Um 8:52 Uhr standen die Kriminalbeamten vor der Tür des Wissenschaftlers und Kommentators – wegen einer ironischen Äußerung innerhalb dieses Tweets:

Wegen dieser Meinungsäußerung klopfte der deutsche Staat an Bolz’ Tür.NiUS/NiUS

Bolz reagierte mit diesem Tweet auf einen Artikel der taz, der nicht mehr zugänglich ist, da der X-Account der taz seine Tweets depubliziert hat. Thema des taz-Artikels: AfD-Politiker Björn Höcke. Die Berichterstattung der taz begann in der Überschrift mit den Worten „Deutschland erwacht“.

Das griff Bolz ironisch auf und schlug es als Motto der woken Linken vor.

Ein Polizist gab Bolz unheimliche Worte mit auf den Weg: „Sie sollten in Zukunft vorsichtiger sein, was Sie posten.“

Bolz: „Es ist unheimlich, wenn diese Realität dann plötzlich vor der Tür steht“

NIUS sprach mit Norbert Bolz und fragte: Wie fühlen Sie sich nun?

Bolz: „In der Wirklichkeit angekommen. Normalerweise schreibe und spreche ich über diese Welt. Es ist unheimlich, wenn diese Realität dann plötzlich vor der Tür steht. Ich kann nicht sagen, dass ich erschüttert bin – das würde bedeuten, dass ich damit nicht gerechnet habe. Aber dass sie eins zu eins so ist, wie die kritischen Diagnosen es beschreiben, das ist in jeder Hinsicht gruselig.“

Eine offenkundige Replik wird als strafbarer Akt gewertet

Der Beschluss, den NIUS einsehen konnte, liest sich wie eine staatliche Machtdemonstration gegen einen Publizisten.

Das Amtsgericht Tiergarten genehmigte auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz samt Zugriff auf seine persönlichen Geräte. Grundlage ist ein Ermittlungsverfahren nach § 86a StGB („Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“).

Obwohl die Äußerung offenkundig als Replik auf bereits veröffentlichte Inhalte der taz erfolgte, wird sie von den Ermittlern als strafbarer Akt gewertet. In der Begründung wird die Resonanz ausdrücklich als belastend herangezogen – Kommentare, Teilungen und Likes gelten als verschärfender Faktor. Zudem wird Bolz zur Last gelegt, sich über den historischen Ursprung der verwendeten Losung im Klaren gewesen zu sein – gemeint ist eine SA-Parole – und gleichwohl ihre öffentliche Wahrnehmung in Kauf genommen zu haben.

Bemerkenswert ist auch: Noch bevor die Durchsuchung angeordnet wurde, sollte Bolz seine Geräte freiwillig herausgeben, um die Autorschaft prüfen zu lassen. Dass ein Publizist aufgefordert wird, sein Handy zur Bewertung einer politischen Äußerung auszuliefern – und bei Weigerung eine Durchsuchung folgt – bestätigt den repressiven Charakter des Vorgehens.

„Ein besorgniserregender Kontrollverlust der Strafjustiz“

Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel kommentiert diesen Übergriff wie folgt: „Was wir hier erleben, ist ein besorgniserregender Kontrollverlust der Strafjustiz, der jetzt offenbar auch das BKA erfasst hat. Wenn ein renommierter Medienwissenschaftler wie Professor Bolz wegen eines erkennbar ironischen Tweets eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen muss, dann stimmt etwas fundamental nicht mehr in unserem Rechtsstaat. Die Ironie in Bolz’ Tweet ist so offensichtlich, dass man schon vorsätzlich missverstehen muss, um hier eine Straftat zu konstruieren. Das erinnert fatal an die Bamberger Justizposse, wo Menschen wegen ‚Schwachkopf‘ oder dem satirischen Ausspruch ‚Ich hasse die Meinungsfreiheit‘ verfolgt wurden.“

Auch NIUS-Kolumnist Ben Brechtken äußert sich zum Vorgehen: „Jeder Richter, der eine Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz ermöglicht, ist ein Feind der offenen Gesellschaft. Jeder Polizist, der so eine Hausdurchsuchung durchführt, wäre auch in der DDR Polizist gewesen. Jeder Journalist, der sich nicht darüber empört, hätte in Russland einen sicheren Job. Jeder Mensch, der das gut findet, ist ein totalitärer Abgrund.“

WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard gegenüber Bild: „Die WELT steht für Meinungsfreiheit. Nach allen Informationen, die uns aktuell vorliegen, wirkt das Vorgehen der Behörden völlig überzogen.“

WELT-Herausgeber Ulf Poschardt zu Bild: „In einem Rechtsstaat geht man davon aus, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist. Ironie war bislang nicht verboten. Allerdings sind der aktuelle Trend zu Hausdurchsuchungen und Strafverfolgungen von sogenannten Meinungsdelikten ein Alarmsignal für den Zustand unserer freiheitlichen Verfasstheit. Die Hausdurchsuchung bei Prof. Dr. Bolz muss jeden liberalen Demokraten erschüttern. Zeit, dass Politik und Justiz in sich gehen und umkehren.“

Hinweis kam von staatlicher Meldestelle

Am 27. November 2024 habe die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI), eine eigens eingerichtete Abteilung beim Bundeskriminalamt, den Hinweis aus Hessen erhalten. „Diesen bewertete die ZMI/BKA als strafrechtlich relevant und leitete den Vorgang nach Feststellung der örtlichen Zuständigkeit an das LKA Berlin weiter“, teilte die Pressestelle des Bundeskriminalamtes mit.

Heißt: Der Hinweis, der die Ermittlungen gegen Bolz angestoßen und schließlich zur Hausdurchsuchung geführt hatte, kam von einer staatlichen Meldestelle.

Zum Vorgehen der Behörden erklärte die Pressestelle des BKA weiter:
„Die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI/BKA) prüft die von ihren Kooperationspartnern angelieferten Meldungen hinsichtlich einer strafrechtlichen Relevanz sowie möglicher Gefährdungsaspekte, stellt nach Möglichkeit den mutmaßlichen Verfasser fest und übermittelt im Erfolgsfall den Sachverhalt an die örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern. Die endgültige Entscheidung über das Vorliegen einer Straftat und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens obliegt der Justiz bzw. der jeweils örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörde. Nach Übermittlung eines Sachverhalts an die örtlich zuständige Strafverfolgungsbehörde in den Bundesländern erhält das Bundeskriminalamt keine Informationen über den Fortgang der Ermittlungen und somit auch keine Erkenntnisse zu etwaigen Gerichtsverfahren und deren Ausgang.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partnerportal NiUS.