Angesichts des Krieges in der Ukraine würden Russlands Beziehungen zum Westen keineswegs enden, meint der bekannte russische Politologe Alexander Geljewitsch Dugin. Sie würden vielmehr “gerade erst beginnen”, behauptet er in einem TV Interview.

Nun müsse der Westen Russland ernst nehmen

Dugin unterstreicht seine – gewagte – These damit, dass der Westen ja nun Russland ernst nehmen müsse und als “Pol” einer “multipolaren Welt” respektieren würde. Darüber hinaus würde der Westen Russland nun nicht mehr seine eigenen Interessen und Werte aufzwingen.

Das Interview wurde kürzlich vom russischen Journalisten Wladimir Solowjew für seine Sendung “Solowjew Live” geführt.

Historische Chance "Russlands Einflussbereich dramatisch auszuweiten"

Dugin gilt als Putin-nahe, als Vertreter der russischen Rechten, manche bezeichnen ihn als Neofaschisten. Wie groß der Einfluss des 1962 geborenen Politologen auf Russlands Präsident Wladimir Putin tatsächlich ist, ob er gar “Putins Vordenker” ist, wie manche meinen, ist umstritten. Fakt ist: Der Kreml scheint sich die Gedankenwelt des Publizisten immer wieder zunutze zu machen.

Dugin bei der antizionistischen "New Horizons International Conference" im Iran, zu der Extremisten von links und rechts kommen. Russland, der Iran und die Hisbollah haben "die gleichen Feinde und verfolgen überall die gleichen strategischen Ziele", sagte Dugin der Nachrichtenagentur Tasnim. "Für Moskau und für Herrn Putin ist jetzt klar, dass wir mit dem Iran und der Hisbollah auf derselben Seite stehen."Wiki Commons/Mahdieh Gaforian

Erst kürzlich, in seinem jüngsten Buch “Das große Erwachen gegen den Great Reset”, forderte Dugin: “Wir müssen angreifen!” Denn “im Moment – solange in den USA ein Idiot an der Macht ist”, habe Russland die historische Chance, “seinen Einflussbereich fast weltweit dramatisch auszuweiten”. Der “Idiot”, das ist für ihn US-Präsident Joe Biden.

Besonders einflussreich ist bis heute Dugins Buch “Foundations of Geopolitics” aus dem Jahr 1997, das von Bildungseinrichtungen in ganz Russland übernommen wurde. Es plädiert für eine russische Herrschaft “von Dublin bis Wladiwostok”.

Die Beziehungen zum Westen "stehen erst am Anfang"

Im TV-Interview konstatiert der Journalist Solowjew zunächst: “Wir haben das Stadium eines vollständigen Abbruchs der Beziehungen zum Westen erreicht”, um dann Alexander Dugin zu fragen: “Was sollen wir als nächstes tun?”

Darauf Dugin: “Nun, ich glaube, dass die Beziehungen zum Westen tatsächlich erst am Anfang stehen. Wenn wir von gleichwertigen, ausgewogenen und respektvollen Zivilisationen sprechen, dann ist es jetzt wirklich höchste Zeit, mit dem Westen zu interagieren und mit ihm zu sprechen. Bisher hat der Westen einfach versucht, für uns zu sprechen, in unserem Namen.”

Bisher war Russland kein eigenständiger Spieler

Der Westen verlange, “dass wir seine Spiele spielen”, behauptet Dugin weiter und erwähnt sein Treffen mit Zbigniew Brzezinski, dem ehemaligen Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, im Jahr 2005 in Washington. (Ein Foto von dem Treffen kursiert auf Twitter.)

Bei dieser Gelegenheit habe Dugin auf ein Schachbrett vor Brzezinski verwiesen und gesagt, dass Schach ein Spiel für zwei Personen sei, und nicht nur für eine einzige, die sowohl die weißen, als auch die schwarzen Figuren ziehe.

"Wir werden wir selbst und für den Westen interessant"

Das ändere sich jetzt. Nun – nach einem Angriffskrieg in der Ukraine, dem bereits tausende Soldaten und unbeteiligte Zivilisten zum Opfer gefallen sind – werde auch Russland erstmals als eigener Spieler wahrgenommen: “Wir erschienen mit unserem eigenen Programm, unseren eigenen Interessen, Werten und unserer eigenen Zivilisation.” Putin habe gesagt: “Nein, ich bin hier, Russland ist hier, und ihr solltet das berücksichtigen.”

Zuvor habe der Westen für Russland gespielt. Doch nun “fängt das Spiel ja erst an. Es fängt gerade erst an. Wir nähern uns jetzt einer Situation, in der der Dialog mit dem Westen real wird. Ein vollwertiger Dialog mit dem Westen wird möglich.” Was jetzt geschehe, bedeute: “Wir werden wir selbst und für den Westen interessant”.

Dugin lehrte an der Moskauer Lomonossow-Universität

Das Interview über Russlands Selbstwerdung mittels eines blutigen Angriffskriegs erschien auf der russischen Website smotrim.ru. Übersetzt wurden Auszüge davon von der israelischen NGO Middle East Media Research Institute (Memri). Auf die Konsequenzen des Krieges in der Ukraine, die zerstörten Wohnblocks, die getöteten und schwer verletzten Frauen, Kinder und Senioren dürfte Dugin nicht eingegangen sein.

Luftaufnahme der Staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau: Hier hat Dugin jahrelang gelehrtGetty

Mittlerweile werden Moskau zahlreiche Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Westliche Staaten und Unternehmen haben sämtliche Beziehungen zu Russland eingestellt. Experten sammeln bereits Beweise für eine Anklage gegen Moskau. Die Liste mutmaßlicher Kriegsverbrechen wird von Tag zu Tag länger, und ebenso die Liste an Sanktionen, die gegen Russland verhängt werden.

Dugin hatte jahrelang auch einen Lehrstuhl an der Soziologischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität inne – für internationale Beziehungen.