Sputnik: Russlands Botschafter hofft im eXXpress auf baldige Zustimmung der WHO
Russlands Botschafter Dmitrij Liubinskij über seine Arbeit in Österreich, die Ukraine und Sputnik. Sehr direkt und offen spricht der langjährige Botschafter Russlands in Österreich über Russland als stabiler Partner der EU und andere geopolitische Herausforderungen.
Herr Botschafter, Sie waren bereits 2005 bis 2008 als Gesandter in Wien und vertreten nun seit 2015 die Russische Föderation in Österreich. Das heißt, Sie kennen das Land gut und können bereits auf langjährige Beziehungen aufbauen?
Sie wissen, das Leben geht ständig weiter, Veränderungen sind spürbar und die Leute wachsen in verschiedenen Funktionen. Da kommt es manchmal vor, dass aus alten Kontakten neue Freundschaften entstehen.
Wie verbringen Sie die Festtage?
Meine beiden erwachsenen Töchter leben in Moskau. Meine Frau und ich werden die Feiertage in Wien verbringen. Das mit den Flügen und Reisen ist momentan aufgrund sich ständig ändernder COVID-Beschränkungen nicht so einfach. Aber ich hoffe, dass uns die jüngere Tochter zu Silvester besucht.
Wie kann sich ein Österreicher den Arbeitstag des russischen Botschafters vorstellen?
Der Arbeitstag läuft sehr unterschiedlich ab, ist aber immer zeitlich unbegrenzt. Natürlich waren die letzten eineinhalb Jahre eine große Herausforderung. Denn für uns gelten natürlich auch die Einschränkungen bei persönlichen Kontakten, zudem waren öffentliche Auftritte nur sehr reduziert möglich. Online kann man zwar viele Gespräche und Verhandlungen führen, aber es ist kein vollständiger Ersatz in unserem Beruf. Natürlich erschweren auch Lockdown Perioden unseren Arbeitstag, wie zum Beispiel die Möglichkeit Termine in verschiedenen Bundesländern wahrzunehmen. Ich habe es von Anfang an als Ziel betrachtet, in ganz Österreich präsent zu sein. Wir haben seit langem in vielen Arbeitsfeldern in allen Bundesländern sehr gute Kontakte geknüpft und pflegen diese auch. Dieser Teil meiner Arbeit und diese Kontakte sind mir sehr wichtig.
Sie berücksichtigen bei ihrer Arbeit die politische Realverfassung, in der die Bundesländer eine starke Rolle spielen…
Absolut. Ich finde es sehr interessant da zum Beispiel im Vergleich mit Deutschland die Rolle der Bundesländer manchmal noch bedeutender ist und mir gefallen viele Persönlichkeiten in allen Bundesländern, wie etwa Landeshauptleute und Landeshauptfrauen. Wir sind mittlerweile in allen Bundesländern gut vernetzt.
Sie haben schon viele Jahre in Österreich verbracht, kennen die politische Landschaft hier. Wie würden Sie Außenminister Lawrow Österreich beschreiben?
Außenminister Lawrow ist schon eine Weile im Amt. Er kennt viele Österreicher persönlich und schätzt sie auch. In den vergangenen Jahren war Lawrow bis zu viermal pro Jahr in Wien. Immer in Verbindung mit internationalen Organisationen. Sie erinnern sich an die Verhandlungen über das Iran Atomprogramm oder die OSZE-Events. Es gibt also immer gute Gründe nach Wien zu kommen. Wir stellten allerdings fest, dass der letzte rein bilaterale Außenministerbesuch schon 12 Jahre her ist. Als ich das dem Bundesaußenminister Schallenberg erzählte, war er sehr überrascht. Und tatsächlich organisierten wir infolgedessen Ende August ein rein bilaterales Treffen. Es ist sehr bezeichnend, was Lawrow damals sagte. Nämlich, dass es in seinem bisherigen Berufsleben nur sehr selten vorkam, in einer Hauptstadt zwei Arbeitstage mit solcher Freude verbringen zu können. Es zeigt, dass Wien als Hauptstadt Aufmerksamkeit sowie Respekt genießt und die österreichische vermittelnde Außenpolitik auf internationaler Ebene große Unterstützung leistet. Das wird sehr geschätzt. Die österreichischen Diplomaten leisten in dieser Hinsicht hervorragende Arbeit.
Dennoch hat man den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen Österreich und Russland unter der ÖVP/FPÖ-Regierung besser war. Schallenberg setzt andere Schwerpunkte, er will die strategische Partnerschaft mit den USA ausbauen. Haben sich diese Beziehungen geändert?
