
Islamismus-Expertin widerspricht der Politik: TikTok ist nicht die Wurzel des Terrors
Terroranschläge erschüttern Deutschland und Österreich – die Politik fixiert sich nun ganz auf TikTok. Islamismus-Expertin Nina Scholz warnt: Statt die wahren Ursachen der Radikalisierung zu benennen, wird Social Media zum Sündenbock. So wird man den Terror nicht wirksam bekämpfen.
Nach dem Terroranschlag von Villach kündigt die neue Regierung hartes Durchgreifen an – gegen TikTok. Der politische Islam bleibt meistens unerwähnt.
„TikTok hat Blut an den Händen“, meinte etwa der SPÖ-Abgeordnete Maximilian Köllner im Nationalrat. Auch NEOS-Politiker Yannick Shetty fordert drastische Maßnahmen: Die EU solle Hassprediger-Konten per Sperrbefehl schließen – notfalls mit Milliardenstrafen für unkooperative Plattformen. Noch-Justizministerin Alma Zadić (Grüne) warnt vor einer „immer schnelleren Radikalisierung“ durch soziale Medien.
Politik im Kampf gegen „Blitz-Radikalisierung“?
SPÖ-Chef Andreas Babler sieht sozialen Medien als „Nährboden für Extremismus“. Man werde Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, meinte er bei der Präsentation des Regierungsprogramms. Außerirdische könnten bei solchen Debatten glauben, TikTok müsse ein wundersames Medium sein. Es verwandle harmlose Jugendliche im Handumdrehen in gewaltbereite Terroristen.
Islamismus-Expertin Nina Scholz: Der wahre Nährboden bleibt tabu
Die Politologin und Islamismus-Expertin Nina Scholz widerspricht. Die Vorstellung einer „Blitzradikalisierung“ durch TikTok sei falsch – gefährlicher seien tief verwurzelte islamistische Vorstellungen, die allerdings auch im Mainstream des Islams verankert sind, und zwar vor allem in jenen Ländern, aus denen die jüngsten Attentäter kamen. „Die Fokussierung auf soziale Medien ignoriert, dass viele junge Muslime bereits von Kindheit an mit radikalen Islamvorstellungen und gewaltfördernden Traditionen in Berührung kommen“, unterstreicht sie im Kurier.
Statt über die „gewaltfördernden Inhalte der islamischen Überlieferung“ zu reden, diskutiere die Politik lieber über Social Media. Zwar sei eine bessere Überwachung von Gefährdern, auch im Internet, wichtig, „aber es ist ein frommer Wunsch zu glauben, dass dies den Hass auf ‚Ungläubige‘ und eine davon beflügelte Radikalisierung stoppt.“
Islamistische Gewalt beginnt nicht im Internet
Scholz verweist auf die Biografien der vergangenen islamistischer Attentäter: Der Münchner Täter wuchs in Afghanistan auf, „in einer Gesellschaft, in der eine fundamentalistische Variante des Islam normativ ist“, der Villach-Angreifer kam mit 19 aus Syrien, wo sich seit dem Bürgerkrieg „ein radikaler Islam als Gegenspieler zum Assad-Regime in der sunnitischen Bevölkerung ausgebreitet hat.“
Laut einer PEW-Studie wünschten sich 30 Prozent der 2015/16 geflohenen Syrer einen theokratischen Staat, 18 Prozent sympathisierten offen mit der Terrormiliz Islamischer Staat.
„Der Dschihad ist die Seele des Islam“
Diese Denkweise ist längst in Europa angekommen. „Ein politisierter Islam, der Nicht- und Andersgläubige abwertet, die islamische Gewaltgeschichte glorifiziert, im Islam die normative Ordnung für Staat und Gesellschaft erblickt und Dschihad und Märtyrertum verherrlicht, zeigt sich nicht nur in mehrheitlich islamischen Ländern, sondern auch in Teilen muslimischer Communitys in Europa. Er wird auch in hiesigen Moscheen immer wieder gepredigt und spiegelt sich in Umfragen wider.“
Nina Scholz zitiert Necmettin Erbakan, Gründer der Milli-Görüş-Bewegung, die den zweitgrößten Moscheeverband in Deutschland und Öserreich stellt: „Der Dschihad ist die Seele des Islam.“
Ohne Kampf gegen die eigentliche Gefahr breitet sich Terror weiter aus
Ohne die islamistischen Ideologien beim Namen zu nennen und zu bekämpfen, bleibe auch der Kampf gegen Terror wirkungslos. „Die Sicherheitslage hat sich weiter verschlechtert, was den Unmut in der Gesellschaft wachsen lässt.“
Anstatt das Problem an der Wurzel zu packen, lenkt die Politik die Debatte auf TikTok.
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