Ermittlungen gegen Sebastian Kurz: Ein Top-Jurist sieht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft überhaupt nicht zuständig
Seit mehr als zwei Wochen beschäftigen die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz die Öffentlichkeit. Nur: Dass die WKStA überhaupt zuständig ist, bestreitet nun ein renommierter Strafrechtler. Brisant ist das vor allem deshalb, weil das Verhältnis zwischen Kurz und WKStA als ohnehin spannungsgeladen gilt.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen Falschaussage, ohne hierfür überhaupt zuständig zu sein. Diesen Vorwurf äußern seit Bekanntwerden der Ermittlungen zumindest renommierte Strafrechtler hinter vorgehaltener Hand. Einer von ihnen hat darüber nun mit dem eXXpress gesprochen.
WKStA und Kanzler standen bereits in einem Konflikt
Kanzler Kurz und WKStA gelten spätestens seit Februar 2020 nicht als “beste Freunde”. Damals kamen kritische Bemerkungen des Kanzlers über die WKStA an die Öffentlichkeit, denen zufolge die WKStA bei der Casinos-Affäre einseitig gegen die ÖVP ermittle. Ebenso sprach Kurz von “roten Netzwerken” dort – ein Vorwurf, für den es bis heute keine Belege gibt.
Vor diesem Hintergrund sind die Ermittlungen der WKStA nochmals deutlich brisanter, denn eine Behörde, die in einem offenen Konflikt mit einem Politiker steht, wäre normalweise gut beraten, die Anzeige gegen eben diesen Politiker sofort an eine andere Staatsanwaltschaft abzutreten. Noch heikler ist es daher, wenn der WKStA auch noch die Zuständigkeit für diese Ermittlungen von einigen Strafrechtsexperten abgesprochen wird.
Eine politische Bestellung ist strafrechtlich irrelevant
Es war Sebastian Kurz selbst, der am 12. Mai die Öffentlichkeit darüber informierte: Die WKStA hat Ermittlungen gegen ihn eingeleitet, nicht wegen Korruption, sondern wegen des Verdachts der Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss – der eXXpress berichtete. Die WKStA hatte damit die Anzeigen von SPÖ und Neos gegen Kurz aufgegriffen.
Anlass der Anzeigen waren Kurz’ Aussagen zur Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand sowie zur Auswahl des Aufsichtsrates der Staatsholding. Ob hier Kurz die Wahrheit gesagt hat oder nicht, und zwar vorsätzlich, denn nur dann ist das Delikt der Falschaussage verwirklicht, ist die eine Frage. Ob seine Aussagen aber überhaupt den Gegenstand des U-Ausschusses betreffen, nämlich Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch, das ist die andere Frage. Thomas Schmids Bestellung fällt nämlich nicht unter Amtsmissbrauch und ist auch sonst nicht strafrechtlich relevant. Als politische Bestellung ist sie höchstens politisch von Bedeutung. Zumindest bis jetzt sieht das auch die WKStA so.
Kein Zusammenhang zu den Ermittlungen der WKStA
In ihrer 58-seitigen Mitteilung an den Bundeskanzler nennt die WKStA Kurz’ Aussage, wonach er über Schmids Bestellung nur informiert, nicht aber eingebunden gewesen sei. Auch das “Nein” des Kanzlers zu der Frage, ob er mit Schmid über dessen Bestellung zum ÖBAG-Chef gesprochen hat, beschäftigt die WKStA (der eXXpress berichtete). In beiden Fällen sieht die WKStA den Verdacht der Falschaussage (gemäß Paragraf 288 des Strafgesetzbuches). Nur: Beides erhärtet noch nicht den Verdacht der Korruption oder Bestechlichkeit. Auch gemäß der jetzigen Ansicht der WKStA liegt er nicht vor.
Nicht alles, was im Ibiza-U-Ausschuss gesagt wird, fällt in die Zuständigkeit der WKStA. Hätte Kurz behauptet, Thomas Schmid drei Mal im Kaffeehaus getroffen zu haben, obwohl es tatsächlich fünf Mal waren, so riefe das auch noch nicht die WKStA auf den Plan, es sei denn, die Treffen dienten Strafdelikten, für die auch die WKStA zuständig ist.
Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Wien
Die WKStA kann zwar kraft ihrer “Kompetenzkompetenz” andere Verfahren an sich ziehen, allerdings nicht für falsche Beweisaussagen. Dies geht zumindest aus der Strafprozessordnung hervor, und ebenso aus einem Vortrag der WKStA Oberstaatsanwältin Elisabeth Täubl.
Daher hätte die WKStA nach der Anzeige von Rot und Pink gegen Kurz diesen Fall an die Staatsanwaltschaft Wien abtreten müssen, wie mehrere Strafrechtler festhalten. Das unterstreicht auch mit Nachdruck der auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Anwalt Thomas Kralik gegenüber dem eXXpress.