Das würde ich nicht so eindeutig bestätigen, denn einerseits hängen solche Einschätzungen vom konkreten Zeitpunkt und von der konkreten Tagespolitik ab. Ich habe als Botschafter bereits sechs Bundeskanzler in den letzten sechs Jahren erlebt. Unsere Beziehungen sind schon seit langem sehr eng. Wir pflegen einen offenen politischen Dialog mit allen österreichischen Bundesregierungen, arbeiten auch seit langem an unterschiedlichen Themenbereichen. Unsere Beziehungen zu Österreich sind nachhaltig, verlässlich und – wenn notwendig – vertraulich. Es ist eine wichtige Errungenschaft für mich als Botschafter, dass wir in Österreich aktive Kontakte zu allen relevanten politischen Parteien haben.
Welchen Parteien sind für Sie „relevant“?
Alle parlamentarischen Parteien, die an einer positiven Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen interessiert sind. Damit meine ich auch, dass unsere Arbeit nicht nur durch Regierungskontakte begrenzt ist. Sondern darüber hinaus schätzen wir die Kontakte mit österreichischen Parlamentariern beider Kammern des Parlaments und wie erwähnt mit den Bundesländern, regionale Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle. Viele österreichische Politiker fangen ein Gespräch meist damit an, dass Österreich im Vergleich zu Russland ein kleines Land ist. Das stimmt aus Sicht des Territoriums und der Bevölkerungszahl. Aber was für mich interessant und erwähnenswert ist. Im Jahr 2019 haben wir mit der Wirtschaftskammer erstmals einen „Tag der russischen Regionen“ veranstaltet. Ich habe im Zuge dessen ein Rundschreiben an viele russische Gouverneure geschickt und war angenehm überrascht, dass so viele positive Reaktionen aus Russland kamen. Russland hat 85 Föderationssubjekte und einige dutzend Regionen haben sofort Interesse gezeigt, an so einem Tag dabei zu sein. Aufgrund des großen Interesses planen die WKO und wir eine Folgeveranstaltung im Frühjahr 2022, sofern es wegen Corona möglich ist.
Sie sagten, Sie haben sechs Bundeskanzler in sechs Jahren erlebt. Jetzt ist Karl Nehammer Bundeskanzler. Er hat sich vor dem EU-Gipfel im Dezember als Brückenbauer im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Merken Sie schon etwas davon?
Die Ukraine ist derzeit eines der wichtigsten Themen europäischer und überhaupt internationaler Sicherheitspolitik. Über die Ukraine kann man stundenlang sprechen und wir heißen jede Unterstützung willkommen. Nicht Vermittlung, aber in jeder Hinsicht mäßigend auf die Kiewer Machthaber einzuwirken. Es ist eine sehr komplexe Frage, aber im Kern – was die Beziehungen Russland mit der EU betrifft – sind an die Minsker Vereinbarung Sanktionen angeknüpft. Das heißt, die Sanktionen werden fallen, wenn die Minsker Vereinbarungen erfüllt sind. Wenn man diese Vereinbarungen aufmerksam betrachtet, wird man feststellen, dass nur die Ukraine diese Vereinbarungen erfüllen kann, nicht Russland. Dennoch ist dadurch die Beziehung zwischen EU und Russland in eine sehr enge Sackgasse geraten. Es scheint keinen Weg daraus zu geben, wenn sich nichts ändert. Alle sind dieser Sanktionen müde, sie schaden allen Seiten. Wir haben uns daran schon gewöhnt, aber Tatsache ist, aus dieser Sackgasse können wir nur gemeinsam hinauskommen. Aber wenn Kiew in sechs Jahren keinen einzigen Schritt unternimmt, um die Minsker Vereinbarung zu erfüllen, die immerhin vom ukrainischen Präsidenten unterzeichnet wurde, was erwartet man dann von Russland?
Besonders harsche Töne gehen in Richtung USA. Europa werde von den USA an der Leine geführt. Die USA wiederum wollen sich künftig auf inneramerikanische Themen und China fokussieren. Reagiert Russland so, weil – überspitzt formuliert – ein internationaler Bedeutungsverlust gefürchtet wird?
