Kurz vor einer erwarteten russischen Invasion in die Ukraine hat sich Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew in einem dramatischen Appell an die Bürger des Nachbarlandes gewandt. “Dieser Schritt kann der Beginn eines großen Krieges auf dem europäischen Kontinent werden”, warnte er in einer in der Nacht auf Donnerstag veröffentlichten Videobotschaft. “Wollen die Russen Krieg? Die Antwort hängt nur von Ihnen ab, den Bürgern der Russischen Föderation!”, sagte er auf Russisch.

Bereit zu Verhandlungen in jedem Format, an jedem Ort

Er habe auch versucht, mit Kremlchef Wladimir Putin zu telefonieren: “Das Ergebnis: Schweigen.” Entlang der über 2000 Kilometer langen Grenze stünden fast 200.000 russische Soldaten mit schwerer Technik zum Einmarsch bereit, sagte Selenskyj weiter. Er sei bereit zu Verhandlungen mit Russland in jedem beliebigen Format und an jedem Ort, um Fragen der Sicherheit und der Garantie von Frieden zu erörtern.

“Die Sicherheit der Ukraine ist verbunden mit der Sicherheit ihrer Nachbarn. Deshalb müssen wir heute über die Sicherheit in ganz Europa sprechen.”

Keine Bombardements auf Separatistengebiete geplant

Zudem wies er erneut Moskaus Vorwürfe zurück, dass Kiew einen Angriff auf die Separatistengebiete in der Ostukraine vorbereite. “Was soll ich bombardieren? Donezk, wo ich Dutzende Male war?”, fragte Selenskyj. Die reale Ukraine unterscheide sich komplett von dem in den russischen Nachrichten dargestellten Land.

“Wir haben keinen Bedarf an einem weiteren Kalten Krieg oder einem blutigen Krieg oder einem hybriden Krieg”, sagte Selenskyi. “Aber wenn wir militärisch angegriffen werden, wenn sie versuchen, uns unsere Freiheit, unser Leben und das Leben unserer Kinder zu nehmen, werden wir uns verteidigen”, fügte der ukrainische Präsident hinzu. Die Ukrainer würden ihr Land nicht kampflos hergeben: “Wenn Ihr angreift, dann werdet Ihr unsere Gesichter sehen, nicht unsere Rücken!”

"Die Ukraine ist keine Bedrohung für Russland"

Selenskyi nannte den Krieg ein “schreckliches Unglück”. Er erklärte, er sei bereit, die diplomatischen Gespräche mit Russland fortzusetzen und argumentierte, die Ukraine stelle keine Bedrohung für Russland dar.

“Sie sagen, dass die Ukraine eine Bedrohung für Russland darstellen könnte. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall, ist es jetzt nicht und wird es auch in Zukunft nicht sein”, sagte er. “Unser Hauptziel ist es, den Frieden in der Ukraine zu erhalten und die Sicherheit der ukrainischen Bürger zu gewährleisten. Dazu sind wir bereit, mit allen, auch mit Ihnen [Russland], Gespräche zu führen, in welchem Format und an welchem Ort auch immer.”

"Das russische Volk muss dieses Video sehen"

“Das russische Fernsehen wird dieses Video sicher nicht zeigen, aber das russische Volk muss es sehen. Die Wahrheit muss bekannt werden. Und diese Wahrheit ist, dass das alles jetzt aufhören muss, bevor es zu spät ist”, sagte Selenskyi.

Seit 2014 kämpfen in den ostukrainischen Gebieten Luhansk und Donezk Regierungstruppen gegen von Moskau unterstützte Rebellen. Nach der staatlichen Anerkennung der “Volksrepubliken” durch den Kreml ersuchten diese um militärische Hilfe von Russland. Ein Einmarsch russischer Truppen gilt als sehr wahrscheinlich. UN-Schätzungen zufolge wurden in dem Konflikt bereits über 14.000 Menschen getötet.