Am Montag platzte Hans Peter Doskozils "Briefbombe" - sprengt er damit die SPÖ unter 20 Prozent?
Am Montag beendete Hans Peter Doskozil in aller Öffentlichkeit die “Freundschaft” mit der Bundespartei. Ausgerechnet in einer Zeit, zu der sich die Partei (zumindest etwas) im Aufwind sah, ließ er die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – und über die Medien ganz Österreich – wissen, dass er der Bundespartei den Rücken kehren werde.
Beim Parteitag der SPÖ im Juni, wolle er seine Führungsfunktion in der Bundes-Partei zurücklegen. Schon lange war Doskozil mit der Bundespartei in einem öffentlich geführten Streit. Neben Migrationsfragen, war man sich auch bei der Corona-Politik uneins. Burgenlands Landeshauptmann wolle die Partei nun aus dem “medialen Dauerfeuer nehmen”.
Streit zu den Themen Migration und Corona
Doskozil lamentiert in dem Brief, dass die SPÖ in puncto Migration nicht die von ihm ausgearbeitete harte Linie vertrete, generell verliere sich die Sozialdemokratie in „Nischenthemen“ und grabe sich so selbst das Wasser ab. Auch die Corona-Politik der Bundes-SPÖ führe aus seiner Sicht „zu keinem sinnvollen Ergebnis“. Doskozil habe übrigens laut Medienberichten auch schon mit Pamela Rendi-Wagner telefoniert, seine Gründe persönlich erklärt.
Reaktionen zum "SPÖ-GAU"?
Reaktionen der SPÖ? Am Montag Fehlanzeige. Pamela Rendi-Wagner hielt sich zu der möglichen Spaltung der Partei bedeckt, erinnerte auf Twitter lieber an die Kernspaltung in Tschernobyl vor 35 Jahren.
Im Laufe des Nachmittags hieß es von der Bundespartei nur lapidar: “Wir nehmen die Entscheidung zur Kenntnis.” Das Präsidium solle laut Stellungnahme ohnehin von 17 auf nur 6 Mitglieder verkleinert werden.
Droht jetzt die Spaltung?
Befeuert von den jüngsten Ereignissen der Innenpolitik konnte die SPÖ zuletzt in den Umfragen leicht zulegen. Anfang April gaben laut einer “Market”-Umfrage 26 Prozent an, die Sozialdemokraten wählen zu wollen. Der öffentliche Bruch Doskozils mit der Partei droht die Partei nun völlig zu spalten.
Die Reaktorkatastrophe von #Tschernobyl vor 35 Jahren ist der Welt eine einzigartige Mahnung: Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie. Die Energiewende muss durch den konsequenten und raschen Ausbau von erneuerbarer Energie gelingen. (prw)
— Pamela Rendi-Wagner (@rendiwagner) April 26, 2021
Der Brief im Wortlaut
An die Mitglieder des SPÖ Präsidiums
Liebe Pamela, liebe Mitglieder des Präsidiums,
wir erleben schwere Zeiten in Österreich. Die letzten Wochen waren eine enorme Herausforderung für unser Gesundheitssystem. Wir alle haben unseren Beitrag geleistet, um eine katastrophale Situation zu verhindern. Dafür möchte ich mich bei euch allen herzlich bedanken!
Wir erlebten aber auch eine Zuspitzung der innerparteilichen Diskussion. Der Lockdown erschwert persönliche Begegnungen, zudem tun die Überhitzung der Sozialen Medien und die andauernde Krisensituation unserer Debattenkultur nicht gut. Aber ich möchte hier nicht lange und breit räsonieren, was genau die Ursachen für die schwierige innerparteiliche Situation sind. Fakt ist, wir erleben seit Wochen die immer gleichen Debatten. So manch einer hat zusätzlich Öl ins Feuer gegossen, gerade in den Sozialen Medien mitunter oft sehr untergriffig. Auch ich habe in der politischen Leidenschaft wohl das ein oder andere Mal den Bogen überspannt. Dabei ist es mir aber nie um Personalfragen gegangen, die die Medien so interessieren, sondern einzig und allein um unser inhaltliches Profil.
In der jetzigen Krisensituation hat aber niemand Verständnis für interne Debatten. Deshalb möchte ich einen Neustart ermöglichen und werde deshalb nicht mehr als stellvertretender Parteivorsitzender kandidieren. Ich tue dies ohne jeden Groll, sondern einzig und alleine in der Absicht, die SPÖ aus dem medialen Dauerfeuer zu nehmen – weil mir die Zukunft unserer Partei, wie euch allen, ein Herzensanliegen ist.
Michael Ludwig hat vor Kurzem ganz richtig gesagt, dass jede und jeder in seinem Bereich Verantwortung trägt. Meine Verantwortung ist es, das Burgenland und seine Bevölkerung gut durch diese schwierige Zeit zu führen. Als Landeshauptmann bin ich jetzt rund um die Uhr gefordert. Die Verantwortung für den Kurs der Bundespartei trägst vor allem du, liebe Pamela. Mit meinem Schritt hoffe ich dich dabei zu unterstützen.
