Islamisten weltweit wittern Oberwasser seit dem Sieg der Taliban
Islamisten in allen Ländern sind begeistert über den Erfolg der Taliban. Groß ist die Freude unter anderem bei Al-Kaida und bei der radikalislamischen Hamas, dem palästinensischen Flügel der Muslimbruderschaft. Nur der “Islamische Staat” ist skeptisch, aber auch er profitiert vom Sieg der Taliban.
Die Machtübernahme in Afghanistan ist nicht nur ein Sieg der Taliban, sondern ein Triumph für die Islamisten weltweit. “Das gibt den Jihadisten einen enormen Auftrieb. Sie glauben nun, dass sie ausländische Mächte vertreiben können, selbst eine Großmacht wie die USA”, sagt Colin Clarke von der Denkfabrik Soufan Center in New York.
"Das wird die Moral der Jihadisten von Nordafrika bis Südostasien stärken"
Der Politikwissenschafter rechnet damit, dass Islamisten das Beispiel Afghanistan in ihrer Propaganda ausschlachten werden, besonders vor dem 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September in New York. “Das wird die Moral der Jihadisten von Nordafrika bis Südostasien stärken”, sagt Clarke. “Die Eroberung Afghanistans durch die Taliban wird Jihadisten überall ermutigen”, sagt auch der Extremismusexperte Aymenn Jawad Al-Tamimi an der George Washington University. “Wenn ihr weiterkämpft, werden eure Gegner am Ende in die Knie gehen”, laute die Botschaft aus Afghanistan an die radikalislamischen Milizen.
Hamas: "Taliban haben sich nicht von falschen Slogans von Demokratie und Wahlen täuschen lassen"
Im Internet bejubeln Islamisten den Erfolg der Taliban. Mit Nachdruck tut dies auch die radikalislamische Hamas im Gaza-Streifen: “Der beweist, dass der Widerstand der Völker – allen voran des palästinensischen – schließlich zum Sieg und zur Freiheit führt”, unterstrich die extremistische Gruppierung in einer offiziellen Erklärung. Weiters heißt es darin: “Wir beglückwünschen das muslimische afghanische Volk zur Niederlage der amerikanischen Besatzung in allen afghanischen Gebieten. Wir beglückwünschen die Taliban-Bewegung und ihre mutige Führung zu diesem Sieg, der den Höhepunkt ihres langen Kampfes in den letzten 20 Jahren darstellt.“ Die Hamas ist der palästinensische Ableger der islamistischen Muslimbruderschaft.
Musa Abu Marzouk, Mitglied des Politbüros der Hamas, schrieb auf Twitter: „Heute sind die Taliban siegreich, nachdem man sie früher der Rückständigkeit und des Terrorismus beschuldigt hatte. Jetzt sind die Taliban klüger und realistischer. Sie haben sich Amerika und seinen Agenten entgegengestellt und lehnen halbe Lösungen ab. Die Taliban haben sich nicht von den Slogans von Demokratie und Wahlen und auch nicht von falschen Versprechungen täuschen lassen. Dies ist eine Lektion für alle unterdrückten Völker.“
"Der Sieg zeigt, dass die USA und ihre Verbündeten trotz ihrer militärischer Stärke besiegt werden können"
Kürzlich veröffentlichte die Hamas Fotos von einem Treffen zwischen ihrem Führer Ismail Haniyeh und einer Taliban-Delegation. Das Treffen soll im Taliban-Büro in Doha (Katar) stattgefunden haben, wo sich Haniyeh seit zwei Jahren aufhält. Medienberichten zufolge „gratulierte“ die afghanische Delegation dem Hamas-Führer zum “Sieg” seiner Organisation im elf-tägigen Krieg mit Israel im vergangenen Mai. Ein palästinensischer Journalist rechnet mit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Hamas und Taliban nach der “Befreiung” Afghanistans: “Der Sieg der Taliban ermutigt die palästinensischen Widerstandsgruppen, einschließlich der Hamas”, sagte er. “Der Sieg zeigt ihnen, dass die USA und ihre Verbündeten trotz ihrer militärischen Fähigkeiten besiegt werden können.”
Begeisterung herrscht auch bei Al-Kaida: “Muslime und Mujaheddin in Pakistan, Kaschmir, Jemen, Syrien, Gaza, Somalia und Mali feiern die Befreiung Afghanistans und die Einführung der Scharia”, erklärte die Propagandaagentur des Terrornetzwerks Al-Kaida, El Thabat.
Auch die Anschläge des mit Al-Kaida konkurrierenden "Islamischen Staates" nahmen zu
Nur die Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hält sich mit Jubel zurück. Als Al-Kaida den Taliban die Treue schwor, bezeichnete der IS sie als Abtrünnige. In Afghanistan ist die Feindseligkeit zwischen den Gruppen noch größer, da der afghanische IS-Ableger ISKP von Taliban-Überläufern gegründet wurde.
Aber auch die ISKP-Kämpfer profitieren vom Zusammenbruch des afghanischen Staates. “Dr. Q”, ein westlicher IS-Experte, der seine Forschung unter diesem Pseudonym auf Twitter veröffentlicht, zählte zwischen dem 1. Januar und dem 11. August 216 ISKP-Angriffe – im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur 34. “Der Sieg der Taliban verleiht auch dem ISKP Auftrieb”, schreibt er.
Die Lektion der Taliban: "Geduld und Entschlossenheit können siegen"
Chaos und Krieg seien die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung jeder jihadistischen Gruppe – gleich welcher Ausrichtung, sagt der Politikwissenschaftler Clarke. Er befürchtet, dass nach dem Zusammenbruch der afghanischen Armee sowohl der IS als auch Al-Kaida erstarken könnten. “Was in Afghanistan geschieht, ist ein durchschlagender Sieg auch für Al-Kaida”, sagt Clarke. Das Terrornetzwerk könnte die neue Situation nutzen, Kämpfer zu rekrutieren, und einen Auftrieb erleben wie nie mehr seit dem Tod seines Gründers Osama bin Laden.
Das ist die vielleicht eindrücklichste Lektion, die die Taliban ihren islamistischen Brüdern auf der ganzen Welt erteilen: Geduld und Entschlossenheit können siegen – egal, wer der Feind ist. (APA u. Red)
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