
„Gefängnis Südeuropas“: Spanien streitet über Migrantenverteilung
Ein neues Dekret zur Verteilung unbegleiteter minderjähriger Migranten sorgt in Spanien für politischen Streit. Die konservative und rechte Opposition lehnt das Dekret ab und verlangt einen härteren Migrationskurs.

Die spanische Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat diese Woche im Ministerrat per Dekret eine Reform des Einwanderungsgesetzes beschlossen. Sie soll die Umverteilung unbegleiteter minderjähriger Migranten unter den spanischen Regionen garantieren und vereinfachen.
Seit Monaten schon drängen vor allem die Regionalregierungen der Kanarischen Inseln sowie der spanischen Nordafrika-Enklave Ceuta auf eine Übernahme unbegleiteter minderjähriger Migranten durch andere Regionen auf dem Festland. Vor allem die spanischen Ferieninseln vor der Westküste Afrikas fühlen sich beim Thema Migration, vor allem der Betreuung jugendlicher Migranten, seit über einem Jahr im Stich gelassen und überfordert.
Kanaren schlagen Alarm: Betreuung am Limit
Im vergangenen Jahr erreichten fast 47.000 afrikanische Bootsmigranten die Kanaren, eine Rekordzahl. Bei Zigtausenden handelte es sich um unbegleitete Minderjährige. Diese genießen nach spanischem Recht einen besonderen Schutz und werden in betreuten Einrichtungen untergebracht. Rund 5.800 Kinder und Jugendliche leben derzeit in rund 80 Spezial-Unterkünften auf den Kanaren, was die Aufnahmekapazität um 300 Prozent übersteigt und die Inselverwaltung an ihre Grenzen bringt.
„Wir hoffen wirklich, dass es mit dem neuen Gesetzesdekret nun endlich zu einer dauerhaften und nachhaltigen Lösung des Problems kommt. Vor allem zu einer verbesserten Betreuung der Minderjährigen“, stellte Juan Carlos Lorenzo, Leiter der Spanischen Kommission für Flüchtlingshilfe (CEAR), einer nicht-staatlichen Organisation zum Schutz des Asylrechts, im Gespräch mit der APA klar.

Konservative und Rechte lehnen das Dekret ab
Ob den Kanarischen Inseln und auch Ceuta, die direkte EU-Außengrenzen haben, jedoch tatsächlich geholfen wird, bleibt abzuwarten. Zwar verpflichtet das Gesetzesdekret der sozialistischen Zentralregierung tatsächlich alle Regionalregierung zur proportionalen Übernahme minderjähriger Migranten. Doch in spätestens einem Monat muss das Dekret im Madrider Parlament verabschiedet und bestätigt werden und sowohl die rechte Partei Vox als auch die konservative Volkspartei (PP) von Oppositionsführer Alberto Núñez Feijoo sprechen sich gegen die obligatorische Verteilung unbegleiteter minderjähriger Migranten aus.
Die konservative Volkspartei, die in der Mehrzahl der 17 spanischen Regionen die Regierung stellt, verlangt von Sánchez einen generellen Kurswechsel in der Migrationspolitik, bevor man sich des Themas der minderjährigen Migranten annehmen will. Die Konservativen fordern, Sánchez müsse eine härtere Migrationspolitik führen und vor allem die Europäische Union stärker einbinden – von mehr Frontex-Schiffen, EU-Ressourcen und der Übernahme minderjähriger Migranten durch andere EU-Staaten.
Bereits im Sommer wurde die Reform der spanischen Einwanderungsgesetze aus diesem Grund von den Konservativen, der größten Fraktion, im Parlament abgelehnt. Diesmal dürfte Sánchez sich aber durch einen Deal mit Carles Puigdemonts Junts-Separatisten in Katalonien eine ausreichende Mehrheit gesichert haben, um die per Dekret verabschiedete Umverteilung minderjähriger Migranten in die restlichen Regionen abzusichern.

Gemeinsam mit Junts reichten Sánchez Sozialisten im Parlament einen gemeinsamen Gesetzentwurf ein, mit dem Spanien Kompetenzen in der Migrationspolitik an Katalonien überträgt. So verpflichten sich die Sozialisten dazu, dass die katalanische Regionalpolizei Mossos de Esquadra zusammen mit der spanischen Guardia Civil die Sicherheit in Häfen, Flughäfen und „kritischen Bereichen“ in „Zusammenarbeit“ übernimmt. Außerdem soll die katalanische Regionalregierung die volle Befugnis für die Verwaltung der Abschiebehaftzentren (CIE) erhalten. Die konservative Präsidentin der Hauptstadtregion Madrid, Isabel Díaz Ayuso, kündigte bereits an, sich nicht an das Dekret halten zu wollen und die obligatorische Verteilung minderjähriger Geflüchteter vor Gericht und bei der Europäischen Union anfechten zu wollen.

Kanaren kritisieren mangelnde Solidarität
Fernando Clavijo, Präsident der Kanarischen Inseln, kritisierte das „Fehlen von Solidarität“ vieler PP-Regionalregierung und zeigte für das Vorgehen Ayusos „vollkommenes Unverständnis“, zumal seine Regionalpartei Coalición Canaria zusammen mit der PP auf den Kanaren regiert. Er warf der Madrider Regionalfürstin sogar vor, sie wolle „die Kanarischen Inseln als Gefängnis Südeuropas belassen“, in dem die Migranten festsitzen.
Nun meldete sich sogar die katholische Kirche zu Wort. Am Donnerstag forderte Erzbischof Luis Argüello, Vorsitzender der spanischen Bischofskonferenz, alle Parteien zu einer „Willkommenskultur“ und einer „gerechten Verteilung“ der Minderjährigen zwischen den Regionen auf, um sie auf eine „menschenwürdige“ Art betreuen zu können. (APA/red)
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