Nach dem Terrorangriff der Hamas stehen viele Israelis unter Schock. Sie hätten nicht gedacht, dass so etwas passieren kann. Müsste man etwas tun, um ihr Vertrauen in den Staat wieder zu stärken?

Es war ein beispielloser Terroranschlag. Sie haben Recht: Während die Menschen trauerten, standen sie unter Schock. Noch nie hatten wir 1400 Tote. Proportional zur Bevölkerung ist das der größte Terroranschlag der Geschichte. In den USA würde das fast 49.000 Toten entsprechen. Abgesehen davon belasten vor allem die Gräueltaten die Menschen, all das Böse, das entlarvt wurde: Babys wurden bei lebendigem Leib verbrannt, Frauen vergewaltigt, ältere Menschen ohne Medikamente entführt.

Die Menschen in Israel fordern nun eine sehr starke Reaktion ihrer Regierung, und ich unterstütze das. Wir halten uns an das Völkerrecht und versuchen zivile Opfer zu minimieren. Aber nachdem dieses Übel offen zutage getreten ist, haben wir keine andere Wahl. Wir müssen es beseitigen. Das Hamas-Regime muss den gleichen Weg einschlagen, wie der IS oder das Nazi-Regime: Es darf keinen Platz mehr haben.

Sie sprechen von Vertrauen. Ich denke, es geht um Sicherheit der Menschen.

„Wir lassen uns für die Bodenoffensive Zeit“

Wie lange wird es dauern, Hamas zu besiegen?

Es wird keine kurze Operation. Wir müssen uns für sie Zeit nehmen. Aber die Zeit läuft uns nicht davon. Deshalb stürzen wir uns nicht kopfüber in eine Bodenoffensive. Zuerst braucht es Aufklärung, die richtige Ausrüstung und präzise Luftanschläge auf Hamas-Infrastrukturen. Wir wollen unsere Soldaten so gut wie möglich schützen. Deshalb wird es einige Zeit dauern.

Israelische Soldaten inmitten der anhaltenden Kämpfe: Israel bereitet sich auf eine lange Bodenoffensive vor.APA/AFP/RONALDO SCHEMIDT

Warum wurde Israel von diesem Angriff so überrascht? Es kennt Hamas doch schon lange?

Ich persönlich sage seit Jahren, dass der einzige Unterschied zwischen der Hamas und den Nazis in ihrer Fähigkeit besteht, ihre Ideologie zu verwirklichen. Sie können sich meine früheren Zitate dazu ansehen. Sobald die Hamas die Gelegenheit dazu findet, wird sie ihre ideologischen Vorstellungen ebenso verwirklichen. Wir müssen dafür sorgen, dass ihnen diese Chance nicht gegeben wird.

Einige dachten, Hamas sei nicht so böse wie der IS. Spätestens jetzt müsste der ganzen Welt klar sein, dass es immer dieselbe extremistische islamistische Ideologie ist, ob beim IS, der Hamas, der Hisbollah oder dem iranischen Regime. Die Unterschiede bestehen nur in ihren Fähigkeiten, ihre Ideologie umzusetzen.

Ein ausländischer Journalist untersucht Blutflecken auf dem Boden eines Hauses im Kibbuz Nir Oz nach dem Massaker, das die Hamas angerichtet hat.APA/AFP/JACK GUEZ

„Wer sich um die Zivilbevölkerung in Gaza sorgt, sollte mit dem Finger auf Hamas zeigen“

Die Hamas ist stärker verankert im Gazastreifen als der IS. Abgesehen von ihrem militärischen Zweig hat sie auch politische, soziale und geheime Strukturen. Kann man die genauso bekämpfen wie den IS?

Jede Terrorgruppe verfolgt andere Taktiken, aber auch der IS tat politische Dinge und hatte weltweit heimliche Unterstützer. Die Herausforderung bei IS war ähnlich, aber Sie haben Recht: Die Hamas hatte viel mehr Zeit, all diese Zweigstellen aufzubauen. Unser Fokus liegt darauf, das Regime in Gaza zu zerstören und ihm die militärische Fähigkeit zu nehmen, solche Angriffe durchzuführen. Wir könne nicht eine Ideologie töten. Aber wir können sicherstellen, dass sie absolut keine Möglichkeit mehr hat, ihre bösen Absichten zu verwirklichen.

Während sich Israel auf diesen Krieg vorbereitet, wächst bei den Vereinten Nationen und der Weltöffentlichkeit die Sorge um eine humanitäre Lage im Gazastreifen. Es drohen viele Tote, auch unter Zivilisten. Wie geht Israel damit um?

