
US-Militäranalyst: Der Krieg wendet sich zugunsten Russlands
Russlands anfängliche Niederlagen haben westliche Beobachter geblendet, kritisiert der US-Militäranalyst Daniel L. Davis. Mittlerweile wende sich das Blatt zugunsten Moskaus, vor allem wegen seiner personellen Überlegenheit, seiner Feuerüberlegenheit und wegen taktischer Fehler Kiews.

Russlands anfängliche Fehler und Niederlagen bis zum Herbst 2022 haben westliche Beobachter geblendet, kritisiert der ehemalige Oberstleutnant der US-Armee Daniel L. Davis. Er arbeitet als Senior Fellor beim Think-Tank „Defense Priorities“. Mittlerweile seien die russischen Truppen im Vorteil. „Was viele Analysten nicht erkannten, war, dass Russland sowohl materiell als auch personell über weitaus mehr Kapazitäten zur Kriegsführung verfügt und daher in der Lage ist, enorme Verluste zu verkraften“. Hingegen verfüge die Ukraine über „deutlich weniger Ressourcen und Truppen und hat daher weniger Spielraum für Fehler.“

Ein besonders verhängnisvoller Fehler Selenskyjs sei die Entscheidung gewesen, die Stadt Bakhmut um jeden Preis zu halten. Schon im Dezember 2022 sei klar gewesen, dass sie für Kiew nicht mehr zu halten ist, unterstreicht Daniel L. Davis in seiner Analyse für das US-Magazin „19FortyFive“. Dies könnte „schwerwiegende Folgen für den weiteren Verlauf des Krieges haben.“ In Summe habe die Ukraine „vier große Städtekämpfe gegen Russland ausgefochten und verloren wobei sie in jedem dieser Kämpfe eine immer höhere Zahl von Opfern zu beklagen hatte: Sewerodonezk, Lysytschansk, Soledar und zuletzt Bakhmut.“
Russland hat umkämpfte Städte rasch aufgegeben – was nun ein Vorteil ist
Ganz anders Russland: Mit Stadtkämpfen konfrontiert – Kiew, Charkiw und Cherson – entschied es, diese aufzugeben. Nun zeigten sich die Folgen, unterstreicht Daniel L. Davis, der 21 Jahre aktiven Dienstes samt vier Kampfeinsätzen hinter sich hat, und als Außen- und Verteidigungsexperte Beiträge für Fox News, CNN, CNBC, BBC und andere Fernsehsender verfasst.
Davis kommentiert: „Durch den Rückzug aus Kiew und Charkiw im ersten Kriegsmonat und aus der Stadt Cherson im letzten Herbst war Russland in der Lage, seine Streitkräfte in besser zu verteidigende Stellungen zu verlegen und sein Personal vor den Strapazen eines zermürbenden Verteidigungskampfes in städtischem Terrain zu bewahren.“ Die Ukraine habe sich hingegen dafür entschieden, „Großstädte anzugreifen, und hat nun eine enorme Anzahl von Truppen verloren – aber am Ende auch die Stadt selbst.“
Rechtzeitiger Rückzug aus Bakhmut wäre ein Vorteil für die Ukraine gewesen
Ab Dezember konnte die Ukraine Bakhmut nicht mehr halten. Als die russischen Truppen an den Flanken der Stadt vorrückten und alle Straßen, die die Garnison versorgten, unter Feuerschutz nahmen, sanken die Chancen, die Stadt zu halten, gegen Null. Die Ukraine hätte dem russischen Beispiel in Cherson folgen und sich in die nächste vorbereitete Verteidigungsstellung in der Nähe von Kramatorsk oder Slawjansk zurückziehen können und sollen.“
Hätten sich die Ukrainer von Bakhmut rechtzeitig zurückgezogen, hätten sie „wieder alle Vorteile gehabt: Sie hätten ausgeklügelte Kampfstellungen, freie Schussfelder zum Angriff auf entgegenkommende russische Truppen und ungehinderte Nachschubwege nach hinten gehabt. Für Russland wäre es weitaus teurer gewesen, zu versuchen, diese Stellungen einzunehmen, als aus nächster Nähe gegen die Ukrainer in Bakhmut zu kämpfen“.
Gewaltige Feuerüberlegenheit Russlands, USA sollen umdenken
Erschwerend komme die „wahrscheinliche Feuerüberlegenheit von 10 zu 1 auf russischer Seite“ hinzu. Kurz: „Die Ukraine hat weder das Personal noch die industriellen Kapazitäten, um die verlorenen Männer und die verlorene Ausrüstung im Vergleich zu den Russen zu ersetzen. … Noch größer als der Mangel an Munition und Ausrüstung für die Ukraine ist die Zahl an ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeitern, die sie verloren hat.“

Die USA müssten diese Realitäten berücksichtigen. „Die Vereinigten Staaten können – und sollten – sich nicht verpflichten, für das nächste Kriegsjahr eine Unterstützung in gleicher Höhe zu leisten.“ Washington müsse der Versuchung widerstehen, „ein aussichtsloses Unterfangen zu unterstützen“.

Mit Blick auf die Militärgeschichte erinnere der Krieg an frühere Kämpfe: „Die russische Geschichte ist voll von Beispielen für Kriege, die schlecht begonnen haben, große Verluste erlitten und sich dann erholt haben, um das Blatt zu wenden.“
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