In der Politik ist vieles nicht so, wie es scheint. ÖVP-Chef Christian Stocker ist jemand, der mit der FPÖ durchaus verhandeln und regieren kann. Mit einem seiner wichtigsten freiheitlichen Gesprächspartner bei den Koalitionsverhandlungen, FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz, verbindet ihn eine jahrelange Freundschaft.

Wiener Neustadt: Die Wurzeln einer Zusammenarbeit

Beide stammen aus Wiener Neustadt, das einst eine rote Hochburg war. Doch 2015 verloren die Sozialdemokraten erstmals die absolute Mehrheit und Stocker war maßgeblich an der Bildung der ersten dortigen ÖVP-FPÖ-Stadtregierung der Zweiten Republik beteiligt. Gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Schneeberger gilt er als Architekt des schwarz-blauen Bündnisses. Er wurde damals Erster Vizebürgermeister sowie Finanz- und Bildungsstadtrat.

Gemeinsames Regieren in Wiener Neustadt: Christian Stocker (l.) und Michael Schnedlitz (r.) arbeiteten jahrelang zusammen.Stadt Wiener Neustadt /Fotograf

Auch auf FPÖ-Seite setzten die damaligen Stadtpolitiker später ihren Aufstieg fort. Der damalige Stadtrat für Sicherheit, Sport und Jugend, Udo Landbauer, ist heute Landeshauptmannstellvertreter in Niederösterreich, Michael Schnedlitz – er war Vizebürgermeister und Stadtrat für Wohnen und Soziales in Wiener Neustadt – wurde Bundesgeschäftsführer der FPÖ.

Verhängnisvolle Ausrichtung unter Nehammer

Stocker hatte also jahrelang eine stabile Gesprächsbasis mit der FPÖ. Mit einem zentralen freiheitlichen Verhandler zurzeit – Michael Schnedlitz – arbeitete er eng zusammen. Von dieser Nähe ist in der Öffentlichkeit aber kaum mehr etwas zu spüren. Der Grund: Ab 2022 wurde Christian Stocker ÖVP-Generalsekretär und damit rechte Hand des damaligen ÖVP-Chefs Karl Nehammer. Und Nehammer setzte voll auf Konfrontation mit Herbert Kickl.

Vor der Wahl legte sich der damalige Kanzler fest: Mit einer FPÖ unter Kickl wird es keine Koalition geben. Nehammer inszenierte die Nationalratswahl zum Duell zwischen Kickl und sich – das der FPÖ-Chef am Ende gewann. Stocker musste diesen Kurs mittragen, mit dem die ÖVP bei den Nationalratswahlen aber nicht punkten konnte. Auf Landesebene weht ohnehin bereits ein anderer Wind: ÖVP und FPÖ regieren in mittlerweile fünf Bundesländern.

Stocker (r.) vertrat als ÖVP-Generalsekretär in der Öffentlichkeit die Parteilinie von Nehammer (l.).APA/GEORG HOCHMUTH

Der Anti-Kickl-Kurs wird zur Sackgasse

Nach dem gescheiterten Versuch Nehammers, eine Ampelkoalition mit SPÖ und Grünen zu schmieden, stand die ÖVP mit dem Rücken zur Wand. Seither hat sie zwei große Probleme:

Erstens ein Glaubwürdigkeitsproblem: Zuvor hatte sie eine Zusammenarbeit mit Kickl kategorisch ausgeschlossen. Nun fehlt ihr eine überzeugende Kehrtwende, die Stocker nach außen kaum verkörpern kann. Nur für Insider, die Stockers Wiener Neustädter Vergangenheit kennen, ist seine Wahl zum ÖVP-Bundesparteiobmann logisch gewesen.

Zweitens eine schlechte Verhandlungsposition: Ohne Koalitionsalternative ist die ÖVP gegenüber der FPÖ geschwächt.

Karl Nehammers Bruch mit Sebastian Kurz

Zudem brach Nehammer alle Brücken zu seinem Vorgänger ab. Sebastian Kurz wurde praktisch aus der Partei verbannt: keine Einladungen zu Parteitagen, keine öffentlichen Auftritte. Nehammer vermied es, sich auch nur einmal gemeinsam mit dem Altkanzler zu zeigen, als hätte es ihn nie gegeben.

Sebastian Kurz selbst drängte sich nicht in den Vordergrund. Er konzentrierte sich auf seine internationale Karriere und seine Unternehmen. Politische Kommentare beschränkte er am liebsten auf internationale Themen. Doch wenn die ÖVP ihn ruft, könnte sich das ändern – und bei Neuwahlen wäre das möglich.

Kommt Sebastian Kurz bei Neuwahlen wieder?

Bevor die Volkspartei bei vorgezogenen Nationalratswahlen eine krachende Niederlage erleidet, könnte sie noch einmal auf ihren einstigen türkisen Frontmann setzen. Das ist auch der letzte Trumpf in den Verhandlungen mit Kickl, denn: Eine Koalition mit der SPÖ wird es nicht geben, solange dort Andreas Babler Parteichef ist. Neuwahlen sind für die Freiheitlichen unter Kickl andererseits durchaus aussichtsreich. Nur bei einer Rückkehr des Altkanzlers wäre der Ausgang offen.

An der Parteibasis und unter den ÖVP-Wählern hoffen noch viele auf ein Comeback. Doch die Entscheidung liegt nicht bei ihnen.