Israel hat nichts gegen Zivilisten. Wir haben sie wiederholt gewarnt, bevor wir die Hamas-Infrastruktur angegriffen haben. Wir forderten sie auf, in den südlichen Gazastreifen zu gehen, weil wir möchten, dass sie dort Zuflucht finden. Gleichzeitig tut Hamas alles, um die Bürger im Norden zu halten und als Schutzschilde zu nutzen. Deshalb bitte ich die internationale Gemeinschaft: Wenn sie sich um die Zivilbevölkerung kümmert, sollte sie mit dem Finger auf Hamas zeigen. Hamas bat seine Bevölkerung nicht um Vergebung, als eine Rakete aus Gaza ein Spital getroffen hat, sondern benützte den Unfall als PR-Gag gegen Israel. Die Hamas kümmert sich weniger um die palästinensische Zivilbevölkerung als Israel.

Menschen trauern an den Särgen von fünf Mitgliedern der Familie Kutz, die beim Angriff der Hamas-Terroristen auf ihren Kibbuz in Kfar Aza getötet wurden.APA/AFP/Oren ZIV

„Auch die Familien der Geiseln wollen, dass wir Hamas zerstören“

Was machen Sie, wenn Hamas ankündigt: Sie würden Geiseln freilassen, sofern Israel beispielsweise die Luftangriffe einstellt

Israel wird nicht aufhören, die Hamas zu bekämpfen, bis sie besiegt ist. Darüber gibt es keine Verhandlungen. So war es auch bei den Nazis und dem IS. Allerdings erwarte ich mir von der internationalen Gemeinschaft, Druck auf Hamas auszuüben, die Geiseln freizulassen. Allein die Tatsache, dass sich die Geiseln in Gaza befinden, verstößt gegen jede Norm des Völkerrechts. Hamas lässt nicht einmal zu, dass das Rote Kreuz Zivilisten besucht. Alles, was gegen das Völkerrecht verstößt, tut Hamas.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich in jüngster Zeit zunehmend besorgt um die Zivilisten im Gazastreifen.APA/AFP/Tchandrou NITANGA

Sie haben zwei gleich wichtige Ziele: die Befreiung der Geiseln und den Sieg über Hamas. Bei Luftangriffen können auch Geiseln getötet werden. Könnten die beiden Zielsetzungen miteinander in Konflikt geraten?

Momentan gibt es keinen Konflikt. Wenn wir Informationen darüber haben, wo Geiseln festgehalten werden, greifen wir dort nicht an. Nur können wir es uns nicht leisten, uns von Hamas erpressen zu lassen, denn unser Ziel bleibt die Vernichtung von Hamas. Das haben auch die Familien der Geiseln gesagt. Jeder hier möchte, dass dieses Regime zerstört wird.

„Man bekommt keinen Frieden, wenn man Terroristen besänftigt, das war unser Irrtum“

Viele Israelis sagen, es war ein Fehler, die Hamas als Nachbar im Gazastreifen zu akzeptieren. Denken Sie das auch?

Ich persönlich sage das schon seit Jahren. Der Rückzug war meiner Meinung nach ein Fehler, und ebenso war es die Annahme, Frieden zu bekommen, indem wir Terrorgruppen besänftigen. Ob wir nun die Uhr zurückdrehen sollen – ich weiß es nicht. Sicher ist: Nun müssen wir den Preis für Fehler in der Vergangenheit bezahlen.

Dan Illouz ist seit Jänner 2023 Abgeordneter in der Knesset, dem israelischen Parlament.Knesset/Danny Shem

Es ist nicht so, dass wir keinen Frieden wollen. Normalerweise sind es die Palästinenser, die „Nein“ sagen, sobald die Friedensabkommen auf dem Tisch liegen. Es geht nicht darum, den Konflikt am Laufen zu halten, sondern um die echte Sorge um die eigene Sicherheit. Was den Israelis Angst macht sind Zugeständnisse, die Israel gefährden können.

Leider waren unsere Bedenken berechtigt. Ich wünschte, ich hätte Unrecht gehabt. wiesen.

„Die Sicherheit unserer Bürger steht an erster Stelle, denn überall erwarten das die Bürger von ihrer Regierung“

Hätte Israels also beim Oslo-Friedensprozess nicht mit Jassir Arafat und der PLO sprechen sollen?

Der Fehler war, die Warnung der Sicherheitsbehörden vor den Risiken nicht ernst zu nehmen. Wir haben nur auf jene Leute gehört, die uns gesagt haben: Es wird schon alles gut werden. Man hätte Israels Sicherheit an die erste Stelle setzen müssen. Ich denke, jedes Land verhält sich so. Überall ist das die grundlegendste Erwartung der Bürger an ihre Regierung.

