
„Nazischlampe“ und Hamas-Symbole: Die Gründe für Razzia wegen „Hass und Hetze“
Großrazzia in Deutschland: Am Mittwochmorgen durchsuchte die Polizei 65 Wohnungen. Der Vorwurf: „strafbare Hasspostings und Hasskriminalität im Netz“.
Insgesamt, so schreibt es die Behörde von BKA-Chef Holger Münch, „wurden über 180 polizeiliche Maßnahmen in mehr als 140 Ermittlungsverfahren umgesetzt“. Laut BKA sind die am häufigsten verfolgten Straftaten: Volksverhetzung (§ 130 StGB) Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) Beleidigung (§ 185 StGB).
NIUS hat bei allen Bundesländern nachgefragt, wegen welcher Vergehen wie viele Durchsuchungen stattfanden. Hier die ersten Antworten oder Pressemitteilungen:
Brandenburg: „Die Polizei Brandenburg beteiligt sich landesweit mit insgesamt sechs Maßnahmen am bundesweiten Aktionstag gegen Hasspostings, jeweils mit geplanten Beschuldigtenvernehmungen. In drei Fällen ging es dabei um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) wie zum Beispiel. das Posten von Hakenkreuzen oder Symbolen der Hamas. In einem Fall handelt es sich um Volksverhetzung (§ 130 StGB), der Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung. In zwei Fällen handelt es sich um Beleidigungen von Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) unter anderem mit ‚Nazischlampe‘.“ Gegen welche Politiker sich die Beleidigungen konkret richten, wollte die Pressestelle des Landeskriminalamts auf Anfrage nicht mitteilen. Beiden Beleidigungen werden dem Phänomenbereich PMK-links zugeordnet.
Die Durchsuchung wegen „Nazischlampe“ auf juristisch wackligem Fundament: Im Mai 2017 wies das Landgericht Hamburg Alice Weidels Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den NDR ab. Die Bezeichnung „Nazi-Schlampe“, die „extra 3“ verwendet hatte, wurde als satiregeschützte Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Grundgesetz gewertet, da Weidel als öffentliche Person solche Kritik hinnehmen müsse.
Mecklenburg-Vorpommern: „Wir nehmen diesmal nicht mit Durchsuchungsmaßnahmen im Land teil, sondern lediglich mit einer weiteren polizeilichen Maßnahme. Für den heutigen Tag ist in diesem Themenkomplex eine Beschuldigtenvernehmung zu einem Fall der PMK -links-, ein Verstoß gg. § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) in Neubrandenburg geplant. Im vorliegenden Sachverhalt wird dem Beschuldigten vorgeworfen die AfD-Politikerin Alice Weidel im Internet beschimpft zu haben. Diese Anzeige wurde über die Zentrale Meldestelle Internet (ZMI) des BKA an das LKA MV übermittelt und stammt ursprünglich von der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“.
Bayern: „Die Polizei durchsuchte bei 12 beschuldigten Personen in Bayern. Bei einer weiteren beschuldigten Person erfolgte eine Beschuldigtenvernehmungen im Zusammenhang mit strafbaren Hasspostings. Die Personen stehen im Verdacht, insbesondere in sozialen Netzwerken, Straftatbestände der Volksverhetzung, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Beleidigung begangen zu haben.“ „Bei den tatverdächtigen Personen in Bayern handelt es sich um 12 Männer und eine Frau im Alter zwischen 17 und 73 Jahren. Die Einsatzkräfte vernahmen die beschuldigten Personen und beschlagnahmten Beweismittel, darunter Mobiltelefone und Laptops.“
Rheinland-Pfalz: In Rheinland-Pfalz erfolgte heute eine Durchsuchungsmaßnahme. In diesem Verfahren liegt dem Beschuldigten zur Last, in vier Fällen Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen gepostet zu haben (SS Totenköpfe, Doppel-Sig-Runen). Der Tatbestand lautet § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Hamburg: „Fünf Wohnungen haben Ermittlerinnen und Ermittler der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts (LKA 7) in diesem Zusammenhang in Hamburg durchsucht. Die Maßnahmen erfolgten in voneinander unabhängigen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger bzw. terroristischer Organisationen, der Billigung von Straftaten, des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten und des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Bei allen Beschuldigten handelt es sich um deutsche Staatsangehörige. Ein 31-jähriger Marienthaler steht im Verdacht, neben nationalsozialistischen und volksverhetzenden Inhalten auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen über einen Messenger-Dienst verschickt zu haben. Die Wohnung eines 35-Jährigen in Eilbek wurde wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen einer von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereinigung („IS“) im Internet durchsucht, die eines 21-Jährigen in der Sternschanze wegen des Verdachts des Verwendens eines Kennzeichens