Ich würde die erhöhte Aufmerksamkeit der USA zu anderen Ländern nicht als Kompliment bezeichnen. Die Amerikaner haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten der ganzen Welt sehr deutlich gezeigt, wohin diese alleinigen Machtansprüche führen. Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen und so weiter. Wenn Sie mir auch nur ein einziges Beispiel nennen, wo die Einmischung der USA zu positiven Entwicklungen geführt hat, dann wäre ich überrascht. Wenn sich die Amerikaner also um etwas kümmern wollen, dann sollten wir das alle mit großer Vorsicht und großer Aufmerksamkeit aufnehmen. Unsere Beziehungen mit Washington, mit der Biden-Administration sind, milde gesagt, sehr schwierig. Das betrifft auch die Tätigkeit zwischen den diplomatischen Präsenzen. Aber trotz dieser Schwierigkeiten zeigen zwei Gipfeltreffen – einmal in Genf, einmal online – eindeutig, dass beiderseitig ein grundlegendes Interesse besteht, den Dialog zu vertiefen. Denn die Fragen der strategischen Sicherheit – ob einem das gefällt, oder nicht – sind von diesem Dialog abhängig. Seit dem letzten Online-Gipfel spüren wir, dass die Bereitschaft besteht, die vom Präsidenten Russlands gestellten Fragen, insbesondere der europäischen Sicherheit, aber auch der strategischen Stabilität insgesamt auf verschiedenen Ebenen ernsthaft zu betrachten. Die Vorbereitungsgespräche laufen und ich hoffe, dass es ab Jänner zum ernsthaften Dialog zwischen den Verhandlungsteams kommt. Ziel ist, die Gespräche voranzutreiben, ob das möglich ist, wird sich noch herausstellen.
Wie interpretieren sie diese unterschiedlichen Reaktionen betreffend die russischen Manöver in Grenznähe zur Ukraine? Die USA haben sehr heftig reagiert, während die Wortwahl der europäischen Partner klar, aber wesentlich gemäßigter waren. Hat das etwas mit der für Europa so wichtigen Gaspipeline Nord Stream 2 zu tun?
Nord Stream 2 ist eine andere Geschichte, das möchte ich damit nicht in Verbindung bringen. Obwohl zu Nord Stream gibt es auch unterschiedliche Reaktionen, Sie wissen das. Egal wo man in Europa eine Zeitung in die Hände nimmt, liest man nur von einer Aggression Russlands, obwohl Russland lediglich auf eigenem Boden Truppenübungen durchführt. Der ukrainische Präsident Selenski hat das auszuspielen versucht und wollte neue, sogar vorbeugende Sanktionen gegen Russland erwirken. Das ist interessant, um zu verstehen, in welche Richtung Kiew denkt. Also, je mehr sich die Erfüllung des Minsker Übereinkommens in die Länge zieht, schadet das Russland. Täglich hört man nur, dass Russland aggressive Maßnahmen vorbereitet und Truppen bewegt. Dabei wird übersehen, dass fast jeden Tag die Ruhepause im Donbass-Gebiet durch ukrainische Verbände gestört wird. Schießereien sind an der Tagesordnung.
Es ist verständlich, dass aufgrund der zunehmend aggressiven Rhetorik der Ukraine gegenüber Russland, mit provokativen Handlungen gegenüber Russland gerechnet werden muss. Und wenn man als NATO „friedensstiftende“ Manöver mit ukrainischen Truppen organisiert, gilt das dann nicht als Aggression?
In Europa kommen einige Regierungswechsel. Österreich hat Regierungsmitglieder ausgetauscht, in Deutschland ist Scholz Bundeskanzler und Frankreich hat im kommenden April Präsidentschaftswahlen. Haben Sie Erwartungen, dass dies Einfluss auf die Sanktionspolitik haben wird?
Die Zeit wird zeigen, ob es zu bilateralen Änderungen kommen wird. Die Politik Berlins ist nicht mein Zuständigkeitsgebiet. Aber insgesamt sind wir schon längst müde von diesem unendlichen Gerede zum Thema Sanktionen. Es ist ein Problem, dass vom Westen geschaffen wurde. Alle Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass eine aggressive antirussische Minderheit in der Europäischen Union das Wort führt. Ich habe keine großen Erwartungen, aber man soll ins neue Jahr immer mit neuen Hoffnungen gehen. Wir haben riesige gemeinsame Herausforderungen. Die Pandemie zeigt, dass wir dieser Herausforderungen als Weltgemeinschaft nicht gewachsen sind. Ich habe beim Ausbruch der Pandemie vor eineinhalb Jahren in vielen Interviews darüber gesprochen. Meine Befürchtung war, dass wir später einmal über diese Phase, als die Zeit der verpassten Chancen sprechen werden. Viele Interessen sind im Spiel, gewaltige Geldsummen und das überwiegt scheinbar die kollektive Vernunft der Weltgemeinschaft.
