Der Polit-Prozess: In 72 Stunden sitzt Kurz im Gerichtssaal
Eine Falschaussage – oder aber auch nicht: Viele bekannte Juristen rechnen mit einem Freispruch von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Prozess, der am Mittwoch in Wien beginnt. Verliert Österreichs Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft auch diesen extrem politischen Prozess, dann sollte sie endgültig aufgelöst werden.
Das Interesse aus dem In- und Ausland ist enorm. Doch möglicherweise mündet der Trommelwirbel ein weiteres Mal in einer Pleite der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Am Mittwoch, den 18. Oktober, wird um 9.30 Uhr der Prozess gegen Sebastian Kurz wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage beginnen. Die Plätze für die Medien im Wiener Straflandesgericht sind bereits ausreserviert. Der eXXpress ist live dabei.
Kurz soll seine Rolle bei Bestellung des Öbag-Alleinvorstands heruntergespielt haben
Neben dem ehemaligen Bundeskanzler und ÖVP-Obmann wird auch sein damaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli (40) vor Gericht stehen, und ebenso die ehemalige Generaldirektorin der Casinos Austria Bettina Glatz-Kremsner (61). Sie war in der Ära Kurz Vizeparteiobfrau der Volkspartei und ist die eigentliche Hauptangeklagte.
Für alle drei Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. In einem 108-seitigen Strafantrag wird ihnen vorgeworfen, im Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt zu haben. Bei Sebastian Kurz geht es die Auswahl des Aufsichtsrates der ÖBAG und der Bestellung von Thomas Schmid (zuvor Kabinettschef im Finanzministerium) zum Alleinvorstand der Staatsholding. Hier soll Kurz seine eigene Rolle falsch oder unpräzise dargestellt haben. Er hatte vor den Abgeordneten im Juni 2020 erklärt, von „Gesprächen und Überlegungen im Finanzministerium“ gewusst zu haben, aber selbst nicht involviert gewesen zu sein.
Kurz: „Mir wurden die Worte im Mund umgedreht“, Kritik an WKStA
Damals fragte ihn der NEOS-Abgeordnete Helmut Brandstätter: „Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er (Schmid) Ihnen gesagt hat: ich möchte mich für diesen ausgeschriebenen Posten werden: Haben Sie mit ihm nie darüber gesprochen, dass er das werden könnte?“ Daraufhin entgegnete Kurz: „Nein, es war allgemein bekannt, das ihn das grundsätzlich interessiert, und es war sicherlich auch so, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre.“ Kurz erklärte mehrfach, dass ihm im U-Ausschuss die „Worte im Mund umgedreht“ worden seien.
Funfact: Auf die Frage im U-Ausschuss, ob er mit Thomas Schmid "nie darüber gesprochen" habe, sagt Kurz laut Protokoll: "Nein". Dieses "Nein" ist für die WKSTA zentral. Allerdings: Ein "nein" auf "nie" heißt genau genommen: "Ja, ich habe mit Schmid über die ÖBAG gesprochen." pic.twitter.com/yqYi2IUMYA
— Gernot Bauer (@bauer_gernot) May 12, 2021
Darüber hinaus wirft die Causa nach Ansicht einiger Juristen auch ein schräges Licht auf die WKStA. Es geht nämlich nicht um die Bestellung Thomas Schmids Bestellung selbst, die strafrechtlich irrelevant ist. Sie ist höchstens politisch von Bedeutung. Daher bestreitet der bekannte Strafverteidiger Thomas Kralik, dass die WKStA hier überhaupt zuständig ist. Schmids Bestellung falle nämlich weder unter Korruption noch unter Bestechlichkeit. Da sich alles um Richtigkeit bzw. Falschheit einer Aussage dreht, hätte das Verfahren eigentlich der Staatsanwaltschaft Wien zugeteilt werden müssen.
Vorwurfe, dass WKStA Objektivitätsgebot verletzt hat
Die Anwälte von Kurz haben überdies kurz vor dem Gerichtstermin eine Gegenäußerung vorgelegt – der eXXpress berichtete. Darin wird für Freispruch, und zwar auch deshalb, weil sogar ein Oberstaatsanwalt der WKStA selbst beim U-Ausschuss nicht korrekt ausgesagt hat. Das war aber folgenlos geblieben. Demnach verletzte die WKStA das Objektivitätsgebot gemäß § 3 der Strafprozessordnung (StPO), weil sie nie gegen andere Personen ermittelte, die erwiesenermaßen falsch aussagten. Für Sebastian Kurz zeigt unter anderem dieser Fall „eindeutig, dass die WKStA Gleiches nicht gleich behandelt und auf diese Weise das Objektivitätsgebot verletzt“.
Vor Gericht sollen vor allem Chats zur Klärung beitragen, und ebenso 21 Zeugen, die von der WKStA geladen wurden. Einer der Zeugen ist Thomas Schmid selbst.
Bonelli werden ähnliche Vorwürfe wie Kurz bei den Öbag-Bestellungen gemacht, im Falle von Glatz-Kremsner geht es hingegen um die Vorstandsbestellung bei der Casinos Austria AG im Jahr 2020. Alle drei Angeklagten bestreiten vorsätzlich falsch ausgesagt zu haben. Was sie zusätzlich entlasten könnte: Zeugen dürfen lügen, wenn sie durch wahrheitsgemäße Aussagen „Schande“ oder strafrechtliche Ermittlungen befürchten müssen.
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