Drohnen-Alarm in Europa: Panik vor Russland – ganz ohne Beweise
Überall Drohnen, überall Alarm – und sofort heißt es: Russland steckt dahinter. Doch niemand kann Beweise liefern. Viele „Sichtungen“ waren schlicht Fehlalarme. Trotzdem wird die Angst vor Moskau weiter angeheizt.
Flughafen München im Ausnahmezustand – wegen Drohnenalarm. Doch Beweise für die „russischen“ Flugobjekte? Fehlanzeige.APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Die Meldungen klingen bedrohlich: Über München sollen Drohnen gesichtet worden sein, über dem Fliegerhorst in Erding, an der belgischen Grenze, über Werften und Landtage. Kaum eine Region, über der in diesen Tagen nicht gefährliche Flugobjekte erfasst worden sein sollen – und verlässlich wird in der Berichterstattung darüber Russland als potenzieller Absender genannt. Belege dafür gibt es nicht.
Die Sorge, dass Moskau hinter den mysteriösen Himmelserscheinungen stecken könnte, sitzt bei Journalisten und Politikern auffallend tief. Die Rede ist schon von einer „Vorkriegszeit“. CDU-Kanzler Friedrich Merz sagt: „Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.“ Der polnische Premier Donald Tusk will die „Vorkriegszeit optimal nutzen“, und Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen nannte die Drohnen-Vorfälle einen „schwerwiegenden Angriff“.
Drohen-Sichtungen: Die meisten Meldungen waren Irrtümer und Fehlalarme
Doch wie die Berliner Zeitung in einer ausführlichen Analyse zeigt, bröckelt das Bedrohungsnarrativ an vielen Stellen. Denn ein genauer Blick auf die Fakten ergibt: Zahlreiche Drohnenmeldungen der vergangenen Tage stellten sich als Irrtümer, Missverständnisse oder schlicht Fehlalarme heraus.
„Keine registrierten Drohnenüberflüge“
So erklärte eine Sprecherin der Flugabwehrraketengruppe 21 der Bundeswehr, entgegen der Berichte habe es am Standort Sanitz und weiteren Standorten „keine registrierten Drohnenüberflüge“ gegeben. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack sprach davon, dass Experten inzwischen „bei einem Großteil der Sichtungen illegale, kritische Drohnen-Überflüge ausschließen“. Trotzdem machten große Medien weiter mit Schlagzeilen Stimmung.
Im Ausland kühlt sich die Aufregung um Drohnen langsam wieder ab. In Dänemark spricht man inzwischen lieber von „Luftbeobachtungen“ statt von Drohnen. In Polen, wo anfangs eine russische Drohne für Schäden an einem Haus verantwortlich gemacht wurde, ergaben Recherchen der Zeitung Rzeczpospolita: Es war wohl eine fehlgeleitete Rakete der eigenen Armee. Und in Norwegen legte eine angebliche Drohne kurzzeitig den Flughafen Oslo lahm – später stellte sich heraus: Fehlalarm. Laut Betreiber Avinor kommt das regelmäßig vor, meist durch Touristen mit Kamera-Drohnen.
In Deutschland hingegen fordern CDU-Politiker Jens Spahn und Johann Wadephul jetzt im Hinblick auf die angebliche Drohnen-Bedrohung aus Russland mit Nachdruck die Wiedereinführung der Wehrpflicht. CSU-Mann Manfred Weber sprach bei Markus Lanz sogar von einem Gegenschlag auf Moskaus Infrastruktur!
In der Berliner Zeitung fragt Autor Ole Skambraks: Geht es hier noch um Sicherheit – oder längst um politische Stimmungsmache? Zahlen sind konstant – Reaktion hat sich verändert
Fakt ist: Dass Drohnen über Flughäfen oder Industrieanlagen auftauchen, ist kein neues Phänomen. Die Deutsche Flugsicherung registrierte laut Skambraks schon 2018 über 150 solcher Fälle, im vergangenen Jahr 149. Die Zahlen sind konstant – nur die Reaktion hat sich verändert.
