Die ÖVP kann sich rühmen, das Innenministerium behalten und das Kanzleramt erobert zu haben. Doch nach den gescheiterten Gesprächen mit der FPÖ bleibt die Frage: War es das wert? Denn sonst verliert die Volkspartei fast alles, was sie in einer blau-schwarzen Regierung bekommen hätte.

Sieben Ministerien in schwarzer Hand: letzter Vorschlag zur Ressortverteilung bei den blau-schwarzen GesprächenRessortaufteilung/Screenshot

Außenministerium: Ein erfahrener Diplomat bleibt auf der Strecke

Gerade in geopolitisch heiklen Zeiten ist das Außenministerium von entscheidender Bedeutung. Hier hätte die ÖVP mit Peter Launsky-Tieffenthal einen erfahrenen Diplomaten vorweisen können, der auf 40 Jahre internationale Erfahrung zurückblickt. Doch stattdessen wandert das Ressort zu den Neos – mit Beate Meinl-Reisinger, die keinerlei außenpolitische Erfahrung hat. Selbst Ex-SPÖ-Kanzleramtsminister Thomas Drozda zeigte sich fassungslos.

Infrastrukturministerium: Ein Schlüsselressort für die Wirtschaft

Der Ausbau der Infrastruktur wäre ein entscheidender Hebel, um die anhaltende Wirtschaftskrise zu überwinden. Doch statt die Verantwortung zu übernehmen, überlässt die Volkspartei das Ressort dem ehemaligen Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) – der den Wechsel in die Bundespolitik eigentlich gar nicht wollte.

Wäre eigentlich gerne in Wien geblieben: Finanzstadtrat Peter Hanke (Bild, SPÖ)APA/APA/HANS KLAUS TECHT

Bildung und Wissenschaft – das nächste Reformressort

Bei Schulsystem und Lehrplan ist der Reformbedarf ebenfalls unbestritten. Vieles ist überdies nicht mehr zeitgemäß. Doch die ÖVP verzichtet freiwillig auf dieses Schlüsselressort und überlässt es Christoph Wiederkehr (NEOS), dem bisherigen Wiener Bildungsstadtrat.

Sozialministerium: Wieder in roter Hand

Wenig überraschend geht das Sozialministerium an die SPÖ. Künftig wird sich Korinna Schumann (SPÖ), eine langjährige Gewerkschafterin, um die Sozialagenden kümmern.

Steigt mehrere Karrierestufen auf: Korinna Schumann (Bild, SPÖ).APA/MAX SLOVENCIK

Wirtschaft, Landwirtschaft und Verteidigung bleiben zwar in ÖVP-Hand, ebenso das Kanzleramt mit den Bereichen Familie, Integration und EU. Doch diese Ressorts hätte die Partei auch in einer Koalition mit der FPÖ bekommen – und zusätzlich noch viel mehr.

Das schwarze Regierungsteam: (v.l.) Alexander Pröll, Elisabeth Zehetner, Wolfgang Hattmannsdorfer, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Innenminister Gerhard Karner, Bundesparteiobmann Christian Stocker, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Claudia Plakolm, Barbara Eibinger-Miedl und August Wöginger.APA/HELMUT FOHRINGER

Das Innenministerium: Eine merkwürdige Priorität

Dass die FPÖ auf das Innenministerium pochte, war zu erwarten – immerhin ist das Thema Migration seit Jahrzehnten ein zentrales Anliegen der Freiheitlichen. Zur Frage, warum die ÖVP so vehement daran festhielt, liefert ÖVP-Chef Christian Stocker in der ZiB 2 folgende Erklärung:

„Beim Innenministerium ist es um die Sicherheit des Landes und der Menschen in diesem Land gegangen. Wir haben es sehr ernst genommen, dass wir Warnungen von ausländischen Diensten erhalten haben, dass die Zusammenarbeit gefährdet gewesen wäre. Der geplante Anschlag beim Taylor-Swift-Konzert konnte durch diese Zusammenarbeit verhindert werden. Wir können über vieles reden, wir könne viele Kompromisse finden – in dieser Frage der Sicherheit eben nicht.“

In der ZiB 2 warnte Stocker (Bild) nach den geplatzten Verhandlungen mit der FPÖ vor den Folgen eines blauen Innenministers.ORF/ZiB 2

Die unglaubwürdige Erklärung der ÖVP

Mit Verlaub: Diese Darstellung ist fragwürdig. Stocker – und ebenso und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) – unterstellen ausländischen Nachrichtendiensten nämlich etwas Erstaunliches: Diesen würden ein Blutvergießen in Wien in Kauf nehmen, nur weil ihnen die Parteizugehörigkeit des Innenministers nicht passt.

Noch absurder wird es, wenn man bedenkt, dass ausländische Fans – etwa aus Großbritannien, Deutschland oder Israel – extra für das Taylor-Swift-Konzert angereist waren. Würden diese Länder wirklich riskieren, dass ihre eigenen Staatsbürger bei einem Anschlag getötet werden, nur weil sie die FPÖ nicht mögen? Das ist kaum glaubwürdig.

Gerhard Karner (l.) bleibt Innenminister – aus Gründen der Sicherheit, wie Bundesparteiobmann Christian Stocker (M.) meint. Rechts: ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.APA/HELMUT FOHRINGER

Überdies: Laut dem letzten Vorschlag zur Ressort-Aufteilung wäre in einer blau-schwarzen Regierung ein parteiunabhängiger Staatssekretär für die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) zuständig gewesen – doch die ÖVP willigte nicht ein.

Internationale Praxis: Terrorwarnungen werden immer weitergegeben

Es ist korrekt, dass die Intensität der Geheimdienstzusammenarbeit variieren kann. Doch Terrorwarnungen werden immer weitergegeben. Selbst Russland erhielt von den USA eine Warnung vor dem Anschlag in der Crocus City Hall bei Moskau im März 2024. Dass ein FPÖ-Innenminister eine größere Gefahr für den Austausch darstellen soll als Russland, das sich im Krieg mit der vom Westen unterstützten Ukraine befindet, ist nicht plausibel – höflich formuliert.

Warum die ÖVP – vermutlich unter Einfluss der niederösterreichischen Landespartei – so verbissen am Innenministerium festhielt, bleibt damit rätselhaft. Was sie dafür geopfert hat, ist allerdings offensichtlich: mehrere strategisch bedeutende Ressorts.