
„Wozu noch FPÖ?“ – FPÖ-naher Historiker attackiert Kickl nach Koalitions-Aus
Blau-Schwarz ist geplatzt, viele Mitte-Rechts-Wähler sind frustriert. Ihre Wut trifft inzwischen beide Parteien. Nun greift der Historiker und FPÖ-Berater Prof. Lothar Höbelt den freiheitlichen Bundesparteivorsitzenden Herbert Kickl frontal an.

Lothar Höbelt, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien, war über Jahre als Berater der FPÖ tätig. In einem aktuellen Kommentar macht er nun seiner Enttäuschung über FPÖ-Chef Herbert Kickl Luft. Mit dem Abbruch der Koalitionsgespräche habe Kickl „unlogisch“ gehandelt, sich und seiner Partei geschadet – und einer schwächelnden Linken massiv geholfen.
Einmalig gute Ausgangslage für rechte Koalition nicht genutzt
Kickls Vorgehen sei ein schwerer Fehler gewesen, argumentiert Höbelt auf dem Online-Blog das-tagebuch.at, den der ehemalige Presse-Chefredakteur Andreas Unterberger betreibt. Erstens sei die Ausgangslage für eine rechte Koalition so günstig wie noch nie. Zweitens würden viele dringend nötige Maßnahmen, „die eine blau-schwarze Regierung ohne jegliche interne Reibungsverluste in Angriff hätte nehmen können“, nun auf der Strecke bleiben. Drittens habe Kickl mit „kindischem Trotzverhalten“ die ÖVP brüskiert und das Hickhack um das Innenministerium zum Sprengsatz für die Koalition hochstilisiert.
Kickl wird wichtigster Helfer der schwächelnden Linken
Viertens, so Höbelt, sei Kickl damit zum wichtigsten Helfer der schwächelnden Linken geworden. Fünftens punkte er nur bei eingefleischten Anhängern, verliere aber viele gemäßigte Wähler: „Für die Wähler ist mit Kickls Abbruch der Regierungsverhandlungen jeder Grund entfallen, nochmals FPÖ zu wählen. Wozu soll man eine Partei wählen, zumindest auf Bundesebene, die ohnehin nur kneift, sobald sie die Chance erhält, ihre Vorstellungen umzusetzen.“

„Kickl will offenbar ganz einfach nicht“
Vor allem, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl vom Verhandlungstisch aufgestanden ist und die Gespräche mit der Volkspartei beendet hat, lässt Lothar Höbelt ungläubig den Kopf schütteln. „Historiker werden sich in späteren Jahrzehnten einmal den Kopf zerbrechen, ob sie nicht ‚Fake News‘ aufgesessen sind“, meint Höbelt, der mit zahlreichen Büchern zur österreichischen Zeitgeschichte von sich reden gemacht hat.
Höbelt: „Eine Partei bekommt Kanzleramt und Finanzministerium angeboten – und lässt diese aller Voraussicht nach nie wiederkehrende Chance vorübergehen, weil sich unser Alberich von Radenthein auf das Innenressort kapriziert“. Über die Motive des blauen Bundesparteichefs könne man nur rätseln: „Nun ist Kickl zweifelsohne intelligent; die Diagnose, warum er so handelt wie er handelt, muss Experten aus anderen Fachgebieten überlassen bleiben. Denn logisch lässt sich die Sache nicht erklären.“ Lothar Höbelt Schluss: „Kickl will offenbar ganz einfach nicht.“
FPÖ hätte so wie ÖVP über ihren Schatten springen müssen
Das hätten bereits Kickls „höchst undiplomatische Erklärungen“ zu Beginn und während der Verhandlungen gezeigt. „Das ist entweder kindisches Trotzverhalten oder bewusste Sabotage“.
Die ÖVP sei „über ihren Schatten gesprungen, als sie – entgegen ihren früheren Erklärungen – Kickl als Kanzler akzeptiert hat; der offenkundige Preis dafür war, dass die FPÖ im Gegenzug über ihren Schatten springt und das Innenministerium zur Disposition stellt. Es war schon 2018/19 ein Fehler, die Rivalitäten unserer heimischen Möchtegern-James-Bonds zum Sprengsatz der Koalition hochzustilisieren, umso mehr heute.“

Optimales Umfeld in Europa, um illegale Zuwanderung einzudämmen
Vor allem aber: Kickl hat ein einmalig gute Gelegenheit nicht genutzt. „Das internationale Umfeld für eine Mitte-Rechts-Regierung ist heute so gut wie schon lange nicht: In den USA regiert Trump, in Italien Meloni; in den Niederlanden, Ungarn und demnächst vermutlich auch in Tschechien Parteien, die mit der FPÖ in einer Fraktion sitzen. Die üblichen Verdächtigen, die dem restlichen Europa gern ihre Brandmauer-Phantasien aufzwingen wollen, Deutschland und Frankreich, stehen augenblicklich ohne wirklich handlungsfähige Regierung da.“
Unter diesen Bedingungen ließe sich eine rechte Zuwanderungspolitik endlich europaweit lösen. Andere Rechtsregierungen in Europa würden nun Kickls Verhaltung auch nicht gutheißen. Höbelt: „Dieses Umfeld ist wichtig, nicht weil es um die veröffentlichte Meinung im Ausland geht, sondern weil man der zentralen Frage der Eindämmung der illegalen Zuwanderung eben nur auf europäischer Ebene einigermaßen Herr werden kann. Die Rechtsregierungen innerhalb der EU werden sich schön bedanken, wenn ein potenzieller Partner aus nichtigen Gründen ausspringt.“
„Politisch-korrekte Manierismen bleiben bestehen“
Nun bleiben viele wichtige Reform-Vorhaben auf der Strecke: „Eine Reihe von zentralen Punkten, die eine blau-schwarze Regierung ohne jegliche interne Reibungsverluste in Angriff hätte nehmen können, wird jetzt entweder liegen bleiben oder verwässert werden. Die politisch-korrekten Manierismen im öffentlichen Bereich, die Auswüchse des Green Deals, die famose Haushaltsabgabe des ORF und viele andere Ärgernisse werden wegen der Marotten von Herrn Kickl vermutlich leider bestehen bleiben.“
Das Ergebnis: Anderthalb Millionen FPÖ-Wähler haben vergeblich auf „eine Regierung ohne linke Beteiligung im Amt“ gehofft. „Herbert Kickl, der ja offenbar Pferde liebt, hat sich auch ganz ohne Kanzlerbonus einen unverwechselbaren Platz in der österreichischen Geschichte gesichert – als das beste Pferd der Linken, als Deus ex machina, der er ihr immer wieder aus der Patsche hilft, wenn ihr alle anderen Felle davonzuschwimmen drohen.“
Kickls Taktik wird nicht auf Wohlgefallen stoßen
In der breiten Wählerschaft werde Kickl damit auf Dauer nicht punkten, meint Höbelt: „Mag sein, dass es unter den paar Tausend Aktivisten der FPÖ einen Narrensaum gibt, dem das Funktionärsgezänk mit der ÖVP wichtiger ist als die Geltendmachung der seit Jahr und Tag bestehenden bürgerlichen Mehrheit im Lande. … Ich bezweifle, dass selbst unter der Mehrheit der FPÖ-Mitglieder diese Taktik Kickls auf Wohlgefallen stößt, bestenfalls auf fatalistische Akzeptanz.“
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