Deutscher Ex-Botschafter in Kabul kritisiert Regierung Merkel: "Wurden allein gelassen"
August 2021 in Afghanistan: In letzter Sekunde gelang Mitarbeitern der deutschen Botschaft die Flucht vor den Taliban, kurz bevor diese Kabul eroberten. Neue Enthüllungen des ehemaligen Gesandten Jan Hendrik van Thiel bringen nun die damalige Regierung Merkel und Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD) unter Druck.
Dass im Sommer 2021 die Hilferufe des deutschen Botschafters in Kabul von der eigenen Regierung ignoriert wurden, berichtete der eXXpress bereits vor einem Jahr. Nun erhebt der frühere Chef der deutschen Botschaft, Jan Hendrik van Thiel, schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung. “Das Auswärtige Amt hat uns allein gelassen und in den Wochen vor der Evakuierung unsere Einschätzungen und operativen Vorschläge weitgehend ignoriert”, sagt van Thiel.
Wochenlang bat Thiel um Evakuierung – vergeblich
Der Diplomat hatte in den Wochen vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul am 15. August 2021 immer wieder gefordert, die Botschaft solle evakuiert werden, wie der “Spiegel” berichtet. Auch sprach sich van Thiel dafür aus, die afghanischen Ortskräfte deutscher Institutionen deutlich schneller aus Afghanistan herausbringen als geplant.
Van Thiel war damals stellvertretender Botschafter in Afghanistan und führte in der Botschaft die Geschäfte. Der “Spiegel” zitiert aus einer E-Mail des Diplomaten an das Auswärtige Amt vom 12. August 2021, in der er vor dem Zerfall der afghanischen Regierung gewarnt hat. “Es zieht sich zu”, schrieb van Thiel demnach. “Blitz und Donner für die nächsten Tage erwartet.”
Bis zuletzt riet Berlin zu bleiben
Auch im Krisenstab der deutschen Regierung habe van Thiel eindringlich die Schließung der Botschaft gefordert. “Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit, wir müssen uns evakuierungsbereit machen”, warnte er in der geheim tagenden Runde am Freitag vor dem Fall von Kabul. Trotzdem habe die Runde damals nicht beschlossen, die Botschaft zu schließen.
Stattdessen habe van Thiel ganz andere Signale bekommen, schreibt das Magazin weiter: Noch am Samstag vor dem Einmarsch der Taliban habe der damalige Afghanistan-Sonderbeauftragte Markus Potzel ihm geraten, in der Botschaft zu bleiben. Die Taliban würden nicht so schnell nach Kabul kommen; selbst bei einem Einmarsch würden sie die Deutschen in Ruhe lassen. Van Thiel habe den Vorschlag abgelehnt. “Dass die Taliban uns nichts tun wollen, ist nichts als eine unbewiesene Annahme”, schrieb er dem Bericht zufolge an Potzel.
Untersuchungsausschuss über chaotische Flucht
Letztlich haben gemäß dem Bericht van Thiel und der Sicherheitsbeauftragte der Botschaft schon vor der Weisung aus Berlin damit begonnen, sensibles Material zu zerstören und Waffen in einem Brunnen einzubetonieren, das alles in Vorbereitung der Evakuierung. Erst am Sonntag, dem 15. August, verließ van Thiel mit weiteren Diplomaten sowie Sicherheitsleuten die Botschaft.
Über die Unzufriedenheit van Thiels mit dem Gebaren des Auswärtigen Amtes in Berlin hatte es schon frühere mehrfach Berichte gegeben. Zu den chaotischen und späten deutschen Evakuierungsaktionen erst inmitten der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban wurde Anfang Juli ein Untersuchungsausschuss des Bundestags eingesetzt.
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