einer terroristischen Organisation (HAMAS) im Netz. In Neuallermöhe durchsuchten Einsatzkräfte die Wohnräume eines 17-Jährigen, der verdächtig ist, ein verbotenes, nationalsozialistisches Kennzeichen auf einer Social-Media-Plattform gepostet zu haben. Gegen einen 55-jährigen Billstedter wurde ein Durchsuchungsbeschluss vollstreckt, weil er verdächtig ist, eine Straftat – nämlich die Hinrichtung einer Frau durch die Jabhat al-Nusra – online gebilligt zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft Hamburg hatten auf Basis der Ermittlungsergebnisse die erforderlichen Durchsuchungsbeschlüsse, die dem Auffinden von Beweismitteln dienten, beim jeweils zuständigen Amtsgericht Hamburg erwirkt. Bei den im Zuge der Durchsuchungen sichergestellten Gegenständen handelt es sich in allen Fällen um Datenträger – überwiegend Handys.“
Baden-Württemberg: „Baden-Württemberg hat sich in geringem Umfang am Aktionstag beteiligt. Aufgrund der heutigen großen anderen Durchsuchungsmaßnahme wegen Fortführung der rechtsextremistischen Vereinigung „Blood & Honour Division Deutschland“ waren bereits starke Kräfte der Polizei BW eingebunden. Selbstverständlich befasst sich das LKA BW kontinuierlich mit dem Thema Hass und Hetze mit der beim LKA BW angesiedelten Taskforce gegen Hass und Hetze.“
Thüringen: Hier gab es laut LKA 25 „Maßnahmen“. „Die zugrundeliegenden Straftaten waren Volksverhetzung (§ 130 StGB), das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) und Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung von Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB).“ „Es handelte sich um eine Durchsuchung und Vernehmungen.“
Hessen: „Die polizeilichen Maßnahmen in Hessen richteten sich gegen insgesamt 12 Beschuldigte. Dabei handelt es sich um 1 Frau und 11 Männer im Alter von 28 bis 73 Jahren (…). Gegen die Beschuldigten, die teilweise bereits einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, wird unter anderem wegen des Verdachts der Aufforderung zu Straftaten gemäß § 111 StGB, der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB und der Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB sowie der Beleidigung gemäß §§ 185 ff. StGB ermittelt. Darunter sind Postings, mit denen in einer Facebook-Gruppe zur Ermordung anderer Menschen aufgerufen bzw. als Reaktion auf ein YouTube-Video die Tötung anderer Menschen befürwortet worden sein soll.„ “Die den heutigen Maßnahmen zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren wegen Hasspostings gegen hessische Beschuldigte beruhen unter anderem auf Meldungen von Bürgerinnen und Bürgern bei der Meldestelle Hessen gegen Hetze, die in Umsetzung des Aktionsprogramms #HESSENGEGENHETZE der hessischen Landesregierung im Januar 2020 bei dem Hessen CyberCompetenceCenter (Hessen3C) eingerichtet worden ist.“
Schleswig-Holstein: Hier wurden zwei Durchsuchungen durchgeführt wegen der Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger und nationalsozialistischer Organisationen. Weitere Details wollte das LKA nicht nennen.
Bremen: „Hintergrund sind vier laufende Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung sowie ein Verfahren aufgrund des Verbreiten von Propagandamittel verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Gegen insgesamt fünf Beschuldigte im Alter zwischen 19 und 68 Jahren – vier Männer und eine Frau – werden derzeit Ermittlungen geführt. In einem Fall soll ein Beschuldigter auf der Plattform YouTube einen Beitrag mit dem Titel „Bist du Jude? Wenn ja, ruft Auschwitz“ veröffentlicht haben, was den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. In einem weiteren Fall kam es zur Holocaust-Leugnung auf der Plattform X. Ein Beschuldigter soll auf seinem Instagram-Profil hasserfüllte Inhalte gegen die religiöse Minderheit der Alawiten verbreitet und offen deren „Auslöschung“ gefordert haben. Ein weiterer postet auf der Plattform X einen volksverhetzenden Post gegen Flüchtlinge und Asylanten. Dazu wurde über eine Instagram-Story ein Video geteilt, die eine Fahne der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) zeigt. Die Ermittler suchten am Morgen die Wohnung der Beschuldigten auf und stellten Beweismittel wie Mobiltelefone und Datenträger sicher.“
Berlin: Ermittler des Landeskriminalamtes Berlin vollstreckten insgesamt neun Durchsuchungsbeschlüsse wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Belohnung und Billigung von Straftaten und der Volksverhetzung. Insgesamt werden acht Männer und eine Frau im Alter von 26 bis 70 Jahren beschuldigt. Dabei geht es um verschiedene Posts in sozialen Medien (Plattform „X“, Facebook und Threads), sowie in einer Facebook-Gruppe.