Interessant: Im Zentrum der aktuellen Berichterstattung immer wieder eine Stimme: die Politikwissenschaftlerin Ulrike Franke vom „European Council on Foreign Relations“. Kaum eine Expertin war in den vergangenen Tagen so präsent, so der Autor der Berliner Zeitung. Franke war beim ZDF, im Deutschlandfunk, bei Spiegel, Welt, Focus, Tagesspiegel, n-tv, ORF, SRF. Überall wird sie als profilierte Verteidigungsexpertin vorgestellt. Doch ihre Einschätzungen klingen oft alarmistisch: Im ORF sprach sie von einer „ernsten Lage“, im ZDF davon, es „deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich russische Drohnen sind oder für Russland fliegende Drohnen“. Belege dafür gibt es bislang keine.
Passend zum Drohnen-Alarmismus fragte Franke zuletzt in einem Podcast, ob die jüngere Generation „kriegstüchtig genug“ sei. Diplomatie spielte in dem Gespräch keine Rolle, kommentiert Skambraks in der Berliner Zeitung. Und er zitiert den Journalisten Richard Werly, der vor einer gefährlichen Verschiebung warnt. „Man kann sich sehr gut vorstellen, dass prowestliche militärische Kräfte durch Drohnenattacken, die kein reales Risiko darstellen, die Finanzierung von Aufrüstung vorantreiben“, so Werly im französischen Fernsehen. Ein General, der ihm gegenüber saß, antwortete: „Ich würde sagen, dass man Ihren Ansatz nicht ausschließen kann.“
Kreml verneint Beteiligung
In Moskau hat man auf die Vorwürfe, man bedrohe Europa auf der Luft, inzwischen reagiert. „In Europa gibt es viele Politiker, die dazu neigen, derzeit für alles Russland verantwortlich zu machen. Sie tun dies stets unbegründet und pauschal“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
Peskow räumt ein: „Die Geschichte mit diesen Drohnen ist in der Tat zumindest seltsam. Aber andererseits gibt es wiederum keinen Grund, Russland dafür verantwortlich zu machen“, sagte er mit Blick auf Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz.
Merz hatte am Sonntag in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ nach den Drohnensichtungen in München gesagt: „Wahrscheinlich wird jedenfalls ein wesentlicher Teil davon aus Russland gesteuert.“ Merz sagte auch: „Wir wissen, dass Putin uns testen will.“
Präsident Wladimir Putin hatte am vergangenen Donnerstag erklärt, dass die Anschuldigungen gegen Russland wohl dazu dienen sollen, die Lage weiter anzuheizen und Europa dazu zu bringen, seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Zugleich wies er auf einem Forum vor internationalen Gästen auch Vorwürfe als Unsinn zurück, dass Russland ein Nato-Land angreifen wolle.
Der stellvertretende Vorsitzende des russischen nationalen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, warf Merz und auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor, sie wollten Kriegsängste schüren. Es sei an der Zeit, dass die Bevölkerung diesen „Missgestalten“ die „Köpfe abreißt“, schrieb der frühere Präsident bei Telegram.
Zugleich meinte Medwedew, dass es unterschiedliche Erklärungen für die Herkunft der Drohnen geben könne, darunter auch Provokationen von Ukrainern, die so Europa in einen Krieg hineinziehen wollten. Er räumte ein, dass es sich um Aktivitäten einer prorussischen Untergrundbewegung in den Ländern handeln könne, mit dem Ziel, das Leben in der EU zu destabilisieren. Möglich seien nicht zuletzt auch Spielchen von Rowdys, die ihre Behörden ärgern wollten.
„Tatsächlich kann jede der genannten Ursachen oder eine Kombination davon der Grund für diese Panik um die ,russischen Drohnen’ sein“, meinte Medwedew. „Das ist jedoch nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass die kurzsichtigen Europäer am eigenen Leib erfahren, was die Gefahr eines Krieges bedeutet.“ Russland führt seit mehr als dreieinhalb Jahren Krieg gegen die Ukraine. Beide Seiten setzen dabei immer mehr Drohnen ein.
Dieser Beitrag ist zuerst bei unserem Partner-Portal NIUS erschienen.
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