ÖVP-Chef Stocker irritiert mit einem X-Posting, in dem er seine eigene Partei zur politischen Dekoration degradiert. Reformkraft? Das sei NEOS. Wofür die ÖVP dann noch da ist – unklar.

Der neue Bundeskanzler erklärte nach der Präsentation des Regierungsprogramms auf X wörtlich: „Für zukunftsgerichtete Reformschritte steht NEOS (!). Aus staatspolitischer Verantwortung ist daher auch NEOS Teil dieses Bündnisses und setzt sich für die Reformen ein, die unser Land jetzt braucht.“

Ungewöhnliche Wahlwerbung für die NEOS: Ohne die Pinken würde die Regierung keine wichtigen Reformschritte setzen, so der ÖVP-Chef.X/@CStocker

Politische Bankrotterklärung: ÖVP keine Reformkraft mehr

Kurz gesagt: Ohne NEOS keine Reformen. Heißt das also, mit der ÖVP allein wäre keine einzige dringend nötige Reform möglich? Genau das lässt Stocker durchblicken. Einen anderen Schluss erlaubt sein Posting nicht.

Diese Offenbarung sorgt nicht nur parteiintern für Verwunderung. Schließlich sind Reformen nicht optional – jeder Staat braucht sie, um langfristig zu funktionieren. Doch laut Stocker hält sich die ÖVP dabei lieber zurück. Er lobt NEOS, verzichtet aber auf den eigenen Anspruch, selbst Reformkraft zu sein. Eine politische Bankrotterklärung.

Christian Stocker (l.) blickt voll Zuversicht auf die Arbeit dieser Koalition, dank der Reformkraft – der NEOS… Im Bild mit Andreas Babler (Mitte, SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (r., NEOS).APA/ROLAND SCHLAGER

Spott auf X: „Danke für die offene Ehrlichkeit“

Für diesen „ehrlichen“ Moment erntet er auch Spott: „Danke für die offene Ehrlichkeit“, schreibt ein X-User. „Noch nie hat ein ÖVP-Obmann so offen gesagt, dass seine Partei für rückständige Politik steht, und dass jeder, der zukunftsgerichtete Reformschritte will, NEOS wählen soll. Allerdings glaube ich, dass man mit so einem Eingeständnis zurücktreten soll.“

Auch ein X-User ist überrascht über diese „Ehrlichkeit“.X/@siegbert_nagl

Vielleicht wollte Stocker einfach nur die NEOS-Mitglieder milde stimmen. Innerhalb des Koalitionspartners gab es bis zuletzt kritische Stimmen zur Austro-Ampel. Manche vermissten die viel beschworene Reformkraft der Pinken. Falls das sein Plan war, ist er offenbar aufgegangen: Trotz einiger Gegenstimmen stimmten 94,13 Prozent der NEOS-Mitglieder am Sonntag für das Bündnis – der exxpress berichtete.

Freudentränen bei NEOS-Chefin und Österreichs neuer Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (r.) über die hohe Zustimmung zum Regierungsprogramm bei der NEOS-Mitgliederversammlung.APA/TOBIAS STEINMAURER

ÖVP sorgt für Kompromisse – aber ohne eigenen Standpunkt

Und die ÖVP? Stocker erwähnt sie in seinem Posting nur in einem Zusammenhang: Konsens. Aber Konsens zwischen welchen Standpunkten? Das bleibt offen.

Für Konsens und Kompromisse werde die ÖVP sorgen – aber zwischen welchen Standpunkten?X/@CStocker

Andreas Babler war bei der Präsentation des Regierungsprogramms jedenfalls weit konkreter: Banken, Energiekonzerne, Immobilienunternehmungen und Stiftungen sollen zur Kasse gebeten, Vermieter über eine drastische Mietpreisbremse teilenteignet werden.

Was eigentlich klar sein sollte: Kompromissfähigkeit setzt vor allem eines voraus – einen eigenen Standpunkt. Sonst sind Kompromisse nur ein bequemes Geschenk für die Gegenseite.

Eine weitere Frage bleibt: Wenn NEOS für dringend notwendige Reformen steht – wer steht am Ende noch für die ÖVP?