Es ist deshalb auch kein Zufall, dass SPD-Chef Lars Klingbeil gleich eingangs das „starke Finanzpaket für die Sanierung unseres Landes“ erwähnte und würdigte. Für die SPD war und ist das Schöpfen aus neuen Finanzquellen der Dreh- und Angelpunkt der neuen Koalition. Wenn alles kommt, wie geplant, wird dem Anfang vom Kabinett Merz kein Zauber innewohnen, sondern vor allem ein auskömmlicher Finanztopf, mit dessen Hilfe gekittet werden kann, was in der Ampel-Koalition zu Bruch ging.

Wird die Migration wirklich begrenzt werden können?

Damit die neue Regierung überhaupt starten kann, bekamen die Sozialdemokraten als die größten Wahlverlierer des zurückliegenden Urnengangs gleich zu Beginn ihr „Sondervermögen“. Schritt zwei folgte jetzt: Die Union erhält eine umfassende Bemühungszusage bei der Begrenzung der Migration, die die wichtigsten Schlüsselworte für die Beruhigung der Basis enthielt: „Zurückweisung an den Grenzen“ zum Beispiel, auch wenn der Zusatz „in Absprache mit unseren europäischen Nachbarn“ darauf hindeutet, dass zunächst einmal Verhandlungen geführt werden müssen und im Grunde gar nichts passiert, wenn es nicht einvernehmlich mit den umliegenden Ländern geschieht.

Die Wiedereinsetzung des Wortes „Begrenzung“ als Politikziel ins Aufenthaltsgesetz ist sinnvoll und löblich und korrigiert einen Irrweg, ist politisch aber erst einmal folgenlos. Wichtig und effektiv ist, die freiwilligen Aufnahmeprogramme jetzt umgehend wirklich zu beenden und Grenzkontrollen in der Tat effektiv auszubauen. Den Familiennachzug für subsidiär Schutzsuchende auszusetzen, geht in die richtige Richtung, verschleiert aber die wirkliche Dimension des Familiennachzugs, der zu großen Teilen ins soziale Netz erfolgt und eben nicht auf diese eine Migrantengruppe reduziert werden darf. Und wer schließlich noch immer an „Rückführungsoffensiven“ glauben möchte, hat offenbar aus den dutzenden bisherigen Offensiven, die allesamt ausblieben, nichts gelernt. Klingt aber erst einmal kraftvoll.

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Der Geist des Papiers? Die Basis überzeugen

Nun, da der Wähler gesprochen hat und nicht mehr intervenieren kann, konzentrieren sich Union und SPD sehr effizient darauf, ihre jeweilige Basis zu überzeugen, um auch hier den Widerstand auszuräumen. Geld für die SPD, Migration für die Union, Verteidigung für beide, wobei die gute Botschaft lautet: Geld für die Bundeswehr müssen wir wegen der teilweise ausgesetzten Schuldenbremse nirgendwo anders mehr einsparen. Für Länder und Kommunen ist die Öffnung der Schuldenbremse auch für sie (bis zu 0,35 Prozent BIP) eine gute Nachricht und dürfte Bürgermeister, Landräte und andere Parteifreunde vor Ort milde stimmen. Für den Steuerzahler ist es freilich keine gute Nachricht, dass neben dem Bund und Europa nun auch noch eine weitere politische Ebene Kredite aufnehmen kann. Aber das dürfte kaum jemanden interessieren.

Das kräftige „weiter so“ zeigt sich auch darin, dass die SPD sich bei der von der Union attackierten „Turboeinbürgerung“ durchsetzen konnte und diese beibehalten wird. Migrationskontrolle an den Grenzen ist das eine, die manifeste und unabänderliche Veränderung des Landes und der Gesellschaft durch Einbürgerung das andere. Nicht ohne Grund trug SPD-Chef Klingbeil die „Vielfalt“ auch demonstrativ vor sich her und verwies darauf, dass nahezu schon jeder zweite Jugendliche eine Migrationsgeschichte habe. Dass Doppelstaatlern mit Terrorbezug der deutsche Pass womöglich entzogen werden können soll, geht in Ordnung, betrifft aber einen Personenkreis im Promillebereich und ist migrationspolitisch weiße Salbe.

