
Historiker Zitelmann auf exxpressTV: „Deutschland braucht eine radikale Kehrtwende“
Der Bestsellerautor und Historiker Rainer Zitelmann (67) zeichnet auf exxpressTV ein alarmierendes Bild der deutschen Politik und Wirtschaft: Die Industrie sei im Niedergang, die Lage „sehr ernst“, man stehe am Anfang einer „dramatischen Entwicklung“. Doch nach der Bundestagswahl werde sich „nichts zum Positiven ändern“.

Zitelmann blickt im TV-Interview desillusioniert auf alle Parteien und ihre Angebote. Kritisch sieht er etwa den Friedrich Merz, den Vorsitzenden der CDU, den er zunächst unterstützt hat, obwohl er kein Mitglied der Union ist:
„Das Problem mit Merz ist: Er hat keine durchgehende Linie. Das Muster ist immer dasselbe: Zuerst sagt er etwas Richtiges und wendet sich zum Beispiel gegen die Idee des grünen Stahls. Ich halte grünen Stahl für eine grüne Schnapsidee, die Stahl mit Wasserstofferzeugung teurer und nicht einmal annähernd wettbewerbsfähig macht, das müsste man mit Milliarden Steuergeldern subventionieren. Aber auf die Aussage folgte die große linksgrüne Empörungswelle, und am nächsten Tag nimmt Merz das schon wieder zurück. Jetzt sagt er: Ich bin schon für grünen Stahl, aber es muss ein bisschen langsamer gehen. Das ist auch bei anderen Themen so, zum Beispiel bei der Migration. Erst sagt er etwas, wo er absolut Recht hat. Dann kommt der Gegenwind von den linken Medien und Parteien, und am nächsten Tag nimmt er es zurück und entschuldigt sich. Das ist einfach eine Schwäche.“
Das werde Merz und der Union am Ende auch nicht helfen. Denn so bekämen sie von niemandem Stimmen. „Das große Problem von Merz ist, dass er wie viele bürgerliche Politiker einfach zu ängstlich ist.“
„Die Probleme begannen mit der grünen Ideologie“
Die Lage der deutschen Wirtschaft sei nach zwei Jahren mit negativem Wirtschaftswachstum „sehr ernst“, so Zitelmann. „Das sind keine vorübergehenden Probleme, sondern es wird immer schlimmer.“ Das Problem habe „nicht mit den Grünen begonnen, sondern mit der grünen Ideologie“, zunächst unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), als der Atomausstieg beschlossen wurde. Unter der Regierung Merkel sollten die Laufzeiten der Atomkraftwerke zunächst verlängert werden, um später – nach Fukushima 2011 – erst recht umgesetzt zu werden.
„Unter Merkel begann der Umbau der deutschen Energiewirtschaft in eine Planwirtschaft“. Der jetzige Wirtschaftsminister Robert Habeck schließlich treibe den Ausstieg „noch extremer und schneller“ voran. Das Ergebnis: BASF produziert lieber in China. „Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, werden in Deutschland jeden Monat 10.000 Industriearbeitsplätze abgebaut. Also das ist eine ganz dramatische Entwicklung und wir stehen erst am Anfang. Und eigentlich bräuchten wir einen Bundeskanzler, der eine radikale Kehrtwende macht.“
Gescheitert sei auch die grüne Multikulti-Politik, doch Zitelmann vermisst bei den führenden Grünen-Politikern jegliche Selbstkritik. Tatsächlich brauche Deutschland eine Kehrtwende in drei Bereichen. Neben der Energiepolitik seien das die Mobilitätspolitik und die Migrationspolitik. „Das sind drei Problemfelder, auf denen Deutschland radikal umsteuern müsste.“ Doch Ökonomen, die das offen ansprechen, werden in Deutschland nicht gehört, sie werden von den öffentlich-rechtlichen Sendern kaum eingeladen.
