Russischer Botschafter mahnt in Leserbrief: "Höchste Zeit, jetzt aufzuwachen"
Die Kommunikation mit Russland zu beenden, wäre die schlechteste Entscheidung in der jetzt so extrem brisanten Situation. Deshalb bringt der eXXpress einen Text von Dmitrij Ljubinskij, dem Botschafter Russlands: Er mahnt, kritisiert – und er appelliert an die “Vernunft”.
Natürlich ist auch der eXXpress-Redaktion klar, dass eine Veröffentlichung eines Gastbeitrages des Botschafters der Russischen Föderation in dieser emotional aufgeladenen Situation heikel ist: Der russischen Armee werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen, die Invasion der Ukraine mit ihrem Beginn am 24. Februar wird scharf kritisiert.
Nach zwei Tagen der Überlegung und Diskussion entschied sich der eXXpress dennoch dazu, diesen Gastbeitrag im Sinne unserer Unabhängigkeit und der in unserem Medienhaus stets gelebten Redefreiheit zu bringen – ohne jede Zensur. Wir sind eben in Österreich, nicht in anderen Staaten, in denen nur eine einzige Meinung zu gelten hat.
Über den Gastbeitrag des Botschafters der Russischen Föderation kann und soll diskutiert werden. Aber nur mit dem Hören der anderen Seite, mit einer Replik, mit einer Debatte und vielleicht auch mit Kompromissen kann eines erreicht werden: ein von so vielen Menschen längst gewünschter Waffenstillstand.
Wir baten auch den Botschafter der Ukraine um einen aktuellen Gastbeitrag und hoffen sehr, das dieser in den nächsten Tagen bei uns eintreffen wird. Wir wollen und werden auch in Zukunft über diesen schrecklichen Krieg in Europa neutral und ausgewogen berichten.
Hier der Leserbrief von Dmitrij Ljubinskij, Botschafter der Russischen Föderation in Wien:
Wo bleibt die Vernunft in Europa?
Seit vielen Monaten liefern die EU und ihre Mitgliedstaaten entgegen eigenen und international geltenden Regeln der Exportkontrolle Unmengen von Waffen an die Ukraine. Merkwürdigerweise erfolgt die Finanzierung dieser Ausrüstung auch aus den Mitteln der sogenannten „Europäischen Friedensfazilität“ – einem außerbudgetären Fonds mit einer Mittelausstattung von rund fünf Milliarden Euro, der durch Beiträge der EU-Mitgliedstaaten finanziert wird. Für diese „friedlichen“ Zwecke wurden bereits 2,6 Milliarden Euro bereitgestellt.
Das aus der EU gelieferte Militärgerät, darunter schwere weitreichende Waffen, wird von der Regierung in Kiew in großem Ausmaß auch für den unbesonnenen Beschuss von Städten und Dörfern, Wohn- und Sozialeinrichtungen, ziviler und Transportinfrastruktur benutzt, wobei unschuldige Menschen, Alte, Frauen und Kinder ums Leben kommen. Nur die westliche Anti-Kreml-Propaganda schweigt davon. Für einen guten Zweck, wie es heißt.
Warnung in Leserbrief vor fehlender Kontrolle der Waffenlieferungen
Die EU verschweigt auch penibel die Wahrheit über die Risiken, die eine solche „Friedensförderung“ für die Sicherheit eigener Bürger birgt. Die für die Ukraine bestimmten Waffen (auch MANPADS und Panzerabwehrlenkwaffen) landen mit staatlicher Duldung massenweise auf dem Schwarzmarkt und können in die Hände von Terroristen und Kriminellen in verschiedenen Ecken der Welt geraten. Bereits jetzt mehren sich, auch in Österreich, Berichte von Beschlagnahmungen durch die Polizei illegaler Waffen „ukrainischer“ Herkunft. Es droht buchstäblich eine Wiederholung des Szenarios der Balkankriege, als ganz Europa mit illegalen Schusswaffen aus dem Westbalkan überschwemmt war. Das kriminelle Echo dieser Kriege ist hier noch immer zu spüren.
Wie in einem Rausch nutzt der antirussische Flügel der EU mit aktiver Einmischung und Zielsetzung durch die USA und Großbritannien jede Möglichkeit, um den Fortlauf der Kampfhandlungen in der Region zu fördern. Zusätzlich zu der bereits laufenden Ausbildung der ukrainischen Paramilitärs durch einzelne Mitgliedstaaten wird die Schaffung einer EU-Ausbildungsmission für die Ukraine erörtert. Durch die Berufung einer solchen würde sich die EU ganz tief in den Konflikt einbringen.
Botschafter erinnert in Leserbrief an das Wort "Verhandlungstisch"
In Anbetracht der erwähnten „Friedensbemühungen“ von Brüssel kommen absolut berechtigte Fragen auf, die sich inzwischen jeder mitdenkende Bürger stellt, oder stellen muss: Inwieweit dient die Ausbildung von nationalistischen Ukraine-Kämpfern auf europäischem Boden den Interessen des Friedens? Wie kann man mit Waffenlieferungen in eine Konfliktregion entgegen rechtsstaatlichen Normen Frieden auf dem Europäischen Kontinent schaffen? Gegen wen ist und wird am Ende des Tages dieses Kriegsgerät gerichtet sein? Und zu guter Letzt: Wäre es für die EU nicht sinnvoller, statt nach Selenskijs Geige zu tanzen und die Ukraine mit Waffen vollzupumpen, sowie Mörder ausbilden zu lassen, sich wieder an Begriffe wie „Frieden“, „friedliches Miteinander“, „gegenseitige Sicherheit“ oder einfach „Verhandlungstisch“ zu erinnern? Oder erlauben die Regeln der „Wertegemeinschaft“, die man der ganzen Welt aufzuzwingen versucht, das einfach nicht mehr?
Der Westen befindet sich momentan in einem regelrechten Anti-Russland-Wahn. Polen dankt durch seinen ehemaligen Außenminister Sikorski den USA für die Sabotage der Nord-Stream-Pipeline. Der estnische Außenminister Reinsalu beglückwünscht ukrainischen Spezialeinheiten zur Durchführung des Terrorakts auf der Krim-Brücke. Es gibt auch andere Beispiele. Die Kiewer Marionetten rufen bereits ihre Puppenspieler im Westen zu einem Nuklear-Präventivschlag auf. Mord, Sabotage, Zerstörung, Provokation und Inszenierung – alles ist erlaubt, wenn es denn gegen Russland gerichtet ist. Aber jede Geduld hat ihre Grenzen.
Sollte Vernunft nicht in die europäische Politik zurückfinden, könnte dies unwiederbringliche Schäden bringen. Höchste Zeit, jetzt aufzuwachen.
Die Redaktion betont, dass es sich bei dem Inhalt dieses Leserbriefs um die persönliche Meinung des russischen Botschafters in Wien Dmitrij Ljubinskij handelt.
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