
Die Gräben innerhalb der NATO vertiefen sich: Paris und Berlin finden zu keiner gemeinsamen Strategie
Noch im Februar 2023 schwärmte das Wall Street Journal: Der Krieg in der Ukraine habe die NATO gestärkt. „Ein Jahr später zeigen sich immer mehr Risse innerhalb des Bündnisses“, kommentiert der Politologe Ralph Schöllhammer (Webster Universität). Sein Urteil: „Die NATO hat keinen kohärenten Aktionsplan“.

Die Spannungen innerhalb der NATO wachsen. Das alles spiele Putin in die Hände, sagt Schöllhammer, der auch regelmäßiger Gast auf eXXpressTV ist. In einem Kommentar in „unherd“ verweist der Top-Politologe auf die immer deutlicher werdenden Differenzen zwischen Paris und Berlin, und auf den Streit über den nächsten NATO-Generalsekretär.
Vor allem Frankreich und Deutschland, die beide bis heute nicht die geforderten zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben, „bereiten den anderen Mitgliedern besonderes Kopfzerbrechen: Sie sind nicht in der Lage, eine Strategie gegenüber Russland zu formulieren, die von beiden Enden der Achse Berlin-Paris unterstützt wird.“

Macron löst Streit über NATO-Bodentruppen in der Ukraine aus
Doch es wird noch schlimmer: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sich weiterhin gegen die Entsendung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine aus, weil er nicht das Risiko eines direkten Krieges mit Russland eingehen möchte. Ausgerechnet zur gleichen enthüllte ein peinliches Leak im deutschen Militärgeheimdienst, dass Großbritannien möglicherweise bereits Bodentruppen in der Ukraine stationiert hat. Der Schaden für die NATO ist erheblich.
Andererseits sorgte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kürzlich für Schlagzeilen, als er andeutete, dass westliche Truppen in die Ukraine geschickt werden könnten. Scholz lehnte diesen Vorschlag, so wie fast alle NATO-Staaten, ab. (Zu den wenigen Ausnahmen gehörte der polnische Außenminister.) Auch Macron hat Putin damit „in die Hände gespielt“, kritisiert Schöllhammer. Die Idee des französischen Präsidenten „bestärkt den Kreml in seiner Darstellung, die Ukraine sei nur ein Stellvertreterkrieg, den die NATO führe, um Russland ‚fertig zu machen‘. Das letzte Woche durchgesickerte Gespräch zwischen Offizieren der deutschen Luftwaffe hat dies noch verstärkt.“
Macron spottet über Deutschland – zu Unrecht
Ralph Schöllhammer konstatiert: „Die moralische und politische Führung Frankreichs und Deutschlands wird in Osteuropa ernsthaft in Frage gestellt.“ Überdies spottete Macron auch noch über Scholz, weil er „Schlafsäcke und Helme“ anstelle von Waffen in die Ukraine geschickt habe. Eigentlich eine ziemlich freche Aussage: Laut dem Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts hat Deutschland rund 17,7 Milliarden Euro an militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe für Kiew geleistet, am zweitmeisten nach den USA, während Frankreich nur magere 635 Millionen Euro beigesteuert hat.
Osteuropa will nicht Ex-Premier Rutte als NATO-General
Zu allem Überdruss braut sich auch noch eine Revolution gegen den wahrscheinlichen nächsten Generalsekretär der NATO zusammen. Das soll nämlich der niederländische Premierminister Mark Rutte werden. Nach Ansicht des ehemaligen estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves stellt sich die Frage: „Welche moralische Glaubwürdigkeit hat dieser Mann?“ In der Amtszeit von Rutte habe die Niederlande nicht ein einziges Mal mehr als zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgegeben.

Spaltungen spielen Putin zunehmend in die Hände
Für Schöllhammer steht fest: „Diese Spaltungen sind tiefgreifend und spielen Moskau in die Hände, indem sie die wahrscheinlichste ursprüngliche Strategie Wladimir Putins wiederbeleben: darauf zu setzen, dass die Europäer – vor allem Deutschland – einen neuen Status quo akzeptieren, damit die russische Energie weiter fließt.“ Zurzeit plant Berlin den größten Ausbau von Gaskraftwerken in Europa, „und irgendwoher muss das Gas ja kommen.“

Künftig könnte wieder Gas aus Russland nach Deutschland fließen
Höchstwahrscheinlich werde eine „Diversifizierung der Energierisiken eine fortgesetzte Handelsbeziehung mit Russland als einem von vielen Partnern beinhalten“, prognostiziert Ralph Schöllhammer. „Nord Stream 2 könnte schwer beschädigt sein, aber eine Leitung ist noch funktionsfähig und der Rest kann repariert werden. Das mag jetzt unwahrscheinlich erscheinen, aber jede Einschätzung einer möglichen Nachkriegsordnung sollte diese wahrscheinliche Möglichkeit einschließen.“
Kommentare