Es ist in der Vergangenheit nicht gelungen, die unterschiedlichen Standpunkte in der Partei zu einer gemeinsamen Position zusammenzuführen. Es ist mir ein Anliegen, euch einige Punkte mitzuteilen, die mir besonders am Herzen liegen. Inwiefern ihr diese aufgreift, liegt ganz in eurem Ermessen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen in dieser Situation eine Perspektive brauchen: Es gilt eine Balance zu finden, die sowohl den gesundheitlichen wie auch den gesellschaftlichen Bedürfnissen der Menschen Rechnung trägt. Wir brauchen eine klare Zielvorgabe, wie wir zurück zur ersehnten Normalität kommen. Ich bin stolz auf die Burgenländerinnen und Burgenländer, weil sie es durch ihr Verhalten geschafft haben, dass sich die Lage im Burgenland wieder entspannt. Mit der niedrigsten 2-Wochen-Inzidenz in Österreich ist eine Aussicht auf mehr Normalität zum Greifen nahe.
Ich will nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe, dass uns in den vergangenen Monaten die Balance zwischen Gesundheit und Gesellschaft als SPÖ oft schwergefallen ist. Ein Beharren auf besonders restriktiven Maßnahmen, ohne Perspektive für die Menschen, die diese Einschränkungen ertragen müssen, führt aus meiner Sicht zu keinem sinnvollen Ergebnis. Weder gesundheitspolitisch noch gesellschaftspolitisch. Es ist leider auch nicht das erste Mal, dass wir uns schwertun, ein Gleichgewicht zwischen der Meinung der Bevölkerung und unseren eigenen politischen Vorstellungen zu finden. Das war beispielsweise auch schon in der Migrationsfrage so. Da gab es das Migrationspapier, das von Peter Kaiser und mir im Auftrag des damaligen Parteivorsitzenden Christian Kern erarbeitet, aber leider vom Papier nie zur gelebten Realität gebracht wurde. Offenbar sind die Beharrungskräfte in den Strukturen bei manchen Themen, selbst wenn sich eine breite Mehrheit zu ihrer Umsetzung entschließt, sehr groß. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es bis heute ungelöste Baustellen, wie etwa beim Mindestlohn.
Wir müssen uns fragen, welchen Anspruch wir an die SPÖ stellen, Wollen wir eine breite Volkspartei sein, die den Anspruch hat, das Land zu gestalten und das Leben der Österreicherinnen und Österreicher zu verbessern? Je mehr wir uns in Nischenthemen verlieren, desto mehr graben wir uns das Wasser ab, um Fortschritt zu sichern und soziale Gerechtigkeit in Österreich herzustellen. Möglicherweise ersparen wir uns dann zwar die kontroversen Standpunkte innerhalb der Partei, aber wir verlieren dafür den Anschluss an die (Wählerinnen und Wähler, ergänzt)
Aus meiner Sicht ist die Sozialdemokratie nur dann erfolgreich, wenn sie in Stadt und Land gleichermaßen funktioniert, wenn wir die Lebensrealitäten in Wien, im Burgenland und in ganz Österreich abbilden. Nur die SPÖ hat die Stärke, ein Gegengewicht zur unsozialen Politik der türkisen ÖVP und zur Lifestylepolitik der Grünen darzustellen und gleichzeitig eine echte Alternative zur stark polarisierenden FPÖ zu bieten. Doch das geht nur, wenn wir uns auf unseren Kernbereich konzentrieren. Dieser liegt meiner festen Überzeugung nach darin, den Menschen im Land Wohlstand, Sicherheit und soziale Absicherung durch unsere Politik zu garantieren.
Für uns sollte nicht wichtig sein, was diejenigen wollen, die ihre Interessen in den Sozialen Medien besonders laut formulieren, sondern was das Leben der großen Mehrheit in diesem Land verbessert. Das gelingt nur mit einer konkreten und zielgerichteten Politik.
Ich leiste im Burgenland meinen Beitrag durch klare Perspektiven in der Corona-Politik und ein Regierungsprogramm, das vom Mindestlohn über das Anstellungsmodell für pflegende Angehörige bis hin zur Öko-Wende zeigt, wie die Sozialdemokratie das Leben der Menschen verbessern kann. Die Bundespartei muss diese klare Positionierung ebenfalls schaffen. Ich möchte dazu beitragen, indem ich die ständige mediale Diskussion durch meinen Rückzug beende.
Zukünftig entsenden wir in den Vorstand mit Landtagspräsidentin Verena Dunst, Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf und Bildungslandesrätin Daniela Winkler, drei Frauen, die unsere Positionen artikulieren und ganz selbstverständlich einen Beitrag zu einer echten Gleichstellungspolitik jenseits akademischer Debatten leisten werden.
Vielleicht gelingt es durch meinen Rückzug, dass die SPÖ der Bevölkerung eine Perspektive in der Pandemie bieten kann und es bei wichtigen Themen wie der Wirtschafts- und Migrationspolitik zu einer einheitlichen und vor allem konstanten Positionierung kommt. Ich gebe dabei zu bedenken, dass es wichtiger ist, die Bevölkerung mit einer starken sozialdemokratischen Politik, die das Leben der Menschen verbessert, zu überzeugen als die Harmonie unter den hochrangigen Funktionärinnen und Funktionären zu wahren.
Es ist die Bevölkerung, die uns den Auftrag erteilt, politisch zu gestalten oder eben nicht, Euch, als Mitglieder des Präsidiums und vor allem dir, liebe Pamela, wünsche ich die Kraft und das Durchsetzungsvermögen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Österreich braucht eine starke Sozialdemokratie. Das muss unser gemeinsames Ziel sein und ich hoffe, dass ich mit meinem Schritt einen Beitrag dazu leiste. Als Delegierter des Burgenlandes werde ich am Parteitag selbstverständlich persönlich teilnehmen.
In Freundschaft,
Hans Peter
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