Militär-Experte: Ukraine-Krieg endet mit Verhandlungen – aber anders als erwartet
Auch wenn sich Präsident Selenskyj quer legt: Der Ukraine-Krieg steuert auf Verhandlungen zu, sagt der berühmte Militärhistoriker Martin van Creveld. Dass Kriege in Verhandlungen enden, sei auch nicht ungewöhnlich, auch wenn das einige zurzeit bestreiten. Ungewöhnlich dürfte aber der Friedensprozess verlaufen, prognostiziert der Experte.
Wolodymyr Selenskyj, sowie einige Falken in Washington und mehrere Ukraine-Unterstützer sind zurzeit gegen Verhandlungen. Ihnen zufolge würden Kriege nur mit dem Sieg einer Partei enden, nicht mit Verhandlungen. Mit Blick auf die Militärgeschichte widerspricht der berühmte Historiker Martin van Creveld.
Anders als die Theorie besagt, wird am Ende meistens verhandelt
„In der Theorie enden Kriege, wenn die besiegte Kriegspartei keine Kampfkraft mehr übrig hat und der Sieger tun kann, was er will. In der Praxis aber enden viele, wenn nicht sogar die meisten Kriege anders“, erklärt er in einer Analyse für die „Welt“. Gegen Ende eines Krieges probieren Verlierer öfters, „die bestmöglichen Bedingungen herauszuholen“, während sich Sieger weitere Anstrengungen gerne ersparen wollen.
„Eine andere Möglichkeit ist, dass eine Pattsituation entsteht, die beide Seiten dazu veranlasst, darüber nachzudenken, ob ihre Ziele tatsächlich erreicht werden können, und nach einem Ausweg zu suchen.“
Mit Blick auf die Geschichte wagt Martin van Creveld vier Prognosen – nicht zum ersten Mal in diesem Jahr. Dabei lag er schon mehrmals richtig mit seinen Einschätzungen – auch für den eXXpress.
Kein großer Friedenskongress, aber ein Gespräch mit einem Vermittler
„Punkt Nummer eins: Höchstwahrscheinlich werden die Verhandlungen zunächst indirekt und später direkt geführt.“ Selenskyj will sich zwar auf gar keinen Fall mit Putin und seinen Vertretern zusammensetzen, doch das bedeute „nicht zwangsläufig, dass jede Art von Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland ausgeschlossen ist.“ Die UNO oder ein am Krieg unbeteiligtes Land wie Indien könnten als Vermittler auftreten.
Zweitens: Weil die NATO aus zahlreichen Ländern besteht, während Russland nur wenige enge Verbündete hat, werde Putin sehr wahrscheinlich einen Friedenskongress, an dem mehrere Staaten teilnehmen, ablehnen und auf Einzelverhandlungen bestehen. „Formal werden andere Beteiligte auf jeden Fall ausgeschlossen sein“.
Verhandlungen könnten Jahre dauern
Überraschend ist Punkt drei: „Die Verhandlungen werden mit ziemlicher Sicherheit sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, um zu einem Abschluss zu gelangen. Zumindest Monate, wahrscheinlich eher Jahre. In ihrem Verlauf wird das Schießen vielleicht aufhören – oder weitergehen, wenn auch mit Unterbrechungen und in geringerem Umfang. Ein Beispiel dafür, wie sich diese beiden Dinge vermischen können, ist der Vietnamkrieg.“
Ein Kompromiss ist am wahrscheinlichsten
Im Gegensatz zu einigen Falken, die den Krieg bis zum definitiven Sieg weiterführen wollen, hält Creveld viertens einen Kompromiss für am wahrscheinlichsten, denn ein endgültiger Sieg einer der beiden Kriegsparteien sei unwahrscheinlich. „Von Moskau aus gesehen scheint der Sieg – was auch immer das Wort bedeuten mag – weit entfernt zu sein, sogar weiter als an dem Tag, an dem die russischen Armeen vor neun Monaten ihre Invasion starteten. Auf ukrainischer Seite sieht es selbst unter Berücksichtigung der jüngsten Siege Selenskyjs nicht so aus, als sei das von ihm proklamierte Ziel, die Russen aus allen ukrainischen Gebieten zu vertreiben, die sie seit 2014 erobert wurden, realistisch.“
Dieses Problem lasse sich nicht mit Waffengewalt, daher sei es „sehr wahrscheinlich, dass am Ende eine Art Kompromiss gefunden werden wird. Einer, der der Ukraine zwar viel von dem gibt, was sie will, der es Putin aber auf jeden Fall ermöglicht, einen Sieg zu reklamieren, zum Beispiel in Gestalt einer Erklärung der NATO, dass die Ukraine dieser Organisation nicht beitreten darf.“
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