Nord-Stream-Terror: Warum die neue Story so nicht stimmen kann
Eine Jacht, sechs Attentäter und eine Spur in die Ukraine: Aus diesen Zutaten besteht die neue Enthüllungsstory über die Urheber des Sabotage-Angriffs auf die Nord-Stream-Pipelines. Doch näher besehen weist die von deutschen Medien verbreitete Erzählung zahlreiche Unstimmigkeiten auf.
Es ist die mittlerweile dritte Version über den Tathergang, die nun der Öffentlichkeit aufgetischt wurde. Zunächst verdächtigte Moskau die Briten, Drahtzieher hinter dem Spionage-Krimi zu sein. Dann ließ Investigativ-Reporter Seymour Hersh (85) die Bombe platzen: US-Marinetaucher hätten den Anschlag im Rahmen einer verdeckten CIA-Operation ausgeführt. Am Dienstag legten deutsche Medien Version Nummer drei vor: Es soll eine sechsköpfige Mannschaft gewesen sein. Die Spur weise in die Ukraine – der eXXpress berichtete.
Doch gerade diese Erklärung, die fast zeitgleich mit Enthüllungen der „New York Times“ erschienen ist, weist zahlreiche Ungereimtheiten auf. Das muss keineswegs bedeuten, dass die Story erfunden oder gänzlich falsch ist – mehr dazu weiter unten. Nur dass alles genauso stattgefunden hat und ermittelt wurde, erscheint zweifelhaft, und zwar aus mehreren Gründen.
Profis, die sich wie Amateure verhalten
Zunächst dürften die sechs Attentäter anscheinend sehr dilettantisch vorgegangen sein. Sie haben eine Jacht gemietet, wie in der „Zeit“ und beinahe textidentisch auf der Tagesschau-Website nachzulesen ist: „Die Jacht sei dem Eigentümer im Anschluss in ungereinigtem Zustand zurückgegeben worden.“ Nun, wer heimlich ein Spionage-Attentat dieses Ausmaßes durchführt, wird penibel darauf achten, alle Spuren zu verwischen. Dass das Schiff in „ungereinigtem Zustand“ übergeben worden ist, erscheint als skurril – und das ist noch höflich formuliert.
Dann ist von einem merkwürdigen Sprengstoff-Fund die Rede: „Auf dem Tisch in der Kabine haben die Ermittler den Recherchen zufolge Spuren von Sprengstoff nachweisen können.“ Das klingt fast so, als wäre der für das Attentat verwendete Sprengstoff von dem Team am Schiff gemixt worden. Er hätte zu diesem Zeitpunkt schon längst fertig vorbereitet sein müssen. Übrigens war er nicht gerade leicht: Er dürfte um die 450 Kilogramm schwer gewesen sein, wie man aufgrund des entstandenen Schadens in den Pipelines annimmt. Was dieser Sprengstoff auf dem Tisch zu suchen hat, ist rätselhaft.
Auch sonst können die Akteure schwerlich Profis gewesen sein. „Die Attentäter nutzten professionell gefälschte Reisepässe, die unter anderem für die Anmietung des Bootes eingesetzt worden sein sollen.“ Normalerweise wollen Attentäter gar keine Spuren hinterlassen, auch nicht gefälschte. Warum alle oder zumindest mehr als einer der Attentäter seinen Reisepass vorgelegt hat, ist unerklärlich. Im Übrigen hätte auch jemand anderer vorausgeschickt werden können, um die Jacht zu mieten.
Der merkwürdige Wissensstand der Ermittler
Merkwürdig ist darüber hinaus der vermeintliche Wissensstand der Ermittler. „Die Nationalität der Täter ist offenbar unklar“, wie im Artikel zwei Mal steht. Man kenne auch nicht die Identität der sechs Personen, verrät ein ARD-Reporter. Eines will man über das Team aber dennoch wissen: „Es soll sich um fünf Männer und eine Frau gehandelt haben. Demnach bestand die Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, die den Sprengstoff zu den Tatorten transportiert und dort platziert haben sollen.“
Woher die Ermittlungsbehörden auf einmal diese Informationen haben sollen, ist ein Rätsel. Zwar kennen sie nicht Identität und Nationalität der vermeintlichen Täter, wohl aber ihren Beruf, und das sogar sehr genau. Allein schon wie sie zwischen Tauchern und Tauchassistenten unterscheiden wollen, wäre interessant zu erfahren. Ebenso gut hätten an Bord ein Taucher und 3 Tauchassistenten sein können – oder umgekehrt.
Eine polnische Firma, deren Rolle genau genommen ungeklärt bleibt
Die Jacht soll einer deutschen Charter-Gesellschaft gehören. Sie wurde auch von einem Unternehmen gemietet: „Es soll sich um eine Jacht handeln, die von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden sei, die offenbar zwei Ukrainern gehört.“ Was die sechs Attentäter mit dieser Firma zu tun haben, geht aus dem Artikel nicht hervor. Sie haben das Schiff nämlich beim Eigentümer gemietet, nicht bei der polnischen Firma. Andernfalls hätten sie die Jacht von Mietern gemietet.
Damit erscheint die polnische Firma im Artikel fast wie ein Fremdkörper. Man versteht nicht recht, was ihre Rolle in dem Ganzen ist. Gleichzeitig ist dieses Unternehmen, das angeblich zwei Ukrainern gehört, die einzige Spur nach Kiew. Dort weist man übrigens alle Vorwürfe bereits entschieden zurück – der eXXpress berichtete.
Im Gegensatz zu Version eins und zwei lässt somit diese neue Story die Frage nach den Drahtziehern näher besehen völlig im Dunkeln. Mit diesem Informationsstand kommt eigentlich jede Nation als Organisator des Sabotage-Akts in Frage.
Direkter Zusammenhang mit Anschlag ist unklar
Misstrauisch stimmt auch, wie plötzlich man zu so vermeintlich bahnbrechenden Ermittlungsergebnissen gelangt sein will. Als Pulitzer-Preis-Träger Seymour Hersh mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit getreten ist, wurde er dafür scharf kritisiert und als unglaubwürdig dargestellt. Doch mit einer Gegen-Erzählung wartete Anfang Februar noch niemand auf. Ein Satz wie: „Wir haben andere Hinweise, und die gehen in eine andere Richtung“, fiel nicht. Im Übrigen hat erst vor wenigen Tagen die deutsche Bundesregierung der UNO ausgerichtet, keinerlei relevante Erkenntnisse zu dem Attentat vorweisen zu können.
Das alles soll nicht heißen, dass hier eine Geschichte gänzlich erfunden worden ist. So ein Team auf der Jacht, das könnte es schon geben. Aber näher besehen fehlt jeder Beweis für einen kausalen Zusammenhang zum Nord-Stream-Anschlag. Der Sprengstoff auf dem Schiff, den man erst im Jänner gefunden hat, könnte ebensogut für einen anderen Zweck verwendet worden sein. Bei den vermeintlichen Attentätern könnte es sich ebensogut um Mitglieder eines anderen Geheimdiensts handeln – denn von Geheimdiensten wimmelt es in der Region nur so.
Eine deutsche Quelle, die sich einmal beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) beworben hat, berichtet dem eXXpress: „Parow mit der Marinetechnikschule und Rostock, mit Fliegerhorst und dem Flottenstützpunkt, sind regelrechte Agentennester“. Sämtliche Geheimdienste seien „scharf darauf“.
Fazit: Menschen waren auf einer Jacht. Doch ausgerechnet zu den zwei entscheidenden Bausteinen des Spionage-Krimis fehlt in dieser Erzählung eine nachgewiesene Verbindung: zum Anfang – den Auftraggebern – und zum Ende – dem Anbringen des Sprengstoffs samt Sprengung.
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