Die Historikerkommission der Stadt Wien hat jetzt im Auftrag von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) eine neue Liste mit “problematischen” Straßennamen vorgelegt. Angeführt werden darin auch die “Kleine Mohrengasse”  und die “Große Mohrengasse”, beide im 2. Bezirk. Begründung: koloniale Repräsentation im öffentlichen Raum.

Bereits im Jahr 2013 wurde eine von der Stadt Wien in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie zu den umstrittenen Wiener Straßennamen präsentiert: Mehr als 170 Straßennamen wurden damals von der Kommission als bedenklich eingestuft. Nachdem seither Hinweise auf neue Namen aufgetaucht sind, hat Kaup-Hasler eine Fortsetzung des Berichts in Auftrag gegeben: Der jetzt veröffentlichte Ergänzungsband enthält weitere Personen mit NS-Vergangenheit sowie Namen mit Kolonialbezug.

Kommission legt ihre Richtlinien offensichtlich sehr großzügig aus

“Die kritische Auseinandersetzung mit Erinnerungsstücken im öffentlichen Raum ist höchst aktuell und brisant. Auch die kolonialen Repräsentationen im Wiener öffentlichen Raum erfordern intensivere Auseinandersetzungen mit dem verdrängten kolonialen Erbe”, betonte Prof. Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien im Rahmen der Präsentation.

“In den letzten Jahren sind die kolonialistischen Aktivitäten während der Monarchie in Übersee stärker ins Bewusstsein getreten. ‚Entdecker‘ oder ‚Afrikapioniere‘ werden als Wegbereiter der kolonialen Eroberung gesehen. Daher müssen auch einschlägige Straßennamen kritisch reflektiert werden. Der vorliegende Ergänzungsband setzt sich mit diesem lange verdrängten kolonialen Erbe auseinander“, ergänzte Univ.-Prof. Walter Sauer vom Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Wien.

Ob es aber tatsächlich zu einer Umbennenung kommt, ist fraglich. Denn die finale Entscheidung trifft der Gemeinderat. Zudem verdichten sich auch Hinweise, wonach die Kommission ihre Richtlinien sehr großzügig ausgelegt hat.

International anerkannt: Die Wurzelforscherin Lore Kutschera (†91)

Auf der Liste der problematischen Straßennamen wird nämlich auch der “Lore-Kutschera-Weg” im 12. Bezirk angeführt. Bei ihr handelte es sich (*1917, †2008) um eine österreichische Botanikerin und international renommierte Wurzelforscherin. Ihre Atlasbände über die Morphologie, Anatomie, Ökologie und räumliche Verteilung der Wurzeln im Boden gelten als wissenschaftliche Standardwerke, sie gründete 1982 auch die “International Society of Root Research”.

Doch offenbar darf man in Wien nicht stolz sein auf eine international anerkannte Forscherin! Der Grund: Kutschera war unter anderem beim Bund Deutscher Mädel engagiert und sie heiratete 1942 einen SS-Mann. Für die Kommission ist dieses kurze, dunkle Kapitel in ihrem ansonsten ruhmreichen und tadellosen Leben Grund genug, sie aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verbannen. Grotesk: Die Stadt Wien will mit der Maßnahme vor allem mehr Straßen nach Frauen benennen. Ein Schritt in die richtige Richtung für dieses durchaus lobenswerte Ziel wäre es allerdings, anerkannte Frauen erst gar nicht zu canceln.