Das führt mich zu dem russischen Impfstoff Sputnik.
Mein Lieblingsthema (lacht).
Im letzten Mai wurde in Österreich viel darüber gesprochen, auch über Produktionsstätten in mehreren europäischen Ländern. Davon ist jetzt nichts mehr zuhören, außer, dass die EMA-Zulassung noch offen ist.
Wir waren damals sehr nahe einer Vereinbarung. Letztendlich ist die Vereinbarung mit Österreich wegen der fehlenden EMA-Zulassung nicht zustande gekommen. Es gab damals zügige und ernsthafte Verhandlungen. Wir haben einen Vertrag vorbereitet und alle notwendigen Daten zu Sputnik der österreichischen Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Leider hat es nicht funktioniert, mit anderen Nachbarstaaten Österreichs schon. Alle zwei Jahre findet eine Konferenz aller russischen Botschafter in Moskau statt. Daneben gibt es regionale Konferenzen, die letzte fand in Budapest statt. In Budapest unter anderem deshalb, weil die mit Sputnik geimpften Diplomaten dort einreisen durften.
Es gab viele Spekulationen damals, als Sputnik als erstes Corona-Vakzin der Welt vorgestellt wurde. Die Zulassung zieht sich in die Länge. Wir hoffen aber, dass in den nächsten Wochen die Zustimmung der WHO kommen wird. Die Zulassung ist aber nur ein Teil dieser Frage. Der zweite Teil ist aber zumindest genauso wichtig: Niemand zweifelt an der Effizienz von Sputnik. Darum ist die gegenseitige internationale Anerkennung von Impfstoffen von großer Bedeutung, insbesondere um das Reisen von Menschen, die mit unterschiedlichen Vakzinen geimpft wurden, zu erleichtern. Damit sich Geschäftspartner, Freunde und Familien grenzüberschreitend treffen können.
Viele Gesundheitsexperten halten eine Mischung aus unterschiedlichen Impfungen als höchst wirkungsvoll im Kampf gegen COVID. Unsere Experten prüfen das noch in Bezug auf Sputnik. Aber es scheint so, dass eine Kombination einiger westlicher Impfstoffe, wie etwa Pfizer, mit Sputnik-Lite, den besten Booster ergeben.
Man hat den Eindruck, russische Projekte bekommen in Europa schnell einmal einen negativen Drall. Damit meine ich nicht nur Sputnik, auch das Thema Breitspur oder Nord Stream. Fühlt man sich da nicht benachteiligt?
Wir sind daran gewöhnt. Wenn man am frühen Morgen den Fernseher einschaltet, bekommt man manchmal ein so stark verwischtes Bild der Welt, das man sofort aufwacht und keinen weiteren Rutsch braucht, um den Arbeitstag zu starten. Dabei starte ich zumeist mit Euronews. Nord Stream 2 ist fertig und sofort wird die Pipeline mit der Explosion von Gaspreisen in Verbindung gebracht. An einem Tag lesen Sie, dass Russland die Gaslieferungen gestoppt hat, am nächsten Tag dann, dass dies eine unbestätigte Meldung ist. Fakt ist, Russland agiert in der Gasfrage auf Basis langfristiger Verträge. Auch mit Österreich. Seit mehr als 50 Jahre. Unsere Preise sind ein Viertel bzw. ein Fünftel der Spotpreise. Und wir liefern die höchste Gasmenge nach Europa. Präsident Putin erwähnte in seiner jährlichen Pressekonferenz, dass wir heuer deutlich mehr Gas nach Europa geliefert haben, als wir verpflichtet waren. Warum wir nicht noch mehr Gas liefern? Wir haben keine Anfrage für zusätzliche Lieferungen bekommen. Darüber schreibt niemand! Ich lese nur, Russland habe gestoppt. Nur: Was nicht bestellt ist, kann nicht geliefert werden.
Nord Stream 2 ist auch deshalb politisch spannend, weil Deutschland und USA dazu unterschiedliche Positionen haben.
