“Zuerst machst du ihn lächerlich, dann kommt die Skandalisierung über die ,richtigen’ Medien – und schließlich die Kriminalisierung mit Anzeigen bei der Justiz, Hausdurchsuchungen und Ermittlungen der Staatsanwälte”, erklärt ein langjähriger Politik-Berater die oft gehörte Strategie eines Ex-Kollegen, der auch von der SPÖ angeheuert und bezahlt worden ist. Der 2017 verhaftete Tal Silberstein sagte das übrigens selbst in einer TV-Doku 2002: Er unterstützte damals im Team von Stanley Greenberg den Kandidaten Gonzalo Sánchez de Lozada gegen Evo Morales, der im Rennen um die Präsidentschaft unterlag und erst vier Jahre später Präsident wurde.

Österreich erlebt seit Mai 2019, seit dem Auftauchen der wenigen kurzen Ausschnitte aus dem Ibiza-Video einen Tsunami an Ermittlungsverfahren, fast alle laufen gegen ÖVP- oder FPÖ-Politiker. Die Ausnahme: Die Anklage gegen den früheren Grün-Politiker Christoph Chorherr.

Enorme Quantität der Ermittlungen seit 2019

Die Juristen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) leisten das Hauptpensum der Ermittlungsarbeit: In ihrem Visier sind sogar Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, sowie der frühere FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die Ex-Finanzminister Gernot Blümel und Josef Pröll, sowie zahlreiche Mitarbeiter dieser früheren Regierungsmitglieder.

Diese Quantität an Strafverfolgungs-Aktivität hat mittlerweile massive Folgen für den bisher guten Ruf der Justiz: Viele Österreicher können nur noch den Kopf darüber schütteln, dass von den zehn Strafverfahren gegen HC Strache bereits fünf eingestellt werden mussten.

Ebenso irritierend: Die drei Ermittlungsverfahren gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die Blamage der kompletten Einstellung der Erhebungen. Auch jene von manchen Medien, die über die WKStA stets unterstützend berichten, hochgejazzte Schredder-Affäre endete ohne einer Anklage des monatelang beschuldigten ÖVP-Mitarbeiters.

Prominentester Beschuldigter bei der WKStA: Ex-Kanzler Sebastian Kurz

Sozialwissenschaftler ist für U-Ausschuss über die WKStA

“Man sollte auch über die WKStA einen Untersuchungsausschuss einrichten: Hat sie immer objektiv agiert? Hat sie Gesetze übertreten? Hat sie vorschriftsgemäß Entlastendes berücksichtigt? Wie kamen gesetzeswidrige Leaks zustande? Liegen da nicht automatisch zu untersuchende Offizialdelikte vor?”, meint nun auch der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Theo Faulhaber in einem aktuellen Gastkommentar im “Kurier”.

Und ein ÖVP-Politiker sagt dazu: “Natürlich muss auch die Rolle der Justizministerin als weisungsberechtigte Vorgesetzte der Staatsanwälte untersucht werden – sie sollte vor einem Untersuchungsausschuss zu den vielen seltsamen Vorgängen in der Staatsanwaltschaft befragt werden, die maßgeblich handelnden Mitarbeiter der WKStA dazu als Auskunftspersonen vorgeladen werden.” Der Politiker will “bei diesem Thema” nicht seinen Namen nennen: “Das hätte vielleicht auch für mich unangenehme Folgen. Ja, es ist erschütternd, dass wir in diesem Land nun schon so weit sind.”

Durch Ermittlungen Karrieren und Familien zerstört

Die Angst vor der WKStA und ihren Staatsanwälten ist verständlich – mittlerweile haben Ermittlungen, die dann irgendwann im Sand verlaufen sind, schon politische Karrieren zerstört, viele Familien extrem belastet und gewaltige Anwaltskosten verursacht.

Bestes Beispiel: Heinz-Christian Strache. Sein Polit-Comeback-Versuch bei der Wien-Wahl 2019 wurde mit gezielt geleaktem Rufmord aus dem Ermittlungsakt im Parteispesen-Verfahren (Medikamenten-Rechnung, Amulett-Märchen, etc.) zerstört. Die Kosten für seine Rechtsvertretung sind bei den vielen Ermittlungsverfahren nicht mehr stemmbar, Strache musste sogar auf Facebook um Spenden bitten.

Die ständige psychische Belastung und das Fehlen jeder Chance auf einen halbwegs guten Job zerstörte die Familie, seine Ehefrau hat sich von ihm getrennt. Trotz fünf eingestellter Ermittlungsverfahren bleibt der Ex-Vizekanzler auf seinen Anwaltskosten sitzen – die Republik zahlt nichts zurück, auch wenn ihre Staatsanwälte jemanden zu unrecht beschuldigt und sich geirrt haben.

Übrigens: Alle mit dem per Medienhype der “Süddeutschen Zeitung”, des ORF und der “Krone” dramatisierten Ibiza-Video begonnenen Ermittlungen gegen Strache wurden bereits eingestellt, es blieb davon nichts an strafrechtlich Relevantem übrig. Kurios dabei: Video-Sequenzen, die sehr wohl andere Persönlichkeiten massiv belasten könnten, wurden bisher geschwärzt und nicht gezeigt …

Unter politischem Druck: Justizministerin Alma Zadic (Grüne)

Kritik auch an Skandalisierung durch gewisse Medien

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss könnte noch eine für die Hygiene in der Republik wichtige Thematik aufrollen: Die mutmaßliche Nähe gewisser Klein-Medien zur WKStA. “Das ist doch immer der gleiche Vorgang: Das sonst unbedeutende Regionalblatt X bekommt vertrauliche Aktenteile, berichtet dafür im Sinne der Staatsanwälte von einem ,unglaublichen Skandal’ und sorgt mit besten Kontakten zu linkslastigen Journalisten für die bundesweite Weiterverbreitung im ORF und damit über die APA”, will der ÖVP-Politiker auch die dabei handelnden Personen im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht aussagen lassen.

Die ÖVP könnte auch ohne dem grünen Koalitionspartner den Untersuchungsausschuss über die Arbeit und das Vorgehen der Justizministerin initiieren: Ein Viertel der Nationalratsabgeordneten müsste dem Antrag zustimmen – die ÖVP hält 71 der 183 Mandate im Nationalrat.

Tal Silberstein über Negativkampagnen in der TV-Doku: "Alles, was du tust, darf in keiner Weise mit uns (der Partei) in Verbindung gebracht werden."

Update, 7. Jänner 2022: Die Medienstelle der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) legt Wert auf die Feststellung, dass es keine Leaks aus der WKStA waren, die das Polit-Comeback von Heinz-Christian Strache (siehe oben) zerstört hätten. Dies wurde im aktuellen eXXpress-Bericht auch nicht behauptet, vielmehr wurden diese Aktenteile (Medikamenten-Rechnung, Amulett-Märchen, etc.) von einem damaligen Parteikollegen Straches an bestimmte Medien verteilt. Der eXXpress kommt den Staatsanwälten der WKStA mit der Veröffentlichung dieser Zusatzinformation und mit dieser Klarstellung gerne entgegen.

Die Chefredaktion

Politik mit Ermittlungen? Ein U-Ausschuss über das Vorgehen der Justiz