Die aktuelle Analyse des Militärexperten Franz-Stefan Gady im Interview mit der Tagesschau verbreitet nicht wirklich Optimismus bei all jenen, die der Ukraine endlich entscheidende Erfolge auf dem Schlachtfeld wünschen. So sagt der Senior Advisor des österreichischen “Institute for European and Security Policy” zur aktuellen Situation bei der Gegenoffensive der ukrainischen Armee: “Die Fehler sind vor allem auf der höheren Ebene zu suchen. Der Einsatz war schlecht geplant und organisiert. Es gab eine mangelnde Koordination der vorstoßenden Einheiten.”

Gady erklärt dazu, wie der Angriff der Ukraine verlaufen hätte sollen: “Beim Kampf der verbundenen Einheiten geht es um Synchronisation, um die knappe und möglichst simultane Anwendung verschiedener militärischer Ansätze. Die Artillerie feuert, und in diesem Deckmantel geht die ukrainische Infanterie vor. Kurz vorher werden die Minen aus dem Weg geräumt, gleichzeitig werden Raketenabwehrsysteme aufgefahren, die einen Schutz vor Helikopter- oder anderen Luftangriffen schaffen. Zugleich wird mit Störsendern ein elektromagnetischer Schutz aufgebaut. Die Stärke des einen Systems gleicht die Schwäche des anderen aus. Wenn das schnell und gleichzeitig geschieht, erhöht es die Chance, dass es zu einem Durchbruch kommt und die eigenen Verluste verringert werden.”

Unter Druck: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Ukrainische Armee stellte ihr Vorgehen jetzt um

Allerdings sei dieses nötige Vorgehen der verbundenen Waffensysteme bei der aktuellen Gegenoffensive nicht gut organisiert gewesen, schildert der Militärexperte im Gespräch mit der Tagesschau: “Wir haben oft gehört, dass die Einsätze sequentiell stattfanden, also aufeinanderfolgend und mit großen Abständen. Die Artillerie hat russische Stellungen beschossen, teilweise schlecht getroffen, und irgendwann später ist der Angriff erfolgt. Dadurch wussten die Russen, dass ein Angriff kommt, konnten sich darauf vorbereiten und ihre Einheiten entsprechend verschieben. Außerdem haben die mechanisierten Verbände den Einsatz von russischen Kamikazedrohnen auf sich gezogen, die die Fahrzeuge gefechtsunfähig machen, und nachfolgend von Artillerie, die die Fahrzeuge zerstört.”

Jetzt versuche die ukrainische Armee, die Vorgangsweise bei ihrer Offensive umzustellen – um somit weniger Kampfpanzer, Schützenpanzer und Geländefahrzeuge zu verlieren, berichtete Franz-Stefan Gady: “Jetzt ist alles auf die Infanterie umgestellt, auf Operationen, die zu Fuß durchgeführt werden. Jeder Angriff und jeder Fortschritt wird nicht in Kilometern, sondern in Metern gemessen. Munition muss zu Fuß nach vorne gebracht, Verwundete zu Fuß abtransportiert werden, weil man die eigenen Fahrzeuge nicht der russischen Artillerie oder den Kamikazedrohnen aussetzen will. Dieser Radius des Fußes anstatt des Rads oder der Kette verlangsamt Operationen natürlich.”

Politikberater und Militäranalyst aus der Steiermark: Franz-Stefan Gady

Kaum Hoffnung, dass die russische Armee zerfällt und aufgibt

Der Krieg werde auch nicht bald zu Ende sein, analysiert der in der Steiermark geborene Politikberater: “Ich sehe nicht, dass es aus rein militärischer Perspektive in den kommenden Monaten zu einem Ende der Kampfhandlungen kommt. Mit Wahrscheinlichkeit wird dieser Krieg auch ins nächste Jahr gehen.” Und Gady erklärt dazu: “Die Hoffnungen, dass die russischen Streitkräfte kollabieren, halte ich für recht gering, es ist aber durchaus möglich. Die Moral in den Streitkräften ist seit Beginn des Angriffskrieges niedrig. Wir haben auch jetzt an der Front immer wieder Anekdoten von Cholera-Ausbrüchen, von Unterernährung, von Befehlsverweigerung gehört. Aber Fakt ist: Die russischen Streitkräfte verteidigen sich zäh und halten ihre Stellungen. Das konnten wir beobachten. Und es gibt bei den Ukrainern einen Respekt für die Effizienz und den Durchhaltewillen der russischen Armee.”

Auch die russische Armee hätte mittlerweile Munitionsdefizite und hat  ihre Feuerrate reduziert: “Aber weil die Ukrainer jetzt in kleineren Verbänden vorgehen, reicht es oft aus, ukrainische Angriffe im kleineren Rahmen mit der noch existierenden Artilleriemunition zu verzögern – anders als im vergangenen Sommer, als die Russen in der Offensive waren. Jetzt sind sie in der Defensive. Das alles sind Indizien dafür, dass die russischen Stellungen trotz aller Mängel halten werden.”

Die ersten Vorstöße der Ukrainer mit gepanzerten Einheiten wurden von der russischen Armee abgewehrt.
Die aktuelle militärische Lage im Osten der Ukraine bei Bakhmut.

Die ukrainische Gegenoffensive kommt nur langsam voran - glauben Sie, dass die Ukraine gegen Russland militärisch gewinnen kann?