Saarland: „Im Rahmen des bundesweiten Aktionstags gegen strafbare Hasspostings wurden in einem bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken geführten Ermittlungsverfahren gegen insgesamt drei Beschuldigte aus dem Regionalverband Saarbrücken Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt. Die Beschuldigten stehen u.a. im Verdacht des Verstoßes gegen das Waffengesetz, da auf ihnen zugeordneten Postings auf der Plattform Snap-Chat u.a. Fotos von möglicherweise scharfen Waffen festgestellt wurden. Zwei der drei Beschuldigten stehen darüber hinaus im Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen, da auf weiteren ihnen zugeordneten Postings in mutmaßlich rechtsextremen Snap-Chat-Gruppen u.a. Symbole und Parolen verschiedener nationalsozialistischer Organisationen (u.a. Reichkriegsflagge, Abzeichen von SS-Einheiten) festgestellt wurden. Außerdem soll es zu einem Vorfall gekommen sein, bei dem einer der Beschuldigten an einer Saarbahnhaltestelle zwei ausländische Staatsbürger mit ausländerfeindlichen Bemerkungen beleidigt haben soll. Ich weise darauf hin, dass die Feststellung einer strafrechtlichen Schuld allein den Gerichten vorbehalten ist und die Beschuldigten bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gelten.“
Nordrhein-Westfalen: Es wurde eine Durchsuchung in Bielefeld wegen des Verdachts auf Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen durchgeführt.
Etwa zwei Drittel „politisch motivierte Kriminalität rechts“
Etwa zwei Drittel der strafbaren Hasspostings ordnet das BKA dem Bereich der „politisch motivierten Kriminalität rechts“ zu. Hinzu kommen Fälle aus dem Bereich politisch motivierte Kriminalität „sonstige Zuordnung“ sowie vereinzelte Fälle aus den Bereichen „religiöse Ideologie“, „links“ und „ausländische Ideologie“.
Die bundesweit insgesamt 65 Durchsuchungen wegen „Hass im Netz“ dürften mehr koordinierte Einsätze dieser Art sein als bei jedem anderen gesammelten Vorgehen wegen eines bestimmten strafbaren Themenbereichs. Bei der großangelegten Razzia gegen die Reichsbürger-Szene, die am 23. November 2023 in achtBundesländern in Deutschland durchgeführtwurde, fanden beispielsweise nur 21 Durchsuchungen statt. Der Staat lässt beim Thema „Hass im Netz“ eine politische Härte walten, die die Bürger in vielen anderen Bereichen vermissen.
„In Bezug auf die seit mehreren Jahren durchgeführten bundesweiten Aktionstage gegen strafbare Hasspostings wurden bei dem heutigen 12. Aktionstag dem BKA von den Bundesländern die bisher meisten Exekutivmaßnahmen gemeldet“, erklärte ein Sprecher des BKA gegenüber NIUS.
Schon beim letzten Aktionstag hatte ein Sprecher des bayerischen Justizministers, Minister Georg Eisenreich (CSU), gegenüber der Welt erklärt, hinter dem Aktionstag stecke die Idee einer „Generalprävention“. Übersetzt heißt das: die Abschreckung der Bevölkerung, um diese zu erziehen und Exempel zu statuieren. Dabei darf allenfalls die Strafe, die nach Abschluss eines Ermittlungsverfahrens verhängt wird, diesem Zweck dienen.
Top-Jurist: „Ein Aktionstag ist eine politische Veranstaltung“
Doch sind öffentlichkeitswirksame Ermittlungsaktionen zur Abschreckung der Bevölkerung überhaupt rechtens? Und: Ist das Verhalten der Behörden bei derartigen Vergehen wirklich verhältnismäßig?
Bernd Schünemann, der als Koryphäe im Strafverfahrensrecht gilt, erklärte bereits beim letzten Aktionstag gegenüber NIUS: „Ein Aktionstag ist eine politische Veranstaltung.“ Hausdurchsuchungen seien laut Bundesverfassungsgericht „schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen müssen. Ein für ihre Anordnung kausales Motiv, die quantitative Dimension eines ‚Aktionstages‘ zu verstärken, würde sie deshalb rechtswidrig machen.“
Heißt: Da die zeitliche Bündelung von Ermittlungsmaßnahmen aus verschiedenen Verfahren keinen Gewinn im Hinblick auf die Aufklärung einzelner Straftaten bringt, sondern lediglich dem Zweck dient, die Außenwirkung zu verstärken, sind diese rechtswidrig. Dass der abschreckende Effekt das Ziel und kein bloßer Nebeneffekt waren, ergibt sich aus dem konzertierten Vorgehen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partnerportal NIUS.
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