Die ÖVP sucht einen Plan: "Unser Problem: Wir können nicht so dreckig"
Noch immer Ratlosigkeit in der ÖVP-Spitze am Tag 10 nach den Hausdurchsuchungen. “Unser Problem ist: Wir können nicht so dreckig spielen wie mancher Mitbewerber”, hörte der eXXpress. Und: Hinter der Aktion stecke ein Mastermind, wie bei der Causa Ibiza. Viele erinnern sich an die Worte von Tal Silberstein (Bild).
Die Mobiltelefone der wichtigsten Player der Kommunikations- und Organisations-Struktur der türkisen ÖVP sind beschlagnahmt oder stumm, der Ex-Kanzler berät mit seinen engsten Weggefährten, wie’s jetzt weitergehen kann. An ein schnelles Ende, also an eine schnelle Ermittlungstätigkeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatanwaltschaft (WKStA) glaubt mittlerweile kein einziger Parteimanager mehr: “Diesen Gefallen werden die uns nicht machen.” Vielmehr wird es ein jahrelanges “Grillen” der Tatverdächtigen – mit irgendwann stattfindenden Einvernahmen, mit weiteren Chat-Leaks über bestimmte Medien-Plattformen, mit zermürbenden Gerüchten und extrem hohen Anwaltskosten.
Sicher ist: Auch die Chats sind alles andere als supersauber
“Unser Problem ist: Wir können nicht so dreckig wie mancher Mitbewerber”, erklärte ein sehr emotionaler türkiser Spitzenpolitiker im Gespräch mit dem eXXpress, warum es aktuell nach einer absoluten Rat- und Planlosigkeit in der ÖVP-Spitze aussieht. Wer die aufgetauchten Chatprotokolle kennt, muss etwas widersprechen: Die ÖVP kann vielleicht nicht ganz dreckig, aber der Begriff supersauber fällt wohl niemandem beim Durchlesen der WhatsApps im aktuellen Politkrimi ein.
Chats von Schmid wirken wie das T-Shirt von Strache
Immerhin schreibt der Ex-Generalsekretär im Finanzministerium und Ex-ÖBAG-Manager Thomas Schmid darüber, wie und wo Umfragen verbucht werden, er unterhält sich mit einem Kommunikations-Experten des Kanzlers über eine mögliche Übernahme der Meinungsforschungs-Firma von Sabine Beinschab und auch darüber, wie “Krone”-Chefredakteur Christoph Dichand und Politik-Redakteur Claus Pandi von einer Besetzung des Finanzministerpostens “überzeugt werden sollen” – allerdings könnte strafrechtlich nur sehr wenig Relevantes in diesen hunderten Chats dabei sein.
“Um das geht’s ja: Da wird ein angebliches Sittenbild verbreitet – und was dann am Ende nach zwei, drei Jahren an strafrechtlicher Konsequenz rauskommt, spielt nur noch wenig Rolle”, fühlt man sich in der ÖVP-Spitze sehr an den Ibiza-Video-Krimi erinnert. Auch damals blieb wenig von den angeblich so schweren vergehen übrig, die Heinz-Christian Strache in den gezeigten Video-Sequenzen begangen hätte: Alle konkret zum Video geführten Verfahren wurden eingestellt. Das Bild vom ziemlich unvorteilhaften T-Shirt Straches blieb in der kollektiven Erinnerung.
Sind jetzt die ungustiösen Chats von Thomas Schmid das neue “Strache T-Shirt”? In der näheren Umgebung des Kanzlers wird genau dieser Tatplan vermutet: Erneut die Regierung anpatzen, ein Bild erzeugen, dazu mögliche Straftatbestände mischen, einen Medien-Hype auslösen – und mit diesem Programm weitermachen, bis der einst saubere Politiker, schmutzig wirkt.
Diese Strategie erinnert türkise Parteimanager jetzt auch an die Worte, die der im Jahr 2017 von der SPÖ um 536.000 € engagierte Kampagnen-Spezialist Tal Silberstein in einer Doku (“Our Brand is our Crisis”) sagte: “Wir müssen Negativkampagnen gegen ihn starten. Wir müssen ihn von einem sauberen in einen schmutzigen Kandidaten verwandeln. Das ist unsere Aufgabe.”
Steckt auch im Chat-Krimi ein Drahtzieher dahinter?
Die ähnliche Vorgangsweise wie beim Ibiza-Video-Krimi, die ähnlich inszenierte Eskalation bis zur Regierungskrise lässt in der ÖVP auch viele vermuten, dass es erneut einen Mastermind dahinter geben könnte. In vertraulichen Gesprächen werden immer wieder die gleichen Fragen gestellt: “Nach all der jahrelang gelebten Praxis der politischen Inseraten-Vergabe kommt die Justiz nun im Jahr 2021 plötzlich auf die Idee, dazu zu ermitteln? Wer informierte davon so rasch einen Medien-Blog eines Ex-Politikers, in dessen Partei auch die aktuelle Justizministerin mitarbeitete? Wer sorgte für die selektive Auswahl, welche Chats zuerst in den Medien veröffentlicht werden? Und wie nach der Veröffentlichung von Heinz-Christian Straches Video-Drama im Jahr 2019 gibt es auch nach den Hausdurchsuchungen zufällig gleich ,spontane’ Demonstrationen?”
Auch unter den auf den 1800 Seiten genannten angeblichen Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft ist zumindest einer, der bereits als Zeuge zum Ibiza-Video einvernommen worden ist – und dessen enger politischer Mitstreiter, Ex-Kanzleramtsminister Thomas Drozda, sogar mit dem Anbieter des Ibiza-Videos lange über einen Kauf für die SPÖ gesprochen hat (und dies dann abgelehnt hat): Ex-Kanzler Christian Kerns Behauptungen über Erpressungsversuche durch den Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner wird auch im Akt der Justiz ausführlich zitiert.
Vorgehensweise wie bei Strache 2019
“Und unter Kerns SPÖ-Bundesparteiobmannschaft wurde auch der Dirty-Campaigning-Spezialist Tal Silberstein von der Sozialdemokratie angeheuert”, erinnert ein ÖVP-Politiker an dieses Faktum.
Die ÖVP-Spitze sammelt jetzt unter extremen Zeitdruck Hinweise, wer den Machtwechsel in Österreich inszeniert haben könnte, doch ein Plan für einen Gegenstrategie fehlt der ÖVP nach wie vor.
Und die Türkisen kennen alle die jüngere Geschichte der österreichischen Innenpolitik: Als Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache noch immer aufrecht stand und sogar ein Comeback plante, inszenierten die Ibiza-Drahtzieher im August 2019 über eine deutsche Medien-Plattform den FPÖ-Spesen-Skandal, und es wurden böse und falsche Gerüchte über Eigen-Urin-Amulette oder Potenzpillen verbreitet. Dann war Strache politisch erledigt, die Entgegnungen in den Medien Monate später halfen ihm nicht mehr. Auch Strache hat nie damit gerechnet, dass seine Gegner derart dreckig arbeiten könnten.
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