Sebastian Kurz müsste im Korruptionsfall, der den U-Ausschuss beschäftigt, nämlich als Verdächtiger geführt werden, doch das wird er nicht, sagt Kralik:
“Ursprünglich ging es in dem U-Ausschuss um eine vermeintliche Posten-Besetzung der FPÖ an Peter Sidlo (Anm. kurzzeitiger Finanzvorstand der Casinos Austria). In diesem Zusammenhang ist Bundeskanzler Kurz nie als Beschuldigter geführt worden. Hier besteht also kein Zusammenhang.“ Es gebe noch eine andere denkbare Möglichkeit, wie die vermeintliche Falschaussage von Kurz in dem Zuständigkeitsbereich der WKStA fallen könnte: “Andere Personen hätten an der Straftat, die dem Kanzler zur Last gelegt wird, beteiligt sein müssen, zum Beispiel wenn ein Beschuldigter im Verfahren den Kanzler zu der Falschaussage motiviert hätte. Das liegt aber nicht vor.“ Die WKStA hätte das Verfahren nicht aufnehmen dürfen. (Kralik verweist hier auf den ersten Absatz von § 26 StPO.)
"Die WKStA gießt weiter Öl ins Feuer"
Thomas Kralik vertritt zurzeit Thomas Schmid, gegen den die WKStA ebenfalls wegen Falschaussage ermittelt – es gilt die Unschuldsvermutung. Zu diesem Fall will sich Kralik nicht äußern. Bei Schmid scheint zumindest – anders als bei Kurz – ein sachlicher Zusammenhang zwischen dessen Falschaussage und dem Zuständigkeitsbereich der WKStA vertretbar zu sein. Es geht aber um eine andere Causa (nämlich die Glücksspielnovelle 2018 und die Frage, ob der ehemalige FPÖ-Staatssekretär Hubert Fuchs in sie eingebunden war).
Das Vorgehen der WKStA im Falle von Sebastian Kurz ruft bei Kralik Unverständnis hervor: “Nach den Vorwürfen von Kanzler Kurz, der von angeblichen ‘roten Netzwerken’ in der WKStA gesprochen hat, wäre die WKStA besser beraten, das Verfahren an die zuständige Staatsanwaltschaft Wien abzutreten und damit jeden Anschein einer politischen Verfolgung von vornherein auszuschließen. So hat sie sich auch im Falle der Suchtgift-Ermittlungen gegen Thomas Schmid für nicht zuständig erklärt (Anm. die Ermittlungen wurden eingestellt). Bei Kurz hat sie das aber nicht gemacht. Damit gießt sie weiter Öl ins Feuer und öffnet ihren Kritikern eine Front in einem Bereich, für den sie überhaupt nicht zuständig ist. Das hat einen Beigeschmack, der mir als gerechtigkeitsliebendem Anwalt gegen den Strich geht.”
Die WKStA sieht einen "engen sachlichen Zusammenhang"
Die WKStA beruft sich gegenüber dem eXXpress auf den “engen sachlichen Zusammenhang” zum Gegenstand ihrer Ermittlungen. Dieser sei ausreichend um die eigene Zuständigkeit zu begründen. Es sei auch normal, dass jene Staatsanwaltschaft, die das Verfahren führt, zuständig ist. In eben diesem Sinne habe auch die Generalprokuratur bisher in vergleichbaren Fällen entschieden. Deshalb wurden schon öfters Verfahren an die WKStA abgetreten, wie etwa zuletzt im Fall der Commerzialbank Mattersburg.
Kralik kann dies nicht nachvollziehen und bekräftigt: “Grundsätzlich ist es richtig, dass bei engem sachlichen Zusammenhang die WKStA das Verfahren führen kann. Nur sehe ich hier absolut keinen sachlichen Zusammenhang, schon gar keinen engen bei einem Verfahren, bei dem es um vermeintliche Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch geht. Die angebliche Falschaussage steht dazu in überhaupt keinem sachlichen Zusammenhang, zumal die WKStA ja schon wiederholt ausgeführt hat, dass eine politische Postenbesetzung alleine keine strafbare Handlung darstellt. Und bei den inkriminierten Aussagen des Bundeskanzlers ging es rein um angebliche politische Postenbesetzungen.
"Die Oberstaatsanwaltschaft müsste sich einschalten"
Was sämtliche Strafrechtler ebenfalls verwundert hat, war die Länge der Kundmachung der WKStA an Kurz. Dazu Kralik: “Dass eine Beschuldigten-Verständigung derart umfangreich ist, ist ungewöhnlich. Normalerweise beschränkt man sich darauf, den Sachverhalt in ein paar Sätzen festzuhalten. Im Falle des Verdachts einer falschen Aussage eine seitenlange Verständigung vorzulegen, ist höchst ungewöhnlich.”
Sebastian Kurz scheint nur wenige Möglichkeiten haben, sich gegen die Zuständigkeit der WKStA zu wehren. Er könnte sie zwar beanstanden, doch wenn die WKStA das abweist, stehen ihm keine Rechtsmittel mehr zu Gebote. Thomas Kralik: “Eigentlich müsste sich hier die Oberstaatsanwaltschaft einschalten und das Verfahren der Staatsanwaltschaft Wien zuteilen.” Eine Anfrage des eXXpress an die Oberstaatsanwaltschaft blieb bis jetzt unbeantwortet.
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