Ariel Sharon (Bild) setzte in seiner Zeit als Israels Ministerpräsident (2001 bis 2006) den vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen durch.APA/AFP PHOTO/Menahem KAHANA

Als Ariel Scharon ab 2005 alle Siedlungen aus dem Gazastreifen zurückgelassen hat, waren Ihre Partei und Benjamin Netanjahu dagegen. Dennoch hat kein Premierminister seither die Situation geändert, auch nicht Netanjahu. Warum?

In der Geopolitik ist es manchmal schwierig, einen Rückzieher zu machen. Wenn man die Realität bereits verändert hat, kann man nicht einfach auf „Abbrechen“ drücken.

„Wenn Hamas vollständig besiegt ist, wird die westliche Zivilisation sicherer sein“

Einige Politiker fürchten einen langen Krieg, mit vielen Opfern und unschönen Bildern. Das könnte auch in ihren Ländern zu Spannungen führen. Sehen Sie diese Gefahr?

Es ist nicht so, dass ich nicht zustimme. Ich mache mir in Israel auch Sorgen. Wir wollen nicht, dass Hisbollah, der Iran und andere palästinensischen Terrororganisationen in einen Krieg mit uns eintreten. Wir sind darauf vorbereitet und stark genug, um sie zu besiegen, aber wir wollen uns lieber auf Gaza konzentrieren. Doch die größte Sorge ist eine andere: Welche Botschaft werden wir an Terroristen aussenden, wenn wir Hamas nicht vollständig besiegen? Es ist eine Einladung zu noch mehr Angriffen, nicht nur gegen Israel, sondern gegen alle Symbole der westlichen Zivilisation.

Die Zerstörung des Hamas-Regimes ist im Interesse des Westens, sagt Dan Illouz.Yousef Masoud/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Die Hamas vollständig zu besiegen, ist auch der beste Weg, die westliche Zivilisation vor solchen Terroranschlägen zu schützen. Wenn Hamas vollständig besiegt ist, wird die westliche Zivilisation sicherer sein, ob in Österreich, den USA, Kanada, oder wo auch immer. Ohne einen Sieg über Hamas senden wir hingegen die Botschaft an alle Terrorgruppen, dass solche Massaker für die westliche Welt akzeptabel sind. Das ist keine Option.

„Von Freunden aus bestimmten arabischen Staaten erhalte ich in inoffiziellen Gesprächen viel Unterstützung“

Seit den Abraham-Accords-Abkommen unterhält Israel diplomatische Beziehungen zu anderen arabischen Staaten, wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Was erwarten diese Länder jetzt von Israel?

Ich glaube fest an die Abraham Accords. Hätten die Abraham-Accords-Ländern auf uns Druck ausgeübt, den Krieg zu beenden, hätten wir ihnen respektvoll sagen müssen, dass die Sicherheit Israels an erster Stelle steht. Allerdings habe ich von Freunden aus diesen Staaten in inoffiziellen Gesprächen viel Unterstützung erhalten, und das nicht nur weil wir Opfer des Terrors sind. Sie wissen genau, welche Gefahr Hamas nicht nur für Israel darstellt, sondern für jedes Land, das möchte, dass diese Welt ein besserer Ort wird. Das sind arabische Länder, die sich nicht gegen die Moderne wenden, sondern Teil der Zukunft sein wollen und die Welt nicht ins Mittelalter zurückversetzen wollen. Sie sehen die Hamas ebenfalls als Bedrohung für ihren Staat und ihr Volk. Ich glaube, ein Sieg über Hamas wird auf lange Sicht unsere Bindung zu diesen Ländern stärken.

Israel führte auch Gespräche mit Saudi-Arabien, die Riad nun mit kühlen Worten beendet hat.

Ich stimme Ihnen zu: Die öffentlichen Aussagen waren nicht pro-israelisch, aber andererseits erwarte ich das zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht. Hinsichtlich einer Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien bin ich sehr optimistisch. Nach einem Sieg über die Hamas wird eine Normalisierung und ein Frieden mit Saudi-Arabien wahrscheinlicher.

Dan Eliyahu Ya’akov Illouz (36) ist ein in Kanada geborener israelischer Politiker, der seit dem Jänner 2023 Mitglied der Knesset für die regierende Likud-Partei ist. Der Sohn marokkanisch-jüdischer Eltern wuchs in Montreal auf. Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften von der McGill University und einen Abschluss in öffentlicher Politik von der Hebräischen Universität Jerusalem. Im Jahr 2009 zog er nach Israel. Illouz wurde im März 2018 Mitglied des Stadtrats von Jerusalem. Anschließend wurde er bei den Kommunalwahlen im Oktober 2018 in den Rat gewählt. 2021 fungierte er als israelischer Vertreter bei der Zionist Organization of America. Im Jahr 2022 beschloss Dan Illouz, sich als Mitglied des Likud um die Wahl in die Knesset zu bewerben.