Natürlich. Europa hat schon Erfahrungen mit amerikanischen Liquid Gas gemacht. Die USA verlegen ihre Lieferungen nach Asien. Als jetzt die Spot-Preise anstiegen, sind die Amerikaner plötzlich bereit doch nach Europa zu liefern. Wie werden sich unsere europäischen Partner entscheiden? Wir bieten sehr langfristige Verträge zu vernünftigen Preisen mit einer stabilen Infrastruktur. Uns wird immer unterstellt, dass Russland Energielieferungen als Waffe benutzt. Ich denke, dass diese ganzen Ankaufsspekulationen als Waffe gegenüber Russland benutzt werden. Die Öffentlichkeit wird hier falsch informiert: Russland ist nicht an den Preissteigerungen und an den fehlenden Lieferanforderungen schuld. Das ist das einfachste. Wir brauchen einen starken, verlässlichen Partner in Europa. Die Europäische Union. Hier liegen unsere Beziehungen am Boden. Es gibt Dialoge zu einzelnen begrenzten Themenbereichen. Wir brauchen einen verlässlichen strategischen Partner. Aber wir werden nicht ewig warten oder darum bitten.
Dafür scheint die Beziehung zu Peking gut zu funktionieren. Der bilaterale Handel mit Peking steuert auf ein Rekordhoch mit deutlich über 100 Milliarden US-Dollar zu. Ist China der neue Freund, falls die Beziehung zur EU auf diesem Niveau bleibt?
China, Asien ist ein äußerst wichtiger Schwerpunkt in der russischen Außenpolitik. Unsere größten wirtschaftlichen Interessen liegen in Europa. Aber aufgrund der bestehenden Lage, arbeiten wir verstärkt auch mit anderen Partnern zusammen. Die russisch-chinesischen Beziehungen haben eine eigene Geschichte und einen eigenen Wert. Die Beziehungen haben unbestritten ein historisch unvergleichbar hohes Niveau erreicht. Der bewegende Grund dafür ist nicht die EU, aber natürlich spielt das fast zerstörte Verhältnis zur EU in einem gewissen Ausmaß auch eine Rolle und hat dazu beigetragen, dass wirtschaftlich und sicherheitspolitisch die Verbindungen zwischen Moskau und Peking intensiviert sind.
Worin sehen Sie die kommenden Herausforderungen für Russlands Außenpolitik? Bitte um Ihre persönliche Einschätzung.
Die größte Herausforderung ist weiterhin die Pandemiebekämpfung. Da ist es schade, dass zu viele Chancen verpasst wurden, erstmals im vollen Ausmaß gemeinschaftlich zusammenzuarbeiten.
Dann all diese Spielereien um eine regelbasierte Weltordnung. Wenn sich also ein Mann im Weißen Haus die Welt nach eigenen Vorstellungen zurecht zimmern möchte. Nicht nach Völkerrechtsprinzipien, wie etwa die UNO-Charta. Sondern nach Regeln, die man in z.B. Europa nicht bis zu Ende kennt, weil sich die Ziele ständig ändern. Nicht nach Vernunft, sondern nach Gefühl der Administration. Aber dennoch als EU bereit ist, das stumm in jeder Hinsicht zu unterstützen.
Demokratie ist ein toller Begriff, wird aber in verschiedenen Staaten unterschiedlich wahrgenommen. Was ist die Demokratie in den USA, das ist eine eigene große Diskussionsfrage. Ich denke, die USA sind keine Ikone der Demokratie und wenn unter diesem Motto irgendwelche Summits organisiert werden, bei denen nur ein Teil der großen Weltgemeinschaft vertreten ist und irgendwelche Deklarationen angenommen werden, dann stellen sich einige wesentliche Fragen. Welche positiven Entwicklungen bringen diese wechselnden Vorstellungen hervor: im Irak, in Afghanistan usw.?
Vor 30 Jahren war die Weltordnung nicht perfekt, aber es gab klar definierte Spielregeln für alle. Wenn allerdings keine Spielregeln mehr gelten, diese nach eigener Lust und Laune jährlich, monatlich, wöchentlich geändert werden, dann ist der Nutzen für alle zweifelhaft. Wenn sich also die NATO-Grenze mit Truppen und der Stationierung moderner Waffen in Richtung russischer Grenze verschiebt, dann bedeutet dies, dass strategische Raketen Moskau in fünf Minuten erreichen können. Und wir sollen das akzeptieren und stumm bleiben? Wir bereiten keine Aggressionen vor, aber wir müssen die Sicherheit unserer Bevölkerung gewährleisten. Wir sind an den Punkt gekommen, an dem wir klare völkerrechtliche Vereinbarungen treffen müssen. Es ist also ein erstes positives Zeichen, dass wir uns an einen Verhandlungstisch setzen. Und das ist schon ein guter Anfang für das neue Jahr.
Das Interview führte Bernhard Krumpel.
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