Nahost-Experte zum eXXpress: „Eine Zwei-Staaten-Lösung ist jetzt völlig realitätsfremd“
Wünschen sich westliche Politiker ein zweites Taliban-Regime, mitten im Nahen Osten, mit eigener Armee? Das fragen sich zurzeit viele Israelis. Trotz des Massakers am 7. Oktober fordert der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell energisch einen palästinensischen Staat. Ein „Irrsinn“ sei das, sagt Sicherheitsexperte Yossi Kuperwasser.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (76) verkündete am Montag die neuen Leitlinien der europäischen Nahostpolitik – ohne vorherige Absprache mit den Mitgliedsstaaten. Dreieinhalb Monate nach dem Massaker der Hamas-Terroristen in Israel drängte er auf die Schaffung eines palästinensischen Staates – ob mit oder ohne Friede: „Ich werde von jetzt an nicht mehr vom Friedensprozess sprechen, sondern von einer Zwei-Staaten-Lösung“, polterte er. Notfalls müsse diese „Lösung“ der Region aufgezwungen werden. Kurz: Ein palästinensischer Staat müsse her, egal wie.
Für dieses Vorpreschen erntete Borrell heftiges Kopfschütteln in Israel.
„Das würde bedeuten, Terroristen zu bewaffnen“
Der israelische Sicherheits- und Geheimdienstexperte Yossi Kuperwasser (71) reibt sich die Augen: „Die Vorschläge von Josep Borrell sind völlig realitätsfremd“, meint er gegenüber dem eXXpress. „Es macht keinen Sinn, unter den jetzigen Umständen einen palästinensischen Staat zu gründen. Das würde bedeuten, Terroristen zu bewaffnen.“ Die meisten Israelis teilten seine Einschätzung.
Kuperwasser befasst sich am Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA) mit den Sicherheitsrisiken des Nahostkonflikts. Die anhaltenden westlichen Rufe nach einer Zwei-Staaten-Lösung, selbst nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober, verblüffen ihn: „Erstaunlicherweise wiederholen die Führer des Westens diesen Unsinn immer und immer wieder. Wir werden damit genau das gleiche Ergebnis erzielen wie bisher, und viele unschuldige Menschen auf beiden Seiten werden sterben.“
„In diesem Staat würde die Hamas neuerlich die Macht übernehmen“
Zurzeit sei die Zwei-Staaten-Lösung schlicht keine Option für Israel. „Wir haben alles getan, was wir dafür tun können. Das Massaker der Hamas im Oktober zeigt, wie weit wir von einer Anerkennung des israelischen Staates durch die Palästinenser entfernt sind. Die Palästinenser sind nicht einmal ansatzweise dazu bereit.“
Ein palästinensischer Staat würde umgehend in die Hände der Terrororganisation Hamas fallen. „Auch die Fatah im Westjordanland hat sich zum Kampf gegen den Zionismus verpflichtet. Die Hamas ist noch engagierter, die Fatah andererseits so schwach, dass sie nicht in der Lage sein wird, die Machtübernahme der Hamas zu verhindern“, sagt Yossi Kuperwasser (71), der früher die Forschungsabteilung des militärischen Nachrichtendienstes der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) leitete und überdies Generaldirektor des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten war. Der Terror-Experte hält fest: „Wir geben dann einer Gruppe von Terroranhängern ihren eigenen Staat. Dieser Staat würde, sobald er existiert, von Menschen regiert, die sich dem Kampf gegen Israel bis zu dessen Untergang verschrieben haben.“
Die Palästinenser müssten einen jüdischen Staat im Nahen Osten akzeptieren – sonst nichts
Elementare Voraussetzungen zur Verwirklichung von Borrells Vorschlag fehlen somit, dabei „sind sie nicht einmal weitreichend. Es sind sehr einfache Bedingungen, aber die Palästinenser wollen sie nicht anerkennen.“ 31 Jahre nach den Osloer Friedensprozesse zwischen der PLO und Israel „leugnen die Palästinenser noch immer das Existenzrecht des Staates Israel. Sie sind entschlossen, uns zu vertreiben, vom Fluss bis zum Meer, sie wollen, dass Palästina judenfrei wird.“
Die Palästinenser müssten ihre Haltung gegenüber Israel ändern und „akzeptieren, dass die Juden auch ihren eigenen Staat haben, und sie müssen ebenso die Idee aufgeben, uns mit den Nachkommen der Flüchtlinge zu überschwemmen.“ Es fehle die Anerkennung dafür, dass es „ein jüdisches Volk gibt, das eine unabhängige, eigenständige Geschichte in diesem Gebiet hat.“
Es geht nicht um die seit 1967 besetzten Gebiete
Nicht nur im Gazastreifen, wo die Terrororganisation Hamas herrschte, lehnten die Palästinenser die Existenz Israels ab, sondern ebenso im Westjordanland unter Präsident Mahmoud Abbas. Auch dort erwähnen die Schulbücher Israel nicht. „Darüber hinaus zahlt die Palästinensische Autonomiebehörde gemäß ihren eigenen Gesetzen Gehälter an Terroristen, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert sind, und ebenso Hilfsgelder an die Familien verstorbener Terroristen. Sie wird diese Gehälter und Zulagen sogar an jene Hamas-Terroristen zahlen, die das Massaker vom 7. Oktober verübt haben.“
Fazit: „Sie akzeptieren nirgendwo einen jüdischen Staat, und schon gar nicht in dieser Region“, hält Kuperwasser fest. Beim Nahostkonflikt gehe es auch nicht um die von Israel besetzten Gebiete seit 1967, wie oft behauptet wird. „Der Angriff am 7. Oktober betraf ein Territorium, das seit 1948 zu Israel gehört, innerhalb der Grenzen von 1967.“
