Die Frage, die jetzt die Vereinigten Staaten und damit die ganze Welt umtreibt, lautet: Wann werden die Aussetzer des Präsidenten Konsequenzen haben und seine erneute Kandidatur für das Amt beenden?

Nach diesem Donnerstag ahnt man: Es dürfte nicht mehr allzu lange dauern. Bei seiner ersten Einzel-Pressekonferenz seit dem desaströsen Präsidentschafts-Duell Ende Juni leistete sich Biden fatale Fehler: Er bezeichnete die Vizepräsidentin Kamala Harris als “Vice President Trump”. Er gab an, die Ratschläge des Oberbefehlshabers zu befolgen, obwohl er selbst der Oberbefehlshaber ist. Er wirkte verwirrt, beendete Sätze nicht, verlor den Faden und versuchte rund zehnmal, sein Abschweifen mit einem “anyway” einzufangen.

Wenige Stunden zuvor hatte Biden den ukrainischen Präsidenten Selenskyj am Rande des Nato-Gipfels als “President Putin” auf der Bühne angekündigt – Selenskyj also beim Namen seines größten Feindes genannt. Auch hatte Biden einige Tage zuvor im Radio erklärt, er sei stolz darauf, “die erste Vizepräsidentin zu sein, die erste schwarze Frau, die mit einem schwarzen Präsidenten zusammenarbeitet”.

Kamala Harris.GETTYIMAGES/Sean Rayford/Freier Fotograf

Die Demokraten sondieren

Die Pressekonferenz am Donnerstagabend galt in Washington, wie zuvor das Duell, als Bewährungsprobe für Biden, um seine geistige Fitness unter Beweis zu stellen. Entsprechend laufen die Sondierungen über den Fortgang der Kandidatur innerhalb der demokratischen Partei auf Hochtouren. Der New York Times berichten mehrere anonyme Quellen, dass die Partei unter Wählern eine Umfrage durchführt, wie gut Vizepräsidentin Harris als Präsidentschaftskandidatin abschneiden würde.

Aus dem Lager der Demokraten werden Informationen gestreut, die am Stuhl des Präsidenten sägen: So berichtet CNN, dass Ex-Präsident Barack Obama und die einflussreiche ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi “privat” Bedenken über Bidens Kandidatur geäußert hätten. Ähnlich inszeniert der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, seinen Angriff auf Biden: Auch er streute in den Medien, dass er sich in privaten Gesprächen offen für einen anderen Kandidaten zeige – um dann öffentlich zu verkünden, dass er hinter Biden stehe. In Washington will keiner Königsmörder sein, aber alle sehen, wie nah der König dem Grab ist.

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Wo lauert das größte Risiko?

Zahlreiche demokratische Abgeordnete im Kongress haben mittlerweile öffentlich oder hinter verschlossenen Türen deutlich gemacht, dass das Ende von Bidens Kandidatur nicht mehr eine Frage des Ob, sondern des Wie ist. Für die Partei geht es dabei vor allem um die Kalkulation von Risiken: Ein Machtkampf um die Nachfolge auf offener Bühne kann sich das Land nicht leisten. Zugleich haben die Demokraten durch ihren Umgang mit Bidens Gesundheitszustand an Glaubwürdigkeit verloren: Lange hatten sie daran festgehalten, jeden Zweifel an Bidens Zurechnungsfähigkeit als rechte Verschwörungstheorie abzutun. Nun gilt es, einen Kandidaten zu finden, der Stabilität ausstrahlt und nach dem Chaos der letzten Wochen gegen Trump bestehen kann. Schwierig wird es auch, jemanden zu finden, der in dieser desolaten Lage überhaupt bereit ist, anzutreten –  vielversprechende Talente wie Gavin Newsom oder Gretchen Whitmer, die Gouverneure von Kalifornien und Michigan, dürften davor zurückschrecken, sich im Rennen gegen Trump zu verheizen.

Weniger riskant wäre es in dieser Hinsicht, Kamala Harris an Bidens Stelle einzusetzen. Sie ist in der Bevölkerung nicht besonders beliebt, hat also wenig Aussicht, in ferner Zukunft Präsidentin zu werden und damit weniger zu verlieren. Außerdem wäre sie als Vizepräsidentin eine logische Wahl, man könnte ihr schwerer eine Intrige gegen Biden anhängen. Mit Blick auf die Wahl hingegen wäre auch Harris ein Risiko für die Demokraten: Trump liegt in Umfragen derzeit 2 bis 4 Prozent vor Biden, es ist fraglich, ob ausgerechnet Harris für eine Trendwende sorgen könnte.

"Einiger Wortsalat"

Könnte es also am Ende keine Auswechslung von Biden geben, weil die Demokraten das Rennen ohnehin schon aufgegeben haben? Ein Blick in linke US-Medien zeigt zumindest, dass man sich auf alles einzustellen scheint und deutlich abwägender kommentiert als etwa nach der TV-Debatte. Die Washington Post titelt: “Biden zeigt außenpolitischen Sachverstand in Pressekonferenz mit einigen Stolperern”.

Die New York Times urteilt: “Insgesamt war Bidens Auftritt auf der Pressekonferenz sicherlich gefestigter als bei der Debatte gegen Trump. Es gab einige Wortsalat-Kommentare, die schwer zu dekonstruieren waren”. Das könne aber jedem Menschen in jedem Alter passieren, schreibt das Blatt und listet dann Versprecher von Trump aus den letzten Monaten auf.

Diese Rückkehr zur Milde gegenüber Biden könnte allerdings auch der Anfang vom Ende sein – ein Versuch, den Rückzug des Präsidenten möglichst gesichtswahrend zu gestalten.