"Es war wie ein Weltuntergang" – Rahimi Javid über seine Flucht aus Kabul und den Einmarsch der Taliban
Der gebürtige Afghane Rahimi Javid hat am vergangenen Wochenende den Einmarsch der Taliban in Kabul hautnah miterlebt. Er steht noch immer unter Schock, wie er im eXXpress-Talk erzählt. Javid lebt seit 16 Jahren in Österreich. Seine Familie bekämpfte schon in den 1990ern die Taliban. Im Interview liefert er Einblicke in die Lage vor Ort.
Rahimi Javid (31) steht noch immer unter Schock. Wovon die ganze Welt berichtet, das hat er hautnah miterlebt: Er war in der Nacht von 14. auf 15. August in Kabul, als die Taliban gerade im Begriff waren, die Macht an sich zu reißen. Der gebürtige Afghane stammt aus einer Familie, die in den 1990er Jahren die Taliban bekämpft hat und von ihnen später verfolgt wurde. Nun, als sich der Sieg der Taliban bereits abzeichnete, wollte Javid noch einmal seine Verwandten und Freunde treffen – doch das gelang ihm nicht mehr. Was er nämlich in Kabul erlebte, war nicht, womit er gerechnet hatte.
"Afghanistan ist verloren"
“Ich hatte eine innere Ahnung, dass ich meine Bekannten für eine lange Zeit nicht mehr sehen würde”, berichtet er im eXXpress-TV-Studio. Deshalb brach er seinen Griechenland-Urlaub spontan ab und reiste über Pakistan nach Afghanistan. “Ich habe gleich bemerkt: Afghanistan ist verloren”, berichtet er. “Das war nicht mehr meine Heimat, an der die Menschen 20 Jahre lang so hart gearbeitet haben.” Überall waren bereits die Taliban auf der Straße, in jedem militärischen Fahrzeug. “Sie waren bereits einmarschiert. Es gab Schießereien ohne Ende. Frauen waren plötzlich weg von der Straße. Man sah nur mehr bewaffnete Männer.”
Die gesamte Bevölkerung sei von den Ereignissen buchstäblich überrollt worden. Der afghanische Präsident Ashraf Ghan hatte noch am Tag zuvor den Bürgern im Fernsehen versprochen, Kabul zu verteidigen. Nun hatte er das Land verlassen. Niemand habe Zeit gehabt, sich auf diese Situation vorzubereiten, unterstreicht Rahimi Javid: “Es gab für die Menschen keine Möglichkeit auch nur nachzudenken.”
"Niemand kann diese Nacht in Afghanistan vergessen"
Alle afghanischen Fahnen, die eben noch bei den Straßen und auf den Gebäuden der Stadt geweht hatten, wurden entfernt. Man sah nur mehr die Fahnen der Taliban. “Da haben die Menschen ganz einfach jede Hoffnung auf ihre Zukunft verloren. Niemand kann diese Nacht in Afghanistan vergessen. Das ist für mich noch immer ein Schock. Es war für uns wie ein Weltuntergang.”
Innerlich zerstört war Rahimi Javid auch in der Terrornacht von Wien Anfang November gewesen, erzählt. Doch die Situation war nun eine ganz andere: “In Wien kämpfte eine Person gegen das ganze Land. Doch hier war ganz Afghanistan gegen seine Einwohner.” Viele Menschen versuchten daher zu fliehen.
Auch die dramatischen Szenen am Flughafen von Kabul hat Rahimi Javid miterlebt. “Ich war zehn Kilometer entfernt. Diese Menschen, die auf das Flugzeug geklettert sind, hatten keine Hoffnung, von dort wieder lebend wegzukommen. Von der einen Seite schossen die Taliban, von der anderen die Nato- und US-Soldaten. Die Menschen waren dazwischen.” Die Taliban schossen auf die Menschen, die US-Soldaten auf die Taliban, sagt Javid. Es war eine ausweglose Situation
Die Verwandten flohen nach Pakistan
Seine Verwandten konnte Rahimi Javid nicht mehr besuchen, viele sind mittlerweile selbst nach Pakistan geflohen. Er selbst hat sich am 15. August auf den Heimweg gemacht. In den Morgenstunden des 16. Augusts kam er am Flughafen Wien-Schwecht an. “Ich habe mein Heimatland in der schlimmsten Situation gesehen”, meint er im Rückblick.
Rahimi Javid war im Alter von 15 Jahren nach Wien gekommen, gemeinsam mit seinem Vater. Heute ist er erfolgreicher Spediteur und Veranstalter. Im eXXpress-Talk spricht er darüber hinaus noch über die Erfahrungen mit den Taliban in der Vergangenheit, die aufgewühlte Situation, in der sich sämtliche Afghanen befinden, und die Widerstandsgruppen in Afghanistan, die sich nun möglicherweise zusammenschließen um gemeinsam gegen die Taliban zu kämpfen.
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