Nach mehr als einem halben Jahr gab Sebastian Kurz erstmals wieder ein TV-Interview – und sorgt mit einigen Aussagen darin für Überraschungen. Trotz seiner Zurückhaltung werden Unterschiede zur jetzigen Linie der Volkspartei sichtbar. Von der jetzigen Aufregung über die Erfolge von FPÖ und AfD hält der Alt-Kanzler offenbar nichts. Man müsse eben auch andere Meinungen rechts der Mitte respektieren. Auch vor einem „Volkskanzler Herbert Kickl“ fürchtet er sich nicht. Sollten die Freiheitlichen die Wahlen gewinnen und Kickl neuer Kanzler werden, dann „ist das Demokratie“.

Ein Bild aus anderer Zeit: Innenminister Herbert Kickl (FPÖ/l.) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beim Pressefoyer im Juni 2018APA/GEORG HOCHMUTH

Der jetzige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte sich hier zuletzt anders geäußert. Im Gegensatz zu Nehammer und zur Grünen-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl Lena Schilling will Kurz auch nicht den freiheitlichen Parteichef als „rechtsextrem“ bezeichnen.

Dass der Ukraine-Krieg in einem Dritten Weltkrieg mündet, bezweifelt Kurz überdies. Er fordert eine Verhandlungslösung, je früher, je besser. Ähnliches verlangt zurzeit auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.

August 2023: Ex-Kanzler Kurz (l.) spricht mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (r.) bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest.APA/AFP/Ferenc ISZA

Zu ÖVP-FPÖ-Regierung: „Das war eine sehr erfolgreiche Koalition“

Im Folgenden einige Aussagen von Kurz. Sie fielen beim Interview auf krone.tv. Krone-Moderator Gerhard Koller stellte die Fragen. Er wollte etwa wissen: Wäre ein Volkskanzler Herbert Kickl „ein Schock für Sie“? Darauf entgegnete Kurz trocken: „Das ist Demokratie.“ Er habe selbst in seiner Polit-Karriere Wahl und Abwahl erlebt. „Das gehört zu einer lebendigen Demokratie.“

Zur Erinnerung: Die ÖVP-FPÖ-Regierung brach mit dem Ibiza-Video und dem Streit über den Verbleib von Innenminister Kickl auseinander. Offenbar scheinen die damaligen Auseinandersetzungen für Kurz aus heutiger Sicht nicht mehr relevant, zumindest wenn es um künftige Koalitionen geht.

Herbert Kickl (FPÖ) besuchte 2019 als damaliger Innenminister die Reiterstaffel der bayerischen Polizei. Sein Ziel war eine berittene Polizei in Österreich.APA/BARBARA GINDL

Mit Nachdruck verteidigte Kurz auch die damalige türkis-blaue Koalition. „Das war aus meiner Sicht eine sehr erfolgreiche Koalition. Ich bin sehr stolz auf das, was wir damals in sehr kurzer Zeit geschafft haben.“ Der Ex-Politiker erwähnt einen ausgeglichenen Haushalt, keine Schulden, die Arbeitszeitflexibilisierung und die richtige Migrationslinie.

Kurz (M.) verteidigt die Koalition mit den Freiheitlichen im Rückblick. Im Bild mit dem damaligen Vizekanzler Strache (r.) und Medienminister Blümel (l.).APA/ROBERT JAEGER

Man sollte auch Meinungen von FPÖ und AfD akzeptieren

Anders als Nehammer will Kurz auch nicht Kickl als „rechtsextrem“ bezeichnen: „Von mir gibt es weder Zuschreibungen noch Kommentierung der österreichischen Innenpolitik.“ Er fordere „etwas mehr Respekt vor verschiedenen Meinungen.“ Generell fehle der „ordentliche Diskurs“. Wesentlich sei für Demokratie, „dass es verschiedene Meinungen gibt, und dass es ein Recht auf unterschiedliche Meinungen gibt.“ Demokratie sollte „ein respektvoller Wettbewerb der besten Ideen sein, nicht der ständige Versuch, sich als moralisch erhaben über andere zu fühlen.“

Auch der gegenwärtigen Panik angesichts eines Rechtsrucks kann Sebastian Kurz nichts abgewinnen: „Ich bin kein FPÖler und AfDler, aber ich bin der Meinung, dass andere mit einer anderen Meinung als ich, das auch sagen sollen können, ohne mit der moralischen Keule erschlagen zu werden.“ Fazit: „Ich bin immer damit gut gefahren, andere Meinungen, ob links oder rechts, zu akzeptieren.“ Früher, in den 1970er Jahren hatte die SPÖ die absolute Mehrheit. „Jetzt ist die FPÖ vorne. So ist das eben.“

Demonstrationen gegen die AfD in BerlinAPA/dpa/Christophe Gateau

Ukraine-Krieg: „Je eher eine Verhandlungslösung kommt, desto besser“

Auch um die Weltpolitik kreiste das Interview: „Für den Krieg in der Ukraine ist De-Eskalation wichtig“, unterstrich Kurz. „Es ist wichtig, am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden, anstatt ein Szenario anzustreben, das es nicht geben wird.“ Russland sei eben eine Atommacht. Es werde keinen Sieg von einer der beiden Seiten auf dem Schlachtfeld geben. „Je eher eine Verhandlungslösung kommt, je eher das Blutvergießen aufhört, desto besser.“

Offensichtlich plädiert Sebastian Kurz für Gespräche mit Russlands Präsident Wladimir Putin (Bild).APA/APA/AFP/POOL/Sergey Ilyin

Für Aufregung hatte kürzlich US-Präsident Donald Trump gesorgt. Er hatte gemeint, NATO-Staaten, die bisher nicht die vorgeschriebenen zwei Prozent für ihre Streitkräfte ausgegeben haben, im Falle eines Angriffs nicht zu unterstützen. Darauf angesprochen reagiert Sebastian Kurz ebenfalls auffallend ruhig. „Ein klassischer Trump“, meinte er nicht ohne Ironie. Alle US-Präsidenten hatten auf eine Einhaltung des Verteidigungsbudgets in den NATO-Staaten gepocht. „Donald Trump macht das in seiner unnachahmlichen Art und Weise, mit einer unglaublichen Provokation. Ich weiß nicht, ob das ernst gemeint ist. Ich weiß nur, dass er damit sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Seine Provokation dürfte für ihn voll aufgegangen sein.“

„Ein echter Trump“REUTERS/Octavio Jones

„Starke Überheblichkeit in Europa gegenüber dem Rest der Welt“

Nichts hält Kurz davon, die Kontakte zu Washington im Falle einer Wahl von Donald Trump abzubrechen. „Das ist doch absurd. Was bedeutet Demokratie: Dass sich die Menschen aussuchen, wer sie regiert. Wir werden den Amerikanern nicht vorschreiben, wen sie wählen.“

Generell orte er in Europa eine „starke Überheblichkeit gegenüber dem Rest der Welt“, abseits von Russland auch gegenüber China, Indien und den arabischen Staaten. „Wer bleibt denn dann noch übrig? Moralische Überlegenheit kann kein Erfolgskonzept sein.“

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (l.) gibt mit Chinas Außenminister Qin Gang (r.) eine gemeinsame Pressekonferenz in Beijing.APA/AFP/POOL/Michael Kappeler

Große Erfolge in der Privatwirtschaft, doppelte Standards in der Politik

Über Erfolge darf sich der Alt-Kanzler mittlerweile in der Privatwirtschaft freuen. Das von ihm mitaufgebaute Unternehmen Dream Security in Israel hat nun eine Bewertung von knapp 200 Millionen Dollar bekommen. „Wir sind ein junges Unternehmen, ein Venture, man sollte es nicht verschreien, wir wachsen sehr schnell“, meinte Kurz. Angesichts der großen Bedrohung durch Cyber-Attacken gebe es hier einen großen Markt. Bei Dream Security werde das Know-How der besten Hacker der Welt genutzt, um eine Künstliche Intelligenz zu trainieren. „„Wir stehen nach eineinhalb Jahren noch am Anfang.“

Sebastian Kurz (ÖVP) reiste 2018 nach Israel – damals noch als Kanzler – und besuchte unter anderem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem (Bild).APA/ROBERT JAEGER

Dem für kommende Woche erwarteten Urteil im Prozess um eine Falschaussage, blickt Kurz ebenfalls entspannt entgegen. Alle Aufsichtsräte hätten in seinem Sinne ausgesagt und bestätigt, dass er sie nicht beeinflusst habe bei der Wahl von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef. Dass Schmid selbst den Alt-Kanzler belaste liege offenbar daran, dass dieser auf diesem Weg einen Kronzeugen-Status erlangen will. Fakt ist: „Unzählige Zeugen sind einvernommen worden, ohne Eigeninteresse, und die haben alle meine Aussage bestätigt.“ Es sei schon verwunderlich, wenn das jetzt irrelevant sein sollte: „Leute, die sich ihr Leben lang nichts zuschulden haben kommen lassen, die größtenteils politisch nicht einmal aktiv waren, die mich kaum kennen, die sich keine fünf Mal mit mir getroffen haben: Warum sollten die denn für mich lügen und im Gerichtssaal eine Straftat begehen?“

Oft werde mit zweierlei Maß gemessen. Wenn das Klimaministerium unter Leonore Gewessler den Klima-Bonus bewirbt, dann ist das ganz wichtig für die Weltrettung, wenn ein nicht-grünes Ministerium Werbearbeit macht, dann ist das Korruption. Ich kann das nicht nachvollziehen.“