Noch vor wenigen Monaten ließ Christoph Wiederkehr (NEOS) kein gutes Haar am Bildungsministerium. In seinem Buch „Schule schaffen“ beschrieb er es als „überfordert“, „planlos“ und als den „am weitesten von der Realität entfernten Ort“. Der Beamtenapparat sei „noch für die Rahmenbedingungen der Monarchie ausgelegt“, dazu herrsche eine „Grundhaltung des Misstrauens gegenüber Schulen“ sowie eine „Geringschätzung gegenüber Lehrkräften und Schulleitungen“.

Harte Kritik an den Strukturen: „Das System wird komplett versagen“

Besonders kritisch sah der NEOS-Politiker die Strukturen im Bildungswesen insgesamt: Eine „toxische Mischung“ aus Bildungsföderalismus, schwammig aufgestellten Bildungsdirektionen, einer „destruktiven, immer auf das Negative fokussierenden Lehrergewerkschaft“ sowie dem „überforderten Ministerium“ würden das System blockieren und an den Rand des Versagens bringen. Fazit: „Wenn wir weitermachen wie bisher, wird das System komplett versagen.“

Neuer Minister, neue Perspektive?

Nun, wenige Monate später, steht Wiederkehr an der Spitze eben dieses Ministeriums – und hat seither, innerhalb von 48 Stunden, seine Meinung um 180 Grad geändert. Bei der Pressekonferenz nach dem Ministerrat konfrontierte ihn der exxpress mit seinen eigenen Aussagen. Wiederkehrs Antwort fiel bemerkenswert optimistisch aus:

„Ich wurde im Bildungsministerium sehr, sehr herzlich willkommen geheißen“, versicherte der neue Minister. Ob ihn manch ein Beamter, der sein Buch gelesen haben dürfte, so milde stimmen wollte, ließ Wiederkehr unerwähnt. „Ich hatte gestern gleich einen Auftakt mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um gemeinsam zu definieren und vorzuzeigen, wohin der Weg geht, nämlich in Richtung einer Gesellschaft, wo alle Kinder und Jugendliche gute Chancen haben und auf ein gutes Leben vorbereitet werden. Da sehe ich ganz, ganz viel Unterstützung im Haus.”

Seinen ersten Besuch absolvierte Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) am Montag in einem Wiener Kindergarten.APA/HANS KLAUS TECHT

Plötzlich „sehr viel Tatkraft und Energie“

Mehr noch: Plötzlich entdeckt der neue Bildungsminister in seinem Haus „sehr viel Tatkraft und Energie“. Er wolle eine „bildungspolitische Aufholjagd“ starten, um „Leistung, Deutschkenntnisse und Chancengerechtigkeit“ zu verbessern. Sein früherer Befund vom „planlosen“ und „realitätsfernen“ Ministerium scheint vergessen – vorerst.

Die Pressegespräche am Ministerratstag werden neuerdings wieder sitzend abgehalten: (v.l.) Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS), Staatssekretär Alexander Pröll (Bundeskanzleramt, ÖVP) und Staatssekretärin Michaela Schmidt (Bundeskanzleramt, SPÖ).APA/ROLAND SCHLAGER

Reformideen: Konkret im Buch, vage im Regierungsprogramm

Manche von Wiederkehrs Reformideen, über die man mehr in seinem Buch erfahren kann, finden sich – in Ansätzen – auch im Regierungsprogramm. Dort ist etwa von einer Reduktion der Dokumentationspflichten und Bürokratie an Schulen die Rede und von einem Strategiedialog zwischen Bund, Ländern und Gemeinden mit dem Ziel einer Aufgabenreform. In seinem Buch ging der NEOS-Politiker noch weiter, hier war er im Vergleich zu den allgemein gehaltenen Formulierungen im Regierungsprogramm auch konkreter.

Eines scheint der neue Bildungsminister aber zu wissen: Ohne die Mitarbeit der Lehrer, der Direktoren und anderer Leitungspersönlichkeiten wird er nicht weit kommen. Deshalb betont er auch gegenüber dem exxpress: „Es ist jetzt auch in meiner Führungsverantwortung, die vielen guten Köpfe, die es gibt, mitzunehmen, nicht nur im Bildungsministerium, sondern darüber hinaus. Bildung ist mehr als das Bildungsministerium. Das sind insbesondere die Lehrkräfte, die es auf eine echte Aufholjagd mitzunehmen gilt. Wir brauchen nämlich eine bildungspolitische Aufholjagd in Österreich.“