Streit um Menschenrechte: Wilde Schlägerei im türkischen Parlament
Da liegen aber die Nerven ganz schön blank: Im türkischen Parlament flogen jetzt zwischen Abgeordneten von Regierung und Opposition die Fäuste. Grund war ein Streit über einen inhaftierten Menschenrechtsanwalt. Auf einem von der Zeitung “Cumhuriyet” veröffentlichten Video ist zu sehen, wie Alpay Özalan, ein Abgeordneter der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, Ahmet Sik von der türkischen Arbeiterpartei Tip während einer Rede ohrfeigte. Sik stürzte zu Boden, worauf im Parlament in Ankara eine heftige Schlägerei ausbrach.
Mindestens zwei Abgeordnete der Opposition, die versuchten, das Handgemenge zu unterbrechen, wurden nach Angaben des Senders Habertürk verletzt. Auf dem Boden des Parlaments sei im Anschluss Blut zu sehen gewesen, hieß es. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Özgur Özel, bezeichnete den Vorfall als “äußerst beschämend”. Alpay Özalan ist ein ehemaliger Fußballspieler, der zeitweise für den 1. FC Köln in der deutschen Bundesliga spielte.
Das Parlament hatte eine außerordentliche Sitzung zur Situation des türkischen Menschenrechtsanwalt Can Atalay abgehalten. Atalay war im April 2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 wegen Beihilfe zu einem Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2023 wurde er zum Abgeordneten gewählt. Das Verfassungsgericht ordnete Atalays Freilassung an – der Kassationshof entschied jedoch, dies nicht umzusetzen.
Sik hatte die Regierung für die Inhaftierung Atalays kritisiert hatte. Er sei nicht überrascht, dass Atalay als “Terrorist” bezeichnet werde, sagte Sik demnach. Die größten “Terroristen” des Landes seien jedoch jene, “die hier auf diesen Bänken sitzen”, fügte er in Anspielung auf die Regierungsmehrheit hinzu.
Ahmet Şık'ın bu konuşmasını sindiremeyenler milletvekilimize arkadan saldırdılar.
— Türkiye İşçi Partisi (@tipgenelmerkez) August 16, 2024
Doğru bildiğimizi söylemeye; memlekette özgürlük, adalet ve eşitlik kavgasını büyütmeye devam edeceğiz! pic.twitter.com/r6KoRlAxtn
Das Urteil gegen Atalay in dem sogenannten Gezi-Prozess gilt als politisch motiviert und wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unrechtmäßig beschieden. Die Gezi-Proteste von 2013 richteten sich auch konkret gegen den damaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Özgür Özel, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP, verurteilte die Schlägerei im Parlament. “Ich schäme mich, Zeuge dieser Situation gewesen zu sein”, erklärte er. “Die Abgeordneten der AKP, die das Gesetz nicht anerkennen und die Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht umsetzen, verwandeln das Parlament in eine Arena der Gewalt (…). Wir verurteilen diesen Angriff aufs Schärfste”, erklärte die pro-kurdische Partei DEM. Parlamentspräsident Numan Kurtulmus kündigte Konsequenzen für die beiden für die Schlägerei verantwortlichen Abgeordneten an. Im Anschluss wurde ein Antrag der Opposition auf Prüfung einer Wiederherstellung des Mandats Atalays debattiert. Das von der AKP und ihrem rechtsextremen Koalititionspartner MHP dominierte Parlament lehnte den Antrag ab.
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