Die meisten Parteien lehnen die Zwei-Staaten-Lösung zurzeit ab
Die Zwei-Staaten-Lösung ist zurzeit für fast niemanden in Israel ein Thema, sagt Kuperwasser. „Einige linke Parteien unterstützen diese Idee noch immer, aber sie haben insgesamt nur 14 von 120 Sitzen in der Knesset (Parlament). Womöglich gibt es auch in der Partei von Oppositionsführer Yair Lapid (Yesh Atid, 20 Sitze) ein paar Mitglieder, die nicht gegen eine Zwei-Staaten-Lösung sind. Ansonsten wussten wir schon vor dem 7. Oktober, dass dies nicht funktionieren wird. Nun ist die Ablehnung noch stärker.“
„Das Pilotprojekt für eine Zwei-Staaten-Lösung war ein kläglicher Misserfolg“
Die vergangenen drei Jahrzehnte seit den Osloer Abkommen dürften in Israel vor allem zu einer Einsicht geführt haben: Es hat keinen Sinn, sich auf Terrororganisationen einzulassen, die ihrem Terror zuvor nicht einmal abschwören. Überdies hat sich Israel im Jahr 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen. Mit welchem Erfolg? „Seit 2005 wird der Gazastreifen von den Palästinensern ohne unser Zutun regiert. Man könnte sagen, das war ein Pilotprojekt, ein Versuch für die Zwei-Staaten-Lösung – und er war ein furchtbarer, kläglicher Misserfolg.“
Zunächst versagte die palästinensische Führung und verlor innerhalb von zwei Jahren die Kontrolle an die Hamas. „In den folgenden 15 Jahren musste wir fünf große Schlachten mit der Hamas schlagen, und schließlich kam es zum Massaker vom 7. Oktober.“
Ganz neu war diese Erfahrung für Israel nicht, hebt Yossi Kuperwasser hervor. „Das Gleiche geschah bereits im Jahr 2000, während der Zweiten Intifada – und zwar sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland. 1993 und 1994 hatten wir bereits alles versucht und den Palästinensern die Kontrolle über ihre Gebiete überlassen. Es dauerte nur sieben Jahre, bis wir dort landeten.“ Ein Schritt zurück in die 1990er Jahre kommt für Israel nicht in Frage. „Die Risiken sind nicht kalkulierbar.“
„Werden Zusammenarbeit mit verantwortungsbewussten Gaza-Bewohnern suchen“
Über Israels jetzige Ziele nach dem Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen meint der Sicherheitsexperte: „Im Moment müssen wir die Kontrolle über den Gazastreifen behalten.“ Über einen sehr langen Zeitraum werde Israel daher die Sicherheitslage in Gaza kontrollieren, eine gewisse Zeit lang auch den zivilen Bereich – „bis alle Palästinenser verstanden haben und überzeugt sind, dass die Hamas und ihre Ideologie nicht zurückkehren werden. Dann werden wir uns nach Bürgern im Gazastreifen umsehen, die keine Terroristen sind und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir werden überdies internationale Gremien benötigen, die den Wiederaufbau und die Investitionen im Gazastreifen überwachen. Das alles wird kostspielig sein, aber noch kostspieliger ist der Verlust von Menschenleben.“
Künftig soll Geld in richtige Hände fließen – nicht in den Tunnelbau und für Waffen
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sollte durch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) ersetzt werden. Denn das UNHCR „kümmert sich um die Flüchtlinge – nicht um die Nachkommen der Nachkommen der Nachkommen. Die UNWRA in Gaza wird hingegen vollständig von der Hamas kontrolliert. Sie sollte aus dem Gazastreifen verschwinden … und, meiner Meinung nach, auch überall sonst.“ Andere UN-Organisationen könnten weiterhin in Gaza tätig sein.
Das würde auch dazu beitragen, „dass das Geld tatsächlich in die richtigen Hände gelangt. Bisher ist das meiste Geld in den Bau von Tunneln und Waffen geflossen. Und nein: Ich glaube nicht, dass die Fatah die richtige Adresse dafür sein wird. Es müssen Leute sein, die bereit sind, mit uns in Frieden zu leben, die nicht darauf aus sind, uns zu beseitigen, wie es in ihren Lehrbüchern steht, wie es in den Schulen gelehrt wird.“
Nach wie vor würden die Menschen in den palästinensischen Gebieten zu Hass und zu Terrorismus erzogen. „Die Europäer sollten aufhören, diese Erziehung zu finanzieren. Zum Glück hat das EU-Parlament dies bereits beschlossen, aber die EU-Führung sieht das anders, trotz all des Hasses dort.“ Fazit: „Es ist besser, wenn wir dieser Indoktrination zum Hass ein Ende setzen. Das ist besser für die Palästinenser und die Israelis.“
Brig.-Gen. (res.) Yossi Kuperwasser ist ein israelischer Geheimdienst- und Sicherheitsexperte. Früher war Kuperwasser Leiter der Forschungsabteilung des militärischen Nachrichtendienstes der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und Generaldirektor des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten.
Zurzeit ist Kuperwasser Senior Project Manager am Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA), das sich auf die Sicherheitsdimensionen des israelisch-palästinensischen Konflikts spezialisiert hat.
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