Trotz aller Rückschläge: Die EU sucht den Neustart mit Erdogan und hat im Vorfeld sogar die Aufhebung des Visa-Zwangs für Türken in Aussicht gestellt
Die EU sucht neuerlich das Gespräch mit Erdogan, obwohl Ankara im vergangenen Jahr beinahe einen Krieg mit Griechenland ausgelöst hätte. Der Grund: Streit um Gasbohrungen im Mittelmeer. Doch die EU hofft auf Kooperation in Fragen der Migration. Sogar die Aufhebung des Visa-Zwangs für Türken hat sie in Aussicht gestellt.
Erstmals seit einem Jahr gibt es am Dienstag wieder ein direktes Treffen von EU-Spitzenvertretern mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel reisen dazu nach Ankara. Im Gepäck haben sie ein umfassendes Angebot für den Neustart der Beziehungen mit dem schwierigen Partner. Obwohl Erdogan die EU im vergangenen Jahr mehrfach brüskiert hat und bereits viele Verstimmungen die Beziehung zu Ankara überschatten, umwirbt die EU neuerlich Erdogan. Anscheinend setzt auf seine Mithilfe in der Migrationspolitik.
Ausgangslage
Zuletzt waren die Beziehungen zu dem EU-Beitrittskandidaten insbesondere durch den Streit um Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer belastet. Die EU hat hier seit 2019 Sanktionen gegen die Türkei verhängt, um ihre Mitglieder Griechenland und Zypern zu unterstützen.
Positiv bewertete der EU-Gipfel Ende März, dass Ankara nun sowohl zu Gesprächen im Gas-Streit als auch im Konflikt um das geteilte Zypern bereit ist – und zeigte sich seinerseits bei anhaltendem Kooperationswillen zu einem weitreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Entgegenkommen bereit.
Zollunion
Für Ankara ist die 1995 geschlossene Zollunion mit der EU ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Güter können ohne Zölle und Beschränkungen über die Grenzen geliefert werden. Ausgenommen sind der Bereich Kohle und Stahl und die meisten landwirtschaftlichen Produkte.
Schon im Flüchtlingspakt von 2016 hatte die EU eine “Modernisierung” der Zollunion angeboten. Die EU-Kommission bewertete damals die Ausweitung auf Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Landwirtschaft positiv. Wegen der innenpolitischen Lage in der Türkei wurden die Gespräche aber auf Eis gelegt. Nun gibt es ein neues Angebot zur Erweiterung der Handelsvereinbarung.
Neue Flüchtlingsmilliarden?
Ankara fordert schon lange von der EU mehr Geld für die Versorgung der rund 3,7 Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei. Im Flüchtlingspakt von 2016 waren Erdogan sechs Milliarden Euro zugesagt worden. Ausgezahlt sind laut EU-Kommission bisher 4,1 Milliarden Euro. Aber auch die restlichen Gelder sind bereits fest verplant.
Die EU-Staats- und Regierungschefs sind bereit, die Finanzierung fortzusetzen. Die EU-Kommission soll nun einen Vorschlag ausarbeiten. Konkrete Zahlen für ein neues Milliardenpaket gibt es noch nicht. Allerdings sagte die EU der Türkei vergangenes Jahr bereits weitere 535 Millionen Euro zu, damit bestimmte Programme 2021 weiterlaufen können.
Reiseerleichterungen
Gleichfalls 2016 hatte die EU Ankara die Aufhebung des Visa-Zwangs für türkische Bürger in Aussicht gestellt. Doch die Gespräche steckten bald fest, weil die Türkei ihre weit gefassten Anti-Terrorgesetze nicht ändern wollte. Nun lockt die EU erneut mit Reiseerleichterungen. Die Staats- und Regierungschefs blieben aber vage und lassen lediglich prüfen, “wie die Zusammenarbeit (…) bei zwischenmenschlichen Kontakten und Mobilität verstärkt werden kann”.
Neue Flüchtlingsmilliarden?
Ankara fordert schon lange von der EU mehr Geld für die Versorgung der rund 3,7 Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei. Im Flüchtlingspakt von 2016 waren Erdogan sechs Milliarden Euro zugesagt worden. Ausgezahlt sind laut EU-Kommission bisher 4,1 Milliarden Euro. Aber auch die restlichen Gelder sind bereits fest verplant.
Die EU-Staats- und Regierungschefs sind bereit, die Finanzierung fortzusetzen. Die EU-Kommission soll nun einen Vorschlag ausarbeiten. Konkrete Zahlen für ein neues Milliardenpaket gibt es noch nicht. Allerdings sagte die EU der Türkei vergangenes Jahr bereits weitere 535 Millionen Euro zu, damit bestimmte Programme 2021 weiterlaufen können.
Angebot unter Vorbehalt
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verwies nach dem Gipfel darauf, dass nichts in trockenen Tüchern sei und sprach von einem “zweistufigen Ansatz”. Die EU mache jetzt “einen ersten Schritt” und werde konkrete Beschlüsse im Juni fassen, sagte sie. Dabei werde eine Rolle spielen, “wie sich die Entspannung im östlichen Mittelmeer weiter entwickelt”. Tatsächlich erhält die EU ihre Drohung mit neuen Sanktionen im Gas-Streit aufrecht.
Zwar kritisierten die Staats- und Regierungschefs in ihrer Gipfel-Erklärung auch den Verbotsantrag gegen die pro-kurdische Oppositionspartei HDP und den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Explizit nannten sie die Rücknahme aber nicht als Bedingung für eine Wiederannäherung.
EU-Forderung nach Rücknahme von Flüchtlingen
Ankara hatte sich im Migrationsabkommen von 2016 verpflichtet, neu auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge zurückzunehmen, wenn deren Asylanträge abgelehnt werden. Die Vereinbarung führte zu einem deutlichen Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland. Allerdings setzte die Türkei im Sommer vergangenen Jahres die Rücknahme aus. Brüssel forderte Ankara nach dem Gipfel “dringend” auf, diese wieder aufzunehmen.
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