Differenzierter Blick auf die AfD
Die FDP, der Rainer Zitelmann selbst angehört, hätte sich in der Regierung gegen die Grünen stellen müssen. „Spätestens beim so genannten Wärmegesetz hätte die FDP die Ampelkoalition verlassen müssen“.
Zur AfD hat der Bestsellerautor eine differenzierte Meinung: „Die AfD hat in einigen Punkten den Finger in die Wunde gelegt. Sie ist zum Beispiel für Atomkraft, was ich gut finde. Oder in ihrer Kritik an der Migrationspolitik, man muss nicht mit allem einverstanden sein, was sie sagt, aber es gibt Punkte, in denen die AfD Recht hat.“ Als die AfD gegründet wurde, seien viele „gute Leute“ in die neue Partei eingetreten. Nur fast alle hätten der AfD den Rücken gekehrt. Das AfD-Programm von 2016 sei daher „überhaupt nicht mehr repräsentativ“.
Heute gebe es in der AfD auch Kräfte, die mit Liberalität, auch im wirtschaftlichen Bereich, überhaupt nichts zu tun hätten. Zitelmann nennt etwa Benedikt Kaiser, einen der Chefideologen des AfD-Politikers Björn Höcke, der „Marx, Engels, Thomas Piketty, Herbert Marcuse und Sarah Wagenknecht positiv zitiert. Seine großen Feinde sind Milton Friedman, Hayek und Mises, und er bezieht sich auch positiv auf Otto Strasser, also den linken Nationalsozialisten. Das ist einer der Vordenker des rechten Antikapitalismus, der vor allem im Osten stark ist“.
„Die Brandmauer gegen die AfD, aber nicht das BSW ist völlig schwachsinnig“
Dass es eine Brandmauer gegen die AfD gibt und gleichzeitig nicht gegen das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), hält der Historiker “für völlig schwachsinnig, weil das Bündnis Sarah Wagenknecht viel negativer zu bewerten ist als die AfD, weil alles, was man an der AfD kritisieren kann, insbesondere die Nähe zu Putin, findet man genauso auch beim Bündnis Sarah Wagenknecht”. „Sarah Wagenknecht bleibt Sozialistin“. Sie habe „in ihrem Leben immer falsch gelegen. Als sie jung war, war sie ein großer Fan von Stalin und Walter Ulbricht. Dann war sie etwa 15 Jahre lang ein Fan von Hugo Chávez, dem sozialistischen Präsidenten von Venezuela. Sie hat sogar ein Buch über ihn veröffentlicht. Eine selbstkritische Distanzierung habe es von ihr seither nicht gegeben. „Es ist völlig absurd, auf der einen Seite die Brandmauer gegenüber der AfD zu haben und auf der anderen Seite mit der sozialistischen BSW zusammenzuarbeiten. Völlig absurd.“
„Ich glaube, dass sich in Deutschland nichts zum Positiven verändern wird. Es wird realistischerweise eine Koalition von CDU und SPD oder CDU und Grünen geben. Und da wird es, wie gesagt, diese Wende nicht geben.“
Dr. Dr. Rainer Zitelmann studierte Geschichte und Politikwissenschaft und promovierte 1986 in Geschichte „mit Auszeichnung“. Danach war er Wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin, Cheflektor des Ullstein-Propyläen-Verlages und Ressortleiter der „Welt“. 2000 gründete er die Dr.ZitelmannPB.GmbH, die Marktführer für die Kommunikationsberatung von Immobilienunternehmen war. 2016 verkaufte er die Firma und promovierte in Soziologie über die „Psychologie der Superreichen“. Zitelmann hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie „Wall Street Journal“, „Times“, „Forbes“, „Newsweek“, „Daily Telegraph“, „Le Monde“, „Corriere de la Sera“, „Israel Hayom“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Neue Zürcher Zeitung“, „Der Spiegel“ und zahlreichen Medien in Lateinamerika und Asien.
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