Es ist unser Ehrgeiz, Ende 2024 formal bereit für eine Mitgliedschaft zu sein. Die Entscheidung darüber ist dann nicht mehr unsere“.

Der ukrainische Premier Denys Schmyhal sieht sein Land in Kürze als Teil der EU.APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Zurückhaltend äußerte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie lobte Selenskyjs Entschlossenheit und Reformwillen. Dennoch: Einiges sei schon noch zu tun. Über einen konkreten Zeitplan schwieg sich Von der Leyen aus.

Michel zur Ukraine: „Ihr Schicksal ist unser Schicksal“

Um Aufbruchsstimmung bemühte sich auch Ratspräsident Charles Michel: „Die EU wird Sie, so lange wie nötig, auf jede erdenkliche Weise unterstützen“, sagte der Belgier. Die Zukunft der Ukraine liege in der Europäischen Union. Die EU und die Ukraine seien eine Familie. „Ihr Schicksal ist unser Schicksal.“

Ratspräsident Charles Michel verspricht EU-Unterstützung: „so lange wie möglich, auf jede erdenkliche Weise“APA/AFP/Sergei SUPINSKY

Selenskyj setzt große Hoffnungen in eine schnelle EU-Mitgliedschaft. Zahlreiche Vorteile sieht er für sein Land: „Wir bereiten die Ukraine auf eine größere Integration in den internen Markt der EU vor – das bedeutet mehr Einkommen für ukrainische Unternehmen, mehr Produktion und Jobs in unserem Land. Und mehr Einkommen für unseren Staat und die lokalen Haushalte“, sagte er. „Das ist das, was die Ukraine wirklich stärker macht.“