Entwicklungsökonom Paul Collier: Europa soll kein sicherer Hafen für flüchtende Afghanen werden
Der Westen ist verpflichtet, Afghanistans Nachbarländer zu unterstützen, nicht aber flüchtende Afghanen aufzunehmen. Das unterstreicht der Oxforder Entwicklungsökonom und Bestsellerautor Paul Collier. Er zählte im Jahr 2015 zu den schärfsten Kritikern der Flüchtlingspolitik Angela Merkels.
Europa sollte nicht zu einem “sicheren Hafen für afghanische Flüchtlinge werden”, unterstrich der Oxforder Ökonom Paul Collier (72) kürzlich in einem Interview. Vor allem zwei Probleme würden dann entstehen. Erstens: “Wir locken Menschen an, die ihr Land nicht verlassen sollten.” Collier erwähnte junge und gebildete Menschen mit Geld, die in ihren armen Herkunftsländern dringender gebraucht würden. “Daher ist es unverantwortlich, diese Gruppe mit einer Aussicht auf ein besseres Leben zu uns zu locken.”
Es bestünde aber noch ein zweites Problem: “Die Menschen aus Afghanistan kommen aus einer kulturell völlig anderen Gesellschaft.” Es sei eine “Fantasie”, dass unsere Gesellschaften immer noch funktionieren würden, wenn einer großer Teil der hier lebenden Menschen eine andere Vorstellung von den Zielen dieser Gesellschaft hat.
Scharfer Kritiker von Merkels "Wir schaffen das" im Jahr 2015
Colliers Aussagen fielen in einem Interview mit der Tageszeitung “Standard”. Im Jahr 2015 kritisierte Collier die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Öffnung der Grenzen und ihren Satz “Wir schaffen das” scharf . Zuständig für die Aufnahme von Flüchtlingen sind die Nachbarländer, erklärte der Bestsellerautor damals schon mit Blick auf Syrien, und wird er seither nicht müde zu betonen. Die internationale Gemeinschaft sei daher stets verpflichtet, die Nachbarländer zu unterstützen, nicht aber alle Flüchtlinge in aller Welt aufzunehmen, auch in deren eigenem Interesse. Schließlich gelte es, den fliehenden Migranten lebensgefährliche Routen zu ersparen und die Rückreise zu ermöglichen, sobald sich die Situation in ihrem Herkunftsland bessert.
In eben diesem Sinne äußerte sich Collier auch jetzt: “Es gibt Situationen, in denen Menschen aus ihrer Gesellschaft fliehen müssen. Was dann meistens geschieht, ist, dass sie in ein Nachbarland flüchten. Unsere Verpflichtung ist es, diese Nachbarländer so zu unterstützen, dass es für sie vorteilhaft wird, Flüchtlinge aufzunehmen.” Das gelte zurzeit etwa für Kolumbien, das den größten Exodus von Flüchtlingen – nämlich jenen aus Venezuela – auffangen muss. Kolumbien müsste bei der Versorgung der Flüchtlinge geholfen werden.
"Jene Menschen, die am dringendsten weg müssen, werden dazu am wenigsten in der Lage sein"
Was Europa ebenfalls tun könnte, sei Unternehmen dabei zu unterstützen, sich in armen Ländern anzusiedeln. “Genau auf diesem Weg hat auch der Aufstieg zahlreicher Länder in Südostasien vor 40 Jahren begonnen, von Taiwan, Südkorea und schließlich China.” Im Falle Afghanistans habe man aber diese Chance verpasst. Dorthin würden jetzt nur Unternehmen aus China, Russland und der Türkei gehen.
Eine moralische Verpflichtung hätte der Westen nur gegenüber jenen Afghanen, die zuvor mit internationalen Truppen zusammengearbeitet haben. Doch gerade die würden nun am wenigsten fliehen können: “Das Problem ist, dass wir diesen Leuten nicht einfach Visa schicken können, weil sie dann von den Taliban identifiziert würden. Jene Menschen also, die am dringendsten weg sollten, werden dazu am wenigsten in der Lage sein. Das hätten wir vorhersehen sollen. Das ist eine Tragödie für viele Tausende Afghanen. Die Chance zu gehen werden viele andere nutzen.”
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