Wer glaubt, Gendern sei eine Erfindung der 1980er-Jahre, irrt gewaltig. Wie Welt-Feuilletonist Matthias Heine aufzeigt, war es ausgerechnet Adolf Hitler, der bereits 1925 seine Zuhörer mit den Worten „Meine lieben Volksgenossen und Volksgenossinnen“ begrüßte. „Aber kein Befürworter der geschlechtergerechten Sprache will das Jubiläum feiern“, bemerkt Heine spitz, der überdies das Buch verfasste: „Verbrannte Wörter. Wie wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht“.

Diese Anrede des NSDAP-Chefs war kein Einzelfall. Auch in offiziellen Parteiaufrufen tauchten Doppelformen wie „Parteigenossen und Parteigenossinnen“ auf – also genau die Variante, die heute als die einzig korrekte Form des Genderns gilt.

Adolf Hitler bei einer Rede (ca. 1936): Schon ab den 1920er Jahren genderte er – als erster Politiker Deutschlands, und ganz bewusst.GETTYIMAGES/Keystone

Hitler sich bewusst auch an Frauen

Laut Historikerin Sibylle Steinbach sollte diese Sprache gezielt Frauen in die „Volksgemeinschaft“ einbinden – ein Novum und von Hitler auch gezielt verfolgt: Deshalb habe er schon in der „Kampfzeit“ seine Reden mit „Volksgenossen und Volksgenossinnen“ eröffnet. „Die Anrede bildete spätestens nach der Machtübernahme einen ideologischen Kampfbegriff, genauer: den emphatischen Appell des Regimes an alle Männer und Frauen, ihre gesamte Leistungskraft in den Aufbau der ,Volksgemeinschaft’ zu investieren“, sagt die Historikerin.

Hitler bei einer Rede vor „Kampfgefährten“ (um 1930 in München): In solchen Reden wandte er sich an die „Parteigenossinnen“. Dies war fixer Bestandteil seiner Gender-Strategie.GETTYIMAGES/Keystone-France/Gamma-Rapho

„Studierende“ statt „Studenten“: eine Neuerung unter dem Hakenkreuz

Doch damit nicht genug. Auch das heute allgegenwärtige Wort „Studierende“ wurde unter den Nationalsozialisten eingeführt – um Männer und Frauen gemeinsam zu bezeichnen. Schon 1934 sprach man von der „Reichsschaft der Studierenden“, ein Begriff, der sich laut Duden-Autor Helmut Glück in der NS-Zeit „erstmals in der Absicht“ durchsetzte, beide Geschlechter einzuschließen.

Modernisierung der Sprache – ein nationalsozialistisches Projekt

Hitler selbst sah sich als Sprachmodernisierer. Sein Ziel war ein neues, einheitliches Deutsch zur Überwindung „volkstrennender Erscheinungen“. Laut einer Direktive an den Rundfunk solle dieser „seinen Teil zur Überwindung der volkstrennenden Erscheinungen auf dem Gebiet der Sprache (…) beitragen“ – ganz im Sinne der heutigen Gendersprachpolitik.

Wer heute von „Bürgerinnen und Bürgern“ oder „Studierenden“ spricht, ahnt womöglich nicht, dass er damit an eine sprachpolitische Strategie anknüpft, die im Dritten Reich ihren Ursprung nahm. Oder wie Matthias Heine es spitz formuliert: „Keine Ahnung davon, dass sie damit unbeabsichtigt auch des Sprachmodernisierers Hitler gedenken.“