Das Sondierungspapier arbeitet geschickt mit Leuchtturm-Projekten und Schlüsselworten. Dass der erste Kernfusionsreaktor, wenn die Technik in der Zukunft einmal so weit sein sollte, in Deutschland stehen soll, klingt nach tollem Wissenschaftsstandort und Moderne, ist aber zunächst erst einmal ein frommer Wunsch, der über die Schieflage in der deutschen Wissenschaftswelt (zu wenig Ingenieure und Naturwissenschaftler und zu viele Geisteswissenschaftler) nichts aussagt und für den sich der Bürger absehbar wenig kaufen kann. Das betrifft auch die Kürzung des Bürgergelds auf nahe null für Totalverweigerer. Der Schritt ist logisch und richtig, ersetzt aber keine tiefgreifende Reform des Bürgergeldes, der mit der SPD allerdings nicht zu machen ist.

Dass der Industriestrom und Netzentgelte billiger werden sollen, riecht nach Subventionsorgien. Das Bundestariftreuegesetz nach absehbarer Preisexplosion für öffentliche Ausschreibungen. Die Einigung auf das Festschreiben („Sichern“) des Rentenniveaus bei gleichzeitigem Ausschluss längerer Lebensarbeitszeit konserviert eine Renten-Rechnung, die seit Jahrzehnten nicht mehr aufgeht und nun offenbar mit frischem Geld aus dem Haushalt ins Lot gebracht werden soll. Von der Abschaffung der Rente mit 63 war keine Rede mehr, und mit der ausdrücklichen Festlegung auf 15 Euro ist der Mindestlohn jetzt endgültig zum politischen Soziallohn geworden, der mit der Wirtschaftskraft von Unternehmen und Wertschöpfung nichts mehr zu tun hat. Schönen Gruß an den Wirtschaftsflügel der Union. Dass die Fortsetzung der Mietpreisbremse, die bislang erwartbar und logischerweise keinen Wohnraum geschaffen hat, in Zukunft den Wohnungsmarkt beflügeln sollte, wird niemand ernsthaft erwarten.

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Werden die Grünen noch zum Zünglein an der Waage?

Wer sich die Erklärungen der Grünen-Spitze zu dem Papier angesehen und die Forderung nach mehr Klimaschutz richtig zu deuten versteht, dem schwant, dass es auch kein Ende der ruinösen Klima- und Energiepolitik, sondern weitere Milliarden dafür geben wird. Die Grünen, das muss man ihnen lassen, haben völlig zu Recht die Stillosigkeit von Friedrich Merz im Umgang mit ihnen kritisiert und spielen jetzt ihre Karten für die gewünschte Grundgesetzänderung für Schuldenbremse und Sondervermögen aus. Er habe Grünen-Fraktionschef Britta Haßelmann „unmittelbar nach Ende unserer Sondierungsgespräche (…) eine Nachricht hinterlassen“. Außerdem hätten die Grünen ja in der zurückliegenden Legislaturperiode auch vieles von dem gefordert, was jetzt im Papier stehe.

Merz sagte, er habe Grünen-Fraktionschef Britta Haßelmann „unmittelbar nach Ende unserer Sondierungsgespräche eine Nachricht hinterlassen“.

Die Chuzpe muss man erst einmal haben: Den Grünen höhnisch ins Gesicht zu sagen, dass man sie vor der Wahl für genau das, was man jetzt beschließen möchte, beschimpft, verspottet und verbal verprügelt hat. Arroganter und herablassender kann man politische Partner, auf die man angewiesen ist, nicht behandeln.

Alles in allem liefern das Sondierungspapier und die unkluge Verhandlungsführung der Union mit ihren absehbaren Folgen nicht ansatzweise den Kurswechsel, den Deutschland braucht. Dieser Tag ist alles andere als ein guter Tag für Deutschland.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NiUS erschienen.