Gespräche starten: EU will Beitritt eines Landes, in dem nicht gewählt werden darf
Es wird im Frühjahr keine Wahl in der Ukraine geben – das sagte jetzt Wolodymyr Selenskyj (45), obwohl Präsidentschaftswahlen verpflichtend für 2024 angesetzt sind. Die EU-Spitze in Brüssel ignoriert das und beginnt sogar Beitrittsgespräche mit Kiew.
Im August wollte Wolodymyr Selenskyj noch Geld von der EU und den USA dafür, dass er eine Wahl im Jahr 2024 abhält. Viel Geld: Etwa fünf Milliarden Euro seien für diesen Beweis einer funktionierenden Demokratie in der Ukraine nötig, meinte man in Kiew. Zum Vergleich: Eine komplette Nationalratswahl in Österreich (neun Millionen Einwohner) kostet laut finanz.at zwölf Millionen Euro. In der Ukraine leben etwa 34 Millionen Einwohner, also 3,7-mal mehr als in Österreich. Eine Wahl in der Ukraine könnte somit – nach österreichischen Standards – um 45 Millionen Euro durchgeführt werden.
Jetzt ist auch dieses Bezahl-Modell abgesagt: Selenskyj meinte in seiner aktuellen Video-Botschaft, dass im Frühjahr 2024 sicher keine Wahl stattfinden werde. Und auch nicht, so lange der Krieg mit der Russischen Föderation andauert.
Von der Leyen zufrieden mit den "Fortschritten" in der Ukraine
Fast zeitgleich verbreiteten nun in der Nacht auf heute Nachrichtenagenturen, dass die EU mit Verhandlungen über einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union beginnen wird – also Beitrittsgespräche mit einem Land startet, das ausdrücklich keine demokratischen Wahlen abhalten wird.
Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die Ukraine viele Etappenziele – also die Auflagen aus Brüssel – erreicht: Das Justizsystem sei im Sinne der geforderten Standards angepasst worden, beispielsweise die Bekämpfung der Geldwäsche. Fast alle, aber nicht alle, Bedingungen für den Start von EU-Beitrittsverhandlungen seien nach dem Antrag vor mehr als einem Jahr nun erfüllt. „Sie haben bereits deutlich über 90 Prozent des Weges hinter sich”, sagte von der Leyen kürzlich im ukrainischen Parlament.
Allerdings existiert noch ein ziemlich großes Hindernis für einen tatsächlichen Start der EU-Aufnahme der Ukraine: Die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen den Beitrittsprozess beschließen – und dafür braucht es Einstimmigkeit im Rat der Union, im Ministerrat. Mehrere Staaten haben allerdings Bedenken, solche Verhandlungen mit einem im Krieg befindlichen Land, dessen Territorium und Grenzen infrage stehen, zu beginnen. Außerdem ein wichtiger Punkt: die noch immer dramatische Korruptions-Situation in der Ukraine.
Beim nächsten EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Dezember wird sich zeigen, ob alle Mitgliedstaaten der Kommission folgen wollen – alleine schon die ungarische Regierung wird klar dagegen sein. Ein EU-Beitritt der Ukraine vor dem Jahr 2030 sei aber ohnehin auszuschließen, auch wenn das Wolodymyr Selenskyj ganz anders sehen möchte.
Was ein möglicher EU-Beitritt der wirtschaftlich am Boden liegenden Ukraine an zusätzlichen Kosten für die Nettozahler – wie Österreich – bedeutend würd, ist noch vollkommen ungeklärt. Fest steht bisher nur, dass Brüssel an die Regierung in Kiew bis 2027 weitere 50 Milliarden Euro überweisen wird. Eine Aufstellung über die konkrete Verwendung sämtlicher Hilfszahlungen der europäischen Steuerzahler für die Ukraine sucht man bisher vergeblich.
Kommentare