Seit 2011 lieferte Russlands Werftindustrie trotz Sanktionen, Kriegskosten und halber Wirtschaftsleistung im Vergleich zur einstigen Seemacht Großbritannien: 27 U-Boote, 6 Fregatten, 9 Korvetten, 16 kleine Raketenschiffe sowie zahlreiche Versorgungseinheiten. Weitere Schiffe sind bereits im Bau und sollen noch in diesem Jahrzehnt folgen.

Neue Waffen – neue Gefahr

Russland verfügt heute über die beachtliche Fähigkeit, NATO-Staaten aus der Ferne anzugreifen – mit Waffensystemen, die im Ukraine-Krieg umfassend erprobt wurden. Besonders der Marschflugkörper Kalibr wurde massiv gegen ukrainische Infrastruktur eingesetzt.

Neue russische Schiffe werden zudem mit der Hyperschallrakete Zirkon ausgestattet – eine Waffe, gegen die es aktuell keinen effektiven Abwehrmechanismus gibt. Hinzu kommen technologische Sprünge wie eine nuklearbetriebene Unterwasserdrohne.

Russlands Eismeer-Macht: Der neue Eisbrecher-Kampfkutter Ivan Papanin erreicht Sankt Petersburg zur großen Marineparade – ein Symbol für Moskaus wachsenden Anspruch im Nordpolarmeer.GETTYIMAGES/Maksim Konstantinov/SOPA Images/LightRocket

Der ehemalige britische Diplomat Ian Proud erinnert sich im Online-Magazin Responsible Statecraft an ein angeblich „versehentlich“ veröffentlichtes TV-Dokument aus dem Jahr 2015: Russlands Pläne für eine nukleare Torpedo-Waffe, die ganze Küstenstreifen unbewohnbar machen könnte. Proud diente von 2014 bis 2019 als Wirtschaftsrat an der britischen Botschaft in Moskau.

Russlands Marine im Vormarsch – global

Während Großbritanniens „Carrier Strike Group 25“ im April mit vier Schiffen Richtung Indo-Pazifik auslief, ist Russland längst auf allen Ozeanen präsent. Proud kommentiert: „Während Großbritanniens bescheidene Einsatzgruppe Richtung Osten dampft, ist Russland längst aktiv – bei gemeinsamen Manövern mit China und dem Iran sowie bei Hafenbesuchen in Myanmar und anderen Staaten.“

Moskau positioniert sich in der Arktis, im Pazifik – und testet mit Verbündeten wie China und Iran eine neue Weltordnung zur See.

Royal Navy im Niedergang

Die britische Flotte schrumpft – trotz vollmundiger Ankündigungen. Die vier Schiffe, die derzeit unterwegs sind, lassen an der Heimatfront kaum noch Verteidigung übrig: ein Zerstörer, zwei Fregatten (eine dritte liegt im Oman), ein Jagd-U-Boot. Der Rest: außer Betrieb oder in Wartung. Drei Astute-Klasse-U-Boote, erst ab 2014 in Dienst gestellt, sind im Schnitt seit zwei Jahren defekt. Die HMS Daring, einst als modernster Luftabwehr-Zerstörer gefeiert, liegt seit 2017 im Dock.

Putins Kriegsflotte zeigt Flagge: Russische Kriegsschiffe in St. Petersburg – Moskau demonstriert Stärke auf See.GETTYIMAGES/Antonio Hugo Photo

Die geplante Aufstockung des Verteidigungshaushalts auf 2,5 Prozent des BIP versickert laut Proud in aufgeblähten, überteuerten und chronisch verspäteten Beschaffungsprogrammen. Von einem schnellen Neubau-Zyklus wie in Russland ist nichts zu sehen.

Auch zwei Landungsschiffe der Albion-Klasse, kaum 20 Jahre alt, sind stillgelegt. Ein Verkauf an Brasilien steht kurz bevor.

Russland überholt – und London hilft unbeabsichtigt mit

Schon 2010 hatte sich der Wind gedreht: Die russische Marine wurde Hauptprofiteur des staatlichen Rüstungsprogramms. Ein russischer Admiral kommentierte damals süffisant den britischen Verzicht auf das Nimrod-Seeaufklärungsflugzeug – es habe ihm das Leben „deutlich erleichtert“.

Abschreckung ersetzt durch Fernglas

In den 1990ern und frühen 2000ern gab es noch Kooperation zwischen der Royal Navy und der russischen Flotte. Doch seit der Annexion der Krim 2014 wurden alle Kontakte gekappt – auch auf diplomatischer Ebene. Heute sehen britische Offiziere ihre russischen Kollegen nur noch durch Periskope, Ferngläser – und Zielfernrohre. Und: „Sie haben mehr Waffen als wir“, schreibt Proud.

Der Tiefschlaf des Westens werde sich rächen: „Dieses jahrzehntelange Versäumnis – nicht nur Großbritanniens, auch Amerikas (vor Trump) – hat uns blind gemacht für die Veränderung der russischen Marinetaktik im Kriegslabor Ukraine.“ Was auf dem Schlachtfeld in der Ukraine an maritimer Technologie und Taktik entwickelt wurde, wird in Zukunft gegen den Westen wirken. Und Europa? Ist kaum vorbereitet.

Anfang April hat sich ein neues Buch – „The Royal and Russian Navies“ , verfasst von Captain David Fields RN (a.D.) und Robert Avery OBE – mit dieser neuen Realität befasst. Es analysiert Russlands Aufstieg auf See – und das langsame Verblassen der einst